Maskottchen
Symbolfoto: imago | AFLO

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Albtraumjobs

Kranker Scheiß aus dem Leben eines Freizeitpark-Maskottchens

"Wenn du ständig von den Gästen drangsaliert wirst, lässt du dir das irgendwann nicht mehr gefallen und schlägst zurück."

In Disneys Pinocchio gibt es eine Vergnügungsinsel, auf der Jungs und Mädchen machen können, was sie wollen. Arnes Berufsalltag klingt wie eine Horror-Version davon. Er arbeitet in einem deutschen Freizeitpark als Kostümdarsteller, macht als kuschlige Figur verkleidet Fotos mit Gästen, tanzt in Shows und soll gute Laune verbreiten. Doch vielen Besuchern reicht das nicht. Wir haben Arnes Namen geändert, weil die Parkbetreiber es nicht gerne sehen, wenn jemand ihr quietschbuntes Nest beschmutzt.

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Beleidigungen und durchgeknallte Eltern

Alleine in den paar Monaten, die ich dabei bin, habe ich Dinge erlebt, die ich mir davor nicht hätte vorstellen können. Wir sind dafür da, den Parkgästen Freude zu bereiten. Arschloch und Hurensohn sind da noch die Beleidigungen, die am wenigsten weh tun.

Zu Beginn jeder Schicht trifft sich unser Team backstage und wir schauen, wer ins Kostüm geht und wer als Begleiter mitgeht. Die Begleiter sind nur dazu da, aufzupassen, dass den Darstellern nichts passiert. Meistens fängt es schon morgens an, wenn wir die Gäste begrüßen. Dann höre ich, wie aus der Menge jemand in meine Richtung ruft: "Du Hurensohn!"


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Es gibt Eltern, die vor ihren kleinen Kindern Darsteller beleidigen, wenn ihnen etwas nicht passt. Vor Kurzem fand eine Frau, dass die Darsteller auf dem Foto nicht höflich genug waren. Ich war Begleiter und erklärte ihr, dass ich mit den Darstellern sprechen würde und sie sich gerne noch mal anstellen könne. Das fand sie nicht in Ordnung. Sie stellte sich neben andere Gäste an den Fotopoint und rief über die Absperrung: "Der Character hat einen kleinen Schwanz, der ist ein Hurensohn", und so weiter.

Ich nehme das professionell, aber irgendwie belastet es mich doch, weil ich einfach nicht verstehe, warum die Leute so drauf sind. Die meinen das wahrscheinlich nicht persönlich, sie wissen ja nicht, wer unter dem Kostüm steckt. Viele sind auch im Urlaub und denken vielleicht, dass sie die Sau rauslassen können. Aber spätestens wenn ich geschlagen und getreten werde, frage ich mich schon, warum.

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Prügelnde Gäste

Es gibt zwei Arten von Leuten, die den Darstellern weh tun. Die einen machen es aus Versehen. Sie hauen in ihrem Eifer zu hart auf das Kostüm oder die Maske. Auch wenn das freundschaftlich gemeint ist, verstärkt sich der Schlag im Kostüm um ein Vielfaches und es tut weh. Wenn man sie darauf hinweist, verstehen sie das und passen besser auf. Trotzdem frage ich mich, ob sie einfach vergessen, dass in dem Kostüm ein Mensch steckt.

Dann gibt es die anderen, die uns mit Absicht schlagen. Neulich ging ich vor einem vielleicht vierjährigen Mädchen im Kostüm auf die Knie und machte ein Bild mit ihr. Da lief hinter mir ein Jugendlicher vorbei und trat mich in den Arsch. Einfach so. Ein anderes Mal, in der letzten Fotorunde des Tages, die immer sehr aufgeheizt und hektisch ist, packte ein weiblicher Gast einen Kostümdarsteller unter der Achsel und schmiss ihn mit Wucht auf den Boden.

Im Kostüm kann man nicht wirklich viel machen. Wir dürfen auf keinen Fall aus der Rolle fallen oder mit den Gästen reden. Die Illusion muss bestehen bleiben. Wir können höchstens versuchen, mit den Begleitern zu kommunizieren, aber auch das ist schwer, wenn du nicht sprechen darfst oder dein Character keine Arme und Hände hat. Auch als Begleiter kannst du in der Menge nicht jeden Übergriff sehen. Manche Gäste sind maximal gewaltbereit. Jugendgruppen sind am gefährlichsten.

Vor Kurzem in einer geschlossenen Attraktion, in der verkleidete Darsteller die Gäste erschrecken und man weder filmen noch fotografieren darf, war es noch schlimmer: Zwei Mädels und drei Jungs liefen durch die Attraktion und eine fing an zu filmen. Eine Darstellerin, die in diesem Fall ihre Rolle verlassen durfte, bat sie, das Handy runter zu nehmen. Die Frau filmte weiter und die Darstellerin hielt ihre Hand vor das Handy. Die Frau schlug der Darstellerin einfach ins Gesicht und brach ihr die Nase.

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Bei Zwischenfällen können wir abbrechen und in den Backstage-Bereich gehen. Der Begleiter kann versuchen, die Täter zu kriegen, aber oft sind die Leute schon weg. Wenn wir sie stellen, bitten wir sie in den Gästeservice. Dann stellen wir dem Jugendlichen, der gerade Spongebob geschlagen hat, das 1,57 Meter große Mädchen vor, das im Kostüm war und die Schläge einstecken musste. Dann wissen die auch nicht, was sie sagen sollen.

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Diese Maskottchen laufen nicht durch Arnes Park, sondern durch eine japanische Mall | Foto: imago | AFLO

Das stickige Kostüm

In unseren Kostümen hat es 40 bis 45 Grad. Es gibt keine Luftzirkulation. Nach maximal einer halben Stunde im Kostüm brauchen wir eine halbe Stunde Pause. Insgesamt sind wir fünf oder sechs Mal draußen. Im Backstage-Bereich ziehen wir die Kostüme aus, um durchzulüften. Alleine in der Arbeitszeit trinke ich fünf bis sechs Liter Wasser, weil ich so viel schwitze. Wir müssen mehrmals täglich die Sportkleidung wechseln, die wir darunter tragen. Über Nacht wird sie gewaschen und die Kostüme müssen wir nach jeder Benutzung desinfizieren. Ab und zu werden sie professionell gereinigt und es geht mit den Gerüchen. Aber man merkt, dass man nicht der Erste ist, der drin war. Vor allem bei den Unterziehklamotten merkst du, dass schon ein paar vor dir reingeschwitzt haben.

Die ständigen Rachegedanken

Wenn du ständig von den Gästen drangsaliert wirst, lässt du dir das irgendwann nicht mehr gefallen und schlägst zurück. Manchmal aus Reflex, manchmal gewollt. Wobei der Schlag wegen des Kostüms nie so stark ist. Einmal drängelte sich ein Gast vor und sagte, er müsse sich nicht anstellen, er sei besser als die anderen. Einen Kollegen im Kostüm rief er zu sich wie einen Hund. Der Darsteller hat ihm dann eine geknallt. Nicht heftig, aber der Typ hat es verstanden. Natürlich dürfen wir das nicht, aber es hilft mir zu wissen, dass die Nachricht angekommen ist.

Die Gewalt durch die Gäste ist im Park bekannt. Auch die Leute an den Fahrgeschäften bekommen Sprüche ab und werden körperlich bedroht, nur weil sie den Besuchern die Regeln des Parks klarmachen. Aber es gibt für uns keine psychologische Betreuung. Man kann mit dem Teamleadern sprechen, aber letztendlich ist das Teil des Jobs.

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Zum Glück kann man nicht sagen, ob im Kostüm ein Mann oder eine Frau steckt. Wenn die Leute das wüssten, käme es sicher öfter zu sexuellen Übergriffen. Es gibt trotzdem Momente, wo Gäste Hände an Stellen legen, zum Beispiel auf den Hintern, wo du nicht weißt, ob das absichtlich ist.

Am Ende des Tages bin ich körperlich und psychisch fertig. Der Job hat die Art, wie ich Menschen sehe, stark verändert. Ich habe gelernt, dass man Menschen nie so ganz einschätzen kann. Trotzdem mache ich den Job gerne. Nicht wegen des Geldes, wir bekommen nur Mindestlohn. Aber viele Momente machen es wieder wett, zum Beispiel wenn ich ein Kind im Rollstuhl zum Lachen bringe. Aber ich frage mich, woher diese negative Energie der Leute kommt. Ich meine, wir sind in einem verdammten Freizeitpark.

Du hast bei deiner Arbeit oder deinem Hobby auch kranken Scheiß erlebt und möchtest, dass die Welt davon erfährt? Dann erzähl uns davon und schreib an themen@vice.com.

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