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'Hype Awards': Warum die Nominierungen von Bonez MC und 6ix9ine große Fehler sind

Erst macht Bonez sich auf Instagram über sexualisierte Gewalt lustig, jetzt ist er für den besten Account nominiert. VICE hat recherchiert, wie es dazu kommen konnte.
6ix9ine und Bonez MC sind für die Hype Awards nominiert
Collage bestehend aus: 6ix9ine: imago images | MediaPunch || Bonez: imago images | Jan Huebner || Logo: Hype Awards

Der Echo hat sich 2018 selbst abgeschafft und dafür haben Rapper gesorgt. Nach dem Skandal um Farid Bang und Kollegah war der ehemals größte deutsche Musikpreis nicht mehr tragbar. Künstlerinnen und Künstler gaben ihre Preise zurück, irgendwann gaben die Veranstaltenden auf. Der Grund: Die Zahlen waren entscheidend für die Preisvergabe, nicht die Qualität der Musik. Deshalb gewannen auch Freiwild oder eben Kollegah.

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Jetzt gibt es einen neuen Preis, der indirekt eine Reaktion auf den Echo ist: die Hype Awards. Farid Bang und Kollegah sind nicht nominiert, dafür aber ein Großteil der erfolgreichsten deutschen Rapperinnen und Rapper, unter anderem Capital Bra, Nura und Mero. Veranstaltet wird der Award von der Bookingagentur Streetlife International, der PR-Agentur Die Marina und der Werbeagentur Dojo, die unter anderem für die Veranstaltungsreihe "Die 50 schönsten Rapper" verantwortlich war. Sido ist Schirmherr. Der Award soll "eine neutrale Plattform von der 'Szene' und für die 'Szene'" sein, schreiben die Veranstaltenden in einem Statement. Rap soll also endlich nicht mehr als böses Stiefkind der Pop-Musik behandelt werden, wie es beim Echo noch der Fall war, sondern im Mittelpunkt stehen.


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Die Selbstbeschreibung der Hype Awards: "Sie vereinen die Stars der urbanen Szene und geben Street Culture in Deutschland den Respekt, den sie schon lange verdient". Rap, das ist mit der sogenannten "Street Culture" offensichtlich gemeint, ist die relevanteste Musik in Deutschland. Zumindest für junge Menschen. Die Verkaufs- und Klickzahlen sprechen dafür. Es ist also völlig in Ordnung, diesen Erfolg auch zu honorieren. Heißt: Alle feiern sich einen Abend lang ordentlich selbst ab. Verdientermaßen. War ja beim Echo auch nicht anders. Das Problem ist nur, dass beim Abfeiern der eigenen Szene schon im Vorfeld der eigentlichen Award-Verleihung am 10. Juli wichtige Details übersehen wurden, die kein Grund zum Feiern, sondern ein Grund zum Heulen sind.

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Bonez MC, der sich vor Kurzem noch auf seinem Instagram Account über sexualisierte Gewalt lustig gemacht hat, ist jetzt für eben diesen Instagram Account in der Kategorie "HYPE Instagram Account" nominiert. Der Rapper 6ix9ine, der wegen sexuellem Missbrauch einer 13-Jährigen verurteilt wurde, ist für einen Song mit Gringo in der Kategorie "HYPE Video" nominiert. Die Frage ist: Wie kann sowas passieren? Muss man diese Künstler wirklich für einem Preis nominieren? Herrscht bei den Verantwortlichen auch nach #metoo keine Sensibilität für solche Themen, ist es ihnen schlichtweg egal?

Die Presseverantwortliche der Awards wollte VICE gegenüber in der vergangenen Woche öffentlich keine Stellung beziehen, sagte aber, dass gerade ein Statement zur Sache vorbereitet werden würde. Juroren, die anonym bleiben möchten, sagen, dass von der Hype-Award-Organisation am selben Tag noch eine Mail rumgeschickt wurde, in der sie ihre Meinung zu Bonez MC abgeben sollten. Im Hintergrund wurde also spätestens seit vergangener Woche an einem Plan gearbeitet, wie das Problem geklärt werden kann. Doch wie kam die Nominierung überhaupt zustande?

Verantwortlich dafür sind sowohl die Veranstaltenden als auch die Jury, die aus Labelmitarbeitern- und -mitarbeiterinnen, Produzenten und Produzentinnen, Journalisten und Journalistinnen und Moderatoren und Moderatorinnen, also aus denjenigen besteht, die neben den Künstlerinnen und Künstlern das Sagen in der sogenannten Rapszene haben. Die Organisatoren der Awards haben für jede Kategorie eine Vorauswahl von 10 bis 20 Künstlerinnen und Künstlern getroffen. Die Liste ist nicht öffentlich, liegt VICE aber vor. Die Vorauswahl basiert auf Verkaufszahlen, auf Klickzahlen, auf Followerzahlen und Abonnenten, auf Fakten also, nicht auf Geschmäckern. Darin gleichen die Hype Awards dem Echo. Um überhaupt für einen Award in Betracht gezogen zu werden, muss man nicht nur gute Kunst machen, sondern es müssen auch die Zahlen stimmen.

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Der Unterschied zum Echo ist aber, dass eine Expertenjury aus dieser Vorauswahl eine Top 5 auswählen durfte – die öffentlichen Nominierungen. Wer den Preis gewinnt, das entscheiden die Fans in einem mittlerweile beendeten Online-Voting.

Was bringt es einer Künstlerin, den Award "Hype Künstlerin" zu gewinnen, wenn in einer anderen Kategorie jemand ausgezeichnet wird, der sich über Gewalt gegen Frauen lustig macht?

Teile der Jury, bestehend aus all jenen, die in der Rapszene Verantwortung tragen, sind also verantwortlich dafür, dass Bonez MC und 6ix9ine überhaupt erst nominiert wurden. Das ist traurig. Das zeigt, dass die aktuelle Sexismusdebatte viele Beteiligte gar nicht zu interessieren scheint und dass Beteiligte bei genügend Klicks und Erfolg über Frauenfeindlichkeit hinwegsehen können. Mit solchen Nominierungen schaden die Hype Awards der "Street Culture" eher, als sie zu unterstützen. Denn solche Fehltritte überschatten die vielen richtigen und wichtigen Auszeichnungen, werten sie ab. Was bringt es einer Künstlerin, den Award "Hype Künstlerin" zu gewinnen, wenn in einer anderen Kategorie jemand ausgezeichnet wird, der sich über Gewalt gegen Frauen lustig macht?

Wäre es ausschließlich nach Zahlen gegangen, hätte die Liste der Nominierten womöglich ganz anders ausgesehen.

Die nicht-öffentliche Vorauswahl zeigt das. Darin war neben Bonez MC unter anderem Gzuz, der im letzten Jahr wegen sexueller Belästigung beim Splash! Festival verurteilt wurde, ausgewählt. Leon Lovelock, der auf seinem Channel immer wieder Verschwörungstheorien reproduziert, war in der Vorauswahl zum "HYPE-Youtuber". Kollegah war ebenfalls mehrfach gelistet – neben vielen völlig unproblematischen Künstlerinnen und Künstlern, für die sich die Jury entschieden hat.

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Niemand muss mit einem Award ausgezeichnet werden, nur weil die Klickzahlen gut sind.

Es geht nicht um eine Zensur der Musik dieser Künstler, nicht um einen generellen Boykott. Es geht darum, diese Künstler nicht auch noch auszuzeichnen, wenn sie für Gewalt gegenüber Frauen verurteilt wurden oder sich auch abseits ihrer Musik darüber lustig machen. Niemand muss mit einem Award ausgezeichnet werden, nur weil die Klickzahlen gut sind.

Mehrere Jury-Mitglieder sagen gegenüber VICE, dass sie nicht für Bonez MC gestimmt haben und dass sie keine Ergebnisse des Jury-Votings einsehen durften. Wie viele Personen ihre Stimme also tatsächlich für Bonez MC oder 6ix9ine abgegeben haben, bleibt unklar. Die Veranstaltenden wollen sich dazu nicht äußern.

Am 1. Juli sind die internen Diskussionen abgeschlossen. Das Fazit: Sowohl Bonez als auch 6ix9ine bleiben weiterhin nominiert. "Die HYPE Awards und unser gesamtes Team stehen für einen gemeinsamen und unerschütterlichen Wertekosmos aus Diversität, Toleranz und Gleichberechtigung. Wir verurteilen Gewalt in jeglicher Form", heißt es in einem Statement. Und: "Wir vertrauen genauso in unser demokratisches Votingsystem, welches auf Zahlen, Fachjury und den Votes der Fans basiert, wie in den deutschen Rechtsstaat. Insofern sehen wir uns nicht in der Position, Künstler vorzuverurteilen und von unserem Award auszuschließen."

6ix9ine wurde aber nun mal verurteilt, einige der Künstler aus der Vorauswahl wie Gzuz ebenfalls, und Bonez hat sich zumindest über häusliche Gewalt lustig gemacht, während gegen ihn noch immer ein Verfahren genau deswegen läuft. Diese Nominierungen widersprechen also dem im Statement angeführten Wertekosmos.

Die letzte Entscheidung haben nun die Fans. Sie könnten Bonez MC und 6ix9ine zu Gewinnern küren. Damit würden sich die Hype Awards selbst demontieren, weil Jury und Veranstaltenden es verpasst haben, geschlossen klare Haltung zu zeigen, bei einem Preis, den Deutschrap eigentlich verdient hätte.

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