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Connewitz

Wie die 'Bild'-Zeitung eine Massenschlägerei unter Linken erfand

AfDler haben die Fehlinformationen bereits weiterverbreitet.
Symbolbild: imago | Christian Grube

"Sie dachten, es wären Rechte: Linke verprügeln aus Versehen Linke!", berichtete die Bild-Zeitung am Sonntag. Stattgefunden haben soll die Massenschlägerei Freitagnacht in Leipzig-Connewitz, das als linksautonomes Zentrum der Stadt gilt. "20 Vermummte mit Schlagstöcken und Pfefferspray" – mutmaßlich Linke – hätten eine Gruppe von sechs Personen angegriffen – ebenfalls mutmaßlich Linke – und das alles aufgrund eines Missverständnisses. Die skurrile Meldung wurde auf Facebook über 20.000 Mal geteilt, auch vom AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier. Er wittert die Antifa dahinter und kommentierte: "In […] Leipzig herrscht seit Längerem die rote SA." Maiers Berliner AfD-Kollege Carsten Ubbelohde schrieb auf Twitter: "Solche Geschichten kann man sich nicht ausdenken … #Antifa". Kann man sich eben doch, denn der Bild-Bericht ist mehr als fraglich.

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Am Freitag spielte die Oi!-Punk Band Stomper 98 im Connewitzer Club Conne Island. Sänger Sebastian "Sebi" Walkenhorst und die anderen Mitglieder kommen aus der Skinhead-Szene: kahle Köpfe, schwere Stiefel, Karohemden. Viele in der Szene wollen mit Politik nichts zu tun haben, andere sind dezidiert links – oder rechts. Als Außenseiter sehen sie sich aber alle. Weil Walkenhorst als Jugendlicher Kontakt zu rechten Skins hatte, stehen Stomper 98 in der Kritik, selbst eine rechte Band zu sein oder sich zumindest in einer "rechtsoffenen Grauzone" zu bewegen. Die Gruppe selbst bezeichnet sich als unpolitisch bis antirassistisch. Ihre Konzerte in dem von einem linken Kollektiv organisierten Club begleiten dennoch immer wieder Diskussionen.


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Eine solche Auseinandersetzung endete dieses Mal weniger glimpflich. Wie ein Sprecher der Polizei Leipzig gegenüber VICE sagte, wollte eine Gruppe von Fans aus Thüringen im Alter von 17 bis 26 Jahren das Konzert besuchen. An der Clubtür soll es zum Streit mit der Security des Conne Islands gekommen sein. Grund waren ein Aufnäher, den alle sechs trugen, und ein T-Shirt – beide Motive seien mit der Clubpolitik nicht vereinbar gewesen. Die Gruppe aus fünf Männern und einer Frau will daraufhin ihre Jacken und das T-Shirt abgelegt haben. Dem Polizeibericht zufolge verließen sie jedoch wenig später den Club, um die Klamotten in einen in der Nähe geparkten Kleinbus zu packen. Die Security soll sie jedoch nicht ein zweites Mal in den Club gelassen haben. Kurz darauf sollen dann 15 bis 20 Vermummte die Gruppe angegriffen haben. Es kam zu schweren Verletzungen, eine Autoscheibe ging zu Bruch.

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Die Polizei ermittelt nun wegen Landfriedensbruch gegen unbekannt. Welche Parolen bei den Auseinandersetzungen gefallen sind, welcher Aufnäher und welches T-Shirt für die politische Einordnung herhalten mussten – all das konnte der Polizeisprecher nicht sagen. Gesprochen hat man bislang nur mit den sechs Angegriffenen.

VICE konnte eine davon auf Facebook ausfindig machen. Sie möchte anonym bleiben, schrieb aber, dass sie und ihre Freunde "definitiv nicht rechts seien", sondern "unpolitische Skinheads […] Wir sind gegen Links- und Rechtsextremismus, aber keinesfalls gegen Ausländer." Bei den T-Shirts habe es sich um Merchandise der Oi!-Band Prolligans gehandelt. Die will sich nicht als "unpolitisch" verstanden wissen, veröffentlicht Musik auf einem Neonazi-Plattenlabel und rief vor einer Südstaatenflagge zum Trinken von deutschem Bier auf. Ansichten, die im Conne Island alles andere als mehrheitsfähig sind. Die Security hätte zudem ihren Aufnäher einer rechten Gruppierung zugeordnet. Weil die Angreifer vermummt waren, glaubt die Frau zudem, dass es sich um Mitglieder der Antifa gehandelt hat. Eine Person soll sich ihr zufolge zu dieser Szene bekannt haben.

Die sechs Thüringer waren nicht die einzigen Gäste, für die der Abend anders verlief als gedacht. Calle, ein weiterer Besucher, musste das Conne Island verlassen, bevor das Konzert begann. Er war mit zwei Freunden angereist und erzählte von mehreren Auseinandersetzungen an dem Abend: "Der Türsteher hat mir meine 20 Euro zurückgegeben, im selben Moment hat mich jemand geschlagen und aus dem Hof geschubst", sagte er gegenüber VICE. Seine Freunde erfuhren später, dass sein Jacken-Aufnäher der Grund gewesen sei. "Good Night Any Sides" steht auf diesem. "Es heißt, Nazis aus Leipzig und Berlin würden die Patches verkaufen", so Calle, "aber ich habe meinen von einem Oi!-Punk-Label aus Magdeburg." Calle selbst bezeichnet sich als "unpolitischen, aber eher linksorientierten Skinhead". Später sei auch ein "unpolitischer Punk" mit Pali-Tuch rausgeworfen worden, sagte er. Antifaschisten sehen in solchen Tüchern einen Ausdruck von Antisemitismus.

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Diesen Aufnäher trug Calle, als er ins Conne Island wollte | Foto: privat

Es war sicherlich kein Halma-Abend mit Rhabarbersaftschorle, der sich da in Connewitz abgespielt hat. Aber Linke, die "aus Versehen" Linke verprügeln, wie Bild schreibt – das hat es so nicht gegeben. Es ist nicht klar, wer die Angreifer waren, die Polizei konnte bislang nur mit den Opfern sprechen. Die wiederum lehnen es ab, als "links" bezeichnet zu werden. Das Conne Island hat sich zu den Vorfällen bislang nicht geäußert.

Richtigstellung: In einer früheren Version des Artikels hatten wir geschrieben, Prolligans hätten sich aufgelöst. Die Band ist weiterhin aktiv.

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