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Interviews

So fühlt es sich an, kopfüber von einem Balkon zu fallen

Wir haben mit einem jungen Mann gesprochen, der drei Stockwerke in die Tiefe stürzte, auf seinem Kopf landete und trotzdem überlebt hat.

Symbolbild | Foto: Pixabay | CC0 Public Domain

Alkoholgenuss birgt einige Risiken—sowohl zwischenmenschliche als auch gesundheitliche. Verletzungen sind bei einer durchzechten Nacht nie ausgeschlossen. Vor allem dann nicht, wenn irgendwie ein Balkon im Spiel ist, von dem man im betrunkenen Zustand stürzen könnte. Tragischerweise sind aber nur wenige junge Menschen, die von einem hohen Gebäude gefallen sind, überhaupt noch in der Lage, ihre Geschichte zu erzählen.

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Unserer Meinung nach ist es auf jeden Fall überzeugender, die unglaublichen Schmerzen einer solchen Erfahrung geschildert zu bekommen, als ein "Lass es einfach!" zu hören. Also haben wir mit einem jungen Mann gesprochen, der drei Stockwerke in die Tiefe stürzte, auf seinem Kopf landete und trotzdem überlebte.

James* arbeitet als Monteur in der australischen Marine. Mit 21 fiel er eines Abends im volltrunkenen Zustand von einem Balkon, zu dem er zuvor hochgeklettert war. Er hatte die Risiken seines Vorhabens schlicht und einfach unterschätzt. Die Folge: mehrere schwere Verletzungen. James kann sich wirklich glücklich schätzen, heute noch am Leben zu sein.

James (links) vor dem Sturz. Wir haben alle Gesichter unkenntlich gemacht, damit James nicht gefeuert wird | Alle Fotos: bereitgestellt von James

VICE: Hey James. Dein Sturz liegt jetzt schon fast fünf Jahre zurück. Was genau ist an dem Abend passiert?
James: Ich war an einem Freitagabend zusammen mit einem Kumpel in den Clubs der Stadt unterwegs. Wieder bei meiner Wohnung angekommen fiel mir auf, dass ich meine Schlüssel vergessen hatte. Dann dachte ich mir, dass ich doch einfach zu meinem Balkon im dritten Stock hochklettern und von dort aus in die Wohnung gelangen könnte. Ich weiß noch, wie ich am ersten und am zweiten Balkon vorbeikraxelte und mich dann am Geländer des dritten hochziehen wollte. Da ich aber so betrunken war, verlor ich den Halt.

Was ging dir durch den Kopf, als du abgerutscht bist?
Den Moment vor dem Fall werde ich wohl nie vergessen—also, als ich noch so halb am Balkon hing, aber immer weiter abrutschte. Ich ließ dann einfach los. Das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber ich war so betrunken, dass ich wirklich davon ausging, den Sturz unbeschadet zu überstehen. In diesem Augenblick waren irgendwelche schlimmen Folgen für mich völlig undenkbar.

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Ich fiel also in die Tiefe und mein Bein knallte gegen den Balkon im zweiten Stock. Dadurch machte ich eine Art Salto und knallte mit dem Kopf voran auf den Boden. Meine Beine krachten in Richtung meines Gesichts und ich klappte im Grunde wie ein Schnappmesser zusammen. Mein Rücken stauchte sich extrem. Dadurch wurde meine Wirbelsäule stark in Mitleidenschaft gezogen. Zum Glück entlud sich die Wucht des Aufpralls nicht in meinem Kopf, sondern mehr in meinem Rücken. So hatte ich letztendlich "nur" einen gebrochenen Schädel und Kiefer, ein überdehntes Knie von der Kollision mit dem zweiten Stock und natürlich einen gebrochenen Rücken. Mein sechster Rückenwirbel war komplett kaputt.

Hast du auch das Bewusstsein verloren?
Ja, kurzzeitig. Der Typ, mit dem ich unterwegs war, ist deswegen richtig durchgedreht. An das, was danach passiert ist, kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Anscheinend bin ich aufgestanden und mein Kumpel dachte, mir wäre nichts passiert. Dennoch bestand er darauf, dass ich bei ihm auf dem Sofa penne. Weil ich so betrunken war und beim Aufprall eine Gehirnerschütterung erlitten hatte, kotzte ich mir die ganze Nacht die Seele aus dem Leib.

Ich weiß noch, wie ich am darauffolgenden Morgen nach dem Aufstehen folgende Worte sagte: "Leute, die Schmerzen sind kaum auszuhalten und ich kann mich nicht mehr richtig bewegen. Keine Ahnung, was mit mir los ist." Alle Anwesend dachten jedoch, ich sei einfach nur ein Schlappschwanz. Ein Typ wollte mir sogar den Rücken wieder einrenken. Ich bin dann schließlich zurück in meine Wohnung, wo ich sofort auf mein Bett fiel und bis Montag durchschlief.

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Du hast zwei Tage durchgeschlafen?
Ja, so gut wie. Die Schmerzen waren so schlimm, dass ich nicht aufstehen konnte. Zum Glück musste ich nicht aufs Klo, aber essen und trinken konnte ich so auch nicht. Montagmorgen wurde ich durch meinen Alarm geweckt. Ich weiß noch, wie ich einen Kumpel darum bat, mich zur Arbeit zu fahren. Ich stieg zu ihm ins Auto und alles, was danach passierte, habe ich nur noch schemenhaft in Erinnerung. Er wusste laut eigener Aussage aber direkt, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, weil ich die ganze Zeit vor Schmerzen stöhnte. Auf dem Schiff bin ich dann sofort zu den Sanitätern, aber die meinten, dass bei mir alles in Ordnung sei.

Moment, sie sagten, dass alles in Ordnung sei? Hast du ihnen erzählt, was dir passiert ist?
Sie dachten halt, dass ich mich vor der Arbeit drücken wollte. Ich muss aber auch gestehen, dass ich ihnen nichts von meinem betrunkenen Sturz vom Balkon erzählt habe. Das hätte mich nämlich in richtige Schwierigkeiten gebracht. Meine Wohnung befand sich damals zudem noch in einem Marine-Apartmentkomplex und ich wollte nicht riskieren, meine Bleibe zu verlieren. Also habe ich ihnen gesagt, dass ich ich eine Treppe runtergefallen wäre.

Wann wurde dir klar, wie schwer du eigentlich verletzt warst?
Irgendwann wiesen mich die Sanitäter an, zu den Ärzten auf dem Stützpunkt zu gehen. Die schauten dann in mein Ohr und entdeckten so die inneren Blutungen. Natürlich wurde ich direkt auf die Intensivstation gebracht. Anschließend durchlief ich unzählige Computertomographien und MRT-Scans. Außerdem bekam ich eine Rückenstütze und eine Halskrause angelegt. Die Sache wurde ganz schnell richtig ernst. Schließlich sagten mir die Ärzte, dass ich mir meinen Rücken gebrochen hatte. Endlich konnte ich mir meine immensen Schmerzen erklären.

Wie lief der Heilungsprozess ab?
Ich blieb noch weitere sechs Tage auf der Intensivstation. Anschließen verlegte man mich in ein normales Krankenhauszimmer. Ich musste den ganzen Tag in der Liegeposition verbringen und durfte nichts im Stehen machen—nicht mal pinkeln oder duschen. So ging es gut einen Monat lang. In dieser Zeit wurde ich auch immer wieder von diversen Spezialisten untersucht. Durch mein junges Alter, meine Fitness, meine Gesundheit und meine positive Lebenseinstellung ging die Heilung zum Glück schnell vonstatten. Eigentlich wollten mich die Ärzte zuerst auch operieren, aber weil ich so fix wieder gesund wurde, war das nicht mehr nötig. Zum Glück. Es hieß nämlich, dass mir eine Operation mein ganzes Leben lang gesundheitliche Probleme bereitet hätte.

Was hast du aus der ganzen Sache gelernt?
Ohne Alkohol wäre das Ganze so wohl nie passiert. Es war ja wirklich nur eine Kombination aus einer durchzechten Nacht sowie zu starken Drinks beim Vorglühen. Die Situation ist zu schnell eskaliert. Außerdem kann ich kaum glauben, dass mir so etwas wirklich passiert ist. Man ließt ja immer von irgendwelchen Leuten, die im Suff irgendwo runterfallen, geht dann aber davon aus, dass einem so etwas nie selbst zustoßen könnte. Das ist falsch. Es kann jeden treffen.

*Name geändert