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DIE MUSIKAUSGABE

Auf einen Erkältungstee mit Andreas Ryser

Andreas Ryser ist der oberste unabhängige Musikmanager der Schweiz. Wer einen macht- und geldgierigen Musikmanager in Suge-Knight-Manier erwartet, wird enttäuscht.
Foto von Oliver Moser

Aus der Music Issue 2016

Andreas Ryser ist der oberste unabhängige Musikmanager der Schweiz. Seit 13 Jahren führt er das eigene Indie-Label Mouthwatering Records und als Präsident von IndieSuisse steht er einer Organisation vor, die sich für die Interessen der Indie-Labels und deren Künstler stark macht. Darüber hinaus ist der Berner im Vorstand des europäischen Verbands Impala, dem Zusammenschluss der unabhängigen Musikunternehmen in ganz Europa und repräsentiert dort die Schweiz. Wer jetzt aber einen macht- und geldgierigen Musikmanager in Suge-Knight-Manier erwartet, wird enttäuscht.

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Er empfängt mich und den Fotografen Oli Moser sehr herzlich und erzählt uns, dass er sich nicht besonders fit fühle. "Nein, nein, ich war nicht im Ausgang. Ich glaube, ich bin heute einfach ein bisschen krank", erklärt er sich. Mit einem Papiertaschentuch putzt er sich die Nase und zeigt uns die Räumlichkeiten, in denen sein Label Mouthwatering Records untergebracht ist. Unweit des Berner Inselspitals teilt er sich ein grosses Gemeinschaftsbüro mit anderen Menschen aus der Kreativwirtschaft.

Hier arbeiten Grafiker, Designer, Booker, Konzertveranstalter, es ist eine andere Plattenfirma untergebracht, die Raritäten aus der ganzen Welt vertreibt. Und eben Andreas Rysers Label, mit einem kleinen Büro, einem Lager für CDs und Vinyl-Platten und einem Studio, in dem die Künstler, die auf dem Label gesignt sind, zum Teil ihre Songs aufnehmen.

Die Gemeinschaftsküche inmitten der grossflächigen Räumlichkeit wirkt belebt. Es hängen Flyer von Veranstaltungen und Poster von Bands an den Wänden. Auf einem Tresen liegen aktuelle Kulturzeitschriften und Musikmagazine. Hier wird nicht nur gearbeitet, sondern auch diskutiert, neue Musik gehört oder einfach mal ein Kaffee getrunken. Er bietet uns gleich etwas zu trinken an. Ich entscheide mich für eine Limonade. Sich selbst gönnt er sich einen Erkältungstee.

Andreas Ryser ist freundlich, zuvorkommend, ausgeglichen und bodenständig. Was selbstverständlich nicht ausschliesst, dass der Mann Visionen hat und global denkt. "Wie du weißt, läuft ja alles ein bisschen anders in der Schweiz. Wir leben in einem kleinen Land, mit einem kleinen Musikmarkt. Man kennt sich gegenseitig und es ist nicht alles ganz so Rock'n'Roll. Aber wir müssen endlich damit beginnen, global zu denken und vor allem zu handeln. Denn wir haben seit längerer Zeit die Tools dazu und müssen sie endlich auch richtig einsetzen. Die Digitalisierung hat alles verändert. Das Produzieren von Musik ist anders, der Vertrieb, der Verkauf, das Marketing—alles ist anders als noch vor 15 Jahren."

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Foto von Oliver Moser

Sein Label war eines der ersten in der Schweiz, das auf diese Veränderung reagiert hat. Bereits Anfang der 00er-Jahre war es auf der Website von Mouthwatering Records möglich, Songs herunterzuladen und diese über Paypal zu bezahlen. Das Label entstand aus dem Gedanken heraus, alles selber machen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt musizierte Ryser mit seiner Band Filewile und gemeinsam mit seinen Bandkollegen entschied er sich, auf Zwischenhändler und externe Managementstrukturen zu verzichten.

Filewile verzeichnete Millionen-Downloads auf Freetracks, die Monetarisierung sei aber schon damals ein zentraler Knackpunkt gewesen: "Wir waren mit unserer Infrastruktur schon damals soweit, dass Kunden unsere Musik downloaden und bezahlen hätten können. Nur: Zu diesem Zeitpunkt hatte noch niemand Paypal. Also boten wir die Musik halt gratis an und versuchten Geld aus Liveshows zu generieren und unsere Services anderen Musikern anzubieten."

Wie bei ganz vielen Berner Musikbiografien nimmt die Reitschule eine wichtige Rolle in Rysers Aktivitäten als Musiker und Musikmanager ein. Er kam Anfang der Neunziger mit der Institution intensiv in Berührung. "Anfänglich habe ich vor allem Punk-Konzerte besucht und dadurch Gleichgesinnte kennengelernt. Ich verspürte ziemlich schnell den Wunsch, Teil der Reitschule zu sein und in irgendeiner Form mitzumischen. Was ich dann auch lange Zeit gemacht habe. Die Reitschule war jahrelang ein aussergewöhnlich wichtiger Ort für mich, an dem ich viele Stunden verbracht habe."

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"Wir veranstalteten einfach unsere eigenen Partys und buchten die angesagtesten Acts und DJs aus verschiedenen Genres. Ich legte oft auch selbst auf."

Andy Ryser begann als freiwilliger Helfer in der Reitschule und arbeitete anfänglich an der Eingangskasse des Betriebs, bei der zu dieser Zeit jeder Gast selbst bestimmen durfte, wie viel ihm das jeweilige Konzert wert ist.

Nach verschiedenen anderen Tätigkeiten war er ein ganzes Jahrzehnt lang für das Booking des Dachstocks zuständig. "Zu dieser Zeit begannen wir mit unseren inzwischen fast ein wenig legendären 'Mouthwatering Nights'", erzählt er. "Wir veranstalteten einfach unsere eigenen Partys und buchten die angesagtesten Acts und DJs aus verschiedenen Genres. Ich legte oft auch selbst auf. Der Klassiker halt: Man veranstaltet sich selbst. Das machen ja alle ein bisschen. Aber mir persönlich war es trotzdem nicht wichtig, um jeden Preis im Mittelpunkt zu stehen. Irgendwie baute alles aufeinander auf. Als Booker im Dachstock versuchte ich internationale Acts nach Bern zu locken, aber trotzdem auch immer ein Auge auf die lokale Szene zu haben."

So buchte er den Berner Musiker und Komponisten Mich Gerber in den Dachstock. Dieses Booking sollte sich als wegweisend herausstellen. Mich Gerber war einer der ersten weltweit, der live Loop-Systeme einsetzte. Der Bassist geniesst deswegen auch heute noch ein internationales Renommee. Aus einer gemeinsamen Live-Session nach Mich Gerbers Konzert entstand die Idee, gemeinsam auf Tour zu gehen.

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"Ich war quasi sein Live-DJ. Wir spielten eine ausgedehnte Tour und ich fand mich auf großen Bühnen am Jazz Festival in Montreux oder in Istanbul wieder. Danach trennten sich unsere Wege dann aber wieder und ich gründete mit meinem langjährigen Freund Daniel Jakok die Band Filewile und unser eigenes Label." Mouthwatering Records hat sich seither den Ruf als solides, funktionierendes Label aufgebaut, auf dem Musiker wie Len Sander, Dubokaj, Laskaar oder Sad gesignt sind.

Trotzdem sei Ryser froh, dass er eine Ausbildung als Dekorationsgestalter absolviert hat. Und weil es in der Schweiz keine leichte Aufgabe ist, von der Musik zu leben, hat er lange als Velokurier gearbeitet. Das sind die Realitäten eines Schweizer Musikschaffenden.

Ryser hört meinen Fragen interessiert zu, lässt sich einen Moment Zeit, bevor er mir antwortet und überrascht mich immer wieder mit interessanten Ansichten und Blickwinkeln: "Obwohl ich ein Indie-Label führe und Präsident von IndieSuisse bin, sehe ich die Major-Labels auf gar keinen Fall als Gegenspieler. Wir operieren und denken anders, vielleicht haben wir gar eine andere Logik, aber wir können uns ergänzen und uns gegenseitig stärken", sagt er mir.

"Die Majors haben ja praktisch keine A&Rs in einem solch kleinen Land wie der Schweiz. Eine ihrer Hauptaufgabe ist es, die Releases von internationalen Künstlern, die beim Mutterhaus unter Vertrag stehen, in allen Belangen auch in der Schweiz unter die Leute zu bringen. Ihnen steht dabei eine gefestigte Infrastruktur zur Verfügung. Sie haben Zugriff auf optimale Marketing- und Vertriebskanäle und können so die Releases optimal vermarkten. Wir als Independent-Labels sind hier zu Hause und viel näher am Geschehen. Diesbezüglich sind wir flexibler und agiler. Das ist ein riesengrosser Pluspunkt im Vergleich zu den Majors. Was bedeutet: Wir können gegenseitig voneinander lernen und profitieren."

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"Ziel muss es auch sein, Käuferschaften und Fans weltweit quasi zusammen zu sammeln."

Dass die Majors weltweit einen Marktanteil von zirka 65 bis 75 Prozent vorzuweisen haben, stört ihn nicht. "Es gibt keine territorialen Einschränkungen mehr. Klar, jede Band hat bestenfalls eine lokale Fanbase, die sie von Anfang an supportet. Aber: Ziel muss es auch sein, Käuferschaften und Fans weltweit quasi zusammen zu sammeln. So kann man weltweite Eco-Systems für Bands kreieren, die es dann bestenfalls zulassen, dass sich die Projekte selbsttragend refinanzieren."

So hat sich der Branchenverband IndieSuisse nicht nur zur Aufgabe gemacht, die Interessen seiner Mitglieder in der Öffentlichkeit zu vertreten. Man wolle auch Wissen sammeln, dieses Wissen den einzelnen Mitgliedern zugänglich machen und nicht zuletzt politisch Einfluss nehmen.

"Der Verein Musikschaffende Schweiz, der sich für die Anliegen der Musikschaffenden einsetzt, macht das schon sehr gut. Sie versuchen, sich nicht nur in den öffentlichen Diskurs einzubringen und den Musikschaffenden eine Stimme und ein Gesicht zu geben, sondern werden ernst genommen und versuchen Einfluss auf Entscheidungsträger zu nehmen, mit dem Ziel, dass das Musikschaffen in der Schweiz weiter professionalisiert wird. Wir sitzen mit dieser Organisation im selben Boot und haben immer wieder ganz klare Überschneidungspunkte. Wir können stark voneinander profitieren und uns unterstützen."

"Die Schweizer Gesellschaft und vor allem die Politik versteht nicht, dass Musik auch ein Business-Modell sein kann."

Andreas Ryser möchte mit Mouthwathering Records nicht nur eine Plattform für junge Künstler bieten, sondern hat auch den Anspruch, sich den Realitäten der Marktes zu stellen und selbsttragend zu arbeiten. Er sieht sich also nicht nur als Förderer von Kultur, sondern hat den Anspruch, dass die Musikindustrie endlich auch in der Schweiz als Wirtschaftszweig angesehen wird.

"Die Schweizer Gesellschaft und vor allem die Politik versteht nicht, dass Musik auch ein Business-Modell sein kann. Musik sollte nicht nur in Form von Kulturgeldern unterstützt werden, sondern es sollte in die Infrastruktur der Musikindustrie investiert werden. Das muss sich ändern. Und eines unserer wichtigen Ziele mit IndieSuisse ist genau dies: Wir wollen Schweizer Musik ins Ausland exportieren".

Ryser ist immer damit beschäftigt, sich neue Finanzierungsmodelle auszudenken und sich zu überlegen, wie kleine Labels und deren Bands sich positionieren können. Nach fast einer Stunde nimmt er einen Schluck Tee aus der Tasse. Es ist sein erster wohlgemerkt. Ryser scheint durchs Philosophieren über Musik vergessen zu haben, dass er erkältet ist.