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Sex

Diese Glaubensgemeinschaft betet Penisse an

Gott sei sehr phallozentrisch, sagen die Mitglieder des Temple Priapus. Wir haben einen Tag mit dem Gründer verbracht.
Francis Cassidy, der Hohepriester des Temple Priapus | Alle Fotos: Keith Race

Eine riesige Penisskulptur des deutsch-kanadischen Künstlers Peter Flinsch fällt sofort ins Auge, aber auch die restliche Dekoration des Kellergewölbes ist mehr als außergewöhnlich: Peniskerzenhalter, Penistassen, Penisfotos und -bilder, wohin man auch blickt. Wir befinden uns nicht am Set eines Pornos, sondern im Versammlungsraum einer Kirche.

"Ich glaube an dich, wunderschöner Phallus, an deine Stärke und Macht, an deine Fähigkeit, uns Freude zu bringen, wenn du gelutscht oder masturbiert wirst. Du bietest uns Steifheit, Schönheit, Energie und dein makelloses Sperma", beten die Besucher des sogenannten Temple Priapus, der im kanadischen Montreal gegründet wurde. Die Mitglieder der penisfokussierten Kirche glauben daran, dass alle Schwänze gleich sind: "Ich glaube ohne Diskriminierung an die Gleichheit aller Penisse – egal ob schwarz oder weiß, ob groß oder klein."

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Ein typischer Gottesdienst des Temple Priapus beginnt damit, dass sich alle Anwesenden ihrer Klamotten entledigen. Nur der Hohepriester darf eine Robe tragen. Dann stimmen die Kirchenmitglieder ein Loblied über die namensgebende griechische Mythologiefigur Priapos (im Englischen wird die latinisierte Schreibweise "Priapus" bevorzugt) an und begrüßen sich, indem sie sich gegenseitig ans Geschlechtsteil fassen und sich küssen. Es folgen weitere Lesungen und eine Predigt, ein Spendenbeutel wird herumgereicht. Die Zeremonie endet schließlich mit einer "fleischlichen Kommunion", bei der sich die Mitglieder selbst befriedigen, um ihr Sperma als Opfergabe zu bringen.


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Angefangen hat alles Ende der 70er Jahre, als Francis Cassidy, ein schwuler junger Mann aus Montreal, Urlaub in San Francisco machte. Dort lernte der Sozialarbeiter eine Gruppe Homosexueller kennen, die sich regelmäßig traf, um das männliche Geschlechtsteil anzubeten. "Bei ihnen ging es allerdings nicht nur um Schwänze, sie setzten sich auch für die LGBTQ-Community ein", erzählt Cassidy. "Sie halfen zum Beispiel jungen homosexuellen Obdachlosen weiter."

Als sich der Temple Priapus in San Francisco 1979 auflöste, beschloss Cassidy, einen Ableger in Montreal zu gründen und ihn in seinem Keller zu beherbergen. Seitdem nimmt er als Hohepriester seiner Religion regelmäßig an Pride-Paraden in verschiedenen Städten teil und hilft anderen Menschen dabei, eigene Ableger der Kirche zu etablieren. Inzwischen zähle der internationale Temple Priapus mehrere Hundert Mitglieder auf der ganzen Welt, sagt Cassidy.

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"Es ist wichtig, dass sich jedes unserer Mitglieder sicher fühlt und dass potenzielle Anwärter vor allem aus spirituellen und nicht nur aus sexuellen Gründen mitmachen wollen."

Die Philosophie seiner Kirche sei sehr einfach: Im Mittelpunkt stehe die Verbindung von Sexualität und Spiritualität. Aber auch die Freundschaft und der Zusammenhalt zwischen den Kirchenmitgliedern ist für Cassidy zentral. Da er in einem streng katholischen Haushalt aufwuchs, habe er lange nicht gewusst, wie er Anschluss zu anderen Menschen finden sollte, die sich so fühlten wie er.

Die Kirche selbst ist von verschiedenen Glaubensrichtungen inspiriert. "Unsere Penisanbetung beruht zu großen Teilen auf indischen Traditionen. Aber viele Mitglieder sind ehemalige Katholiken, auch hier gibt es diverse Bezugspunkte", erklärt Cassidy. Priapos, der griechische Gott der Fruchtbarkeit, dient wie erwähnt als Namenspate der Kirche. Wie auf der Website der Gemeinschaft zu lesen ist, personifiziere Priapos die männliche Zeugungsfähigkeit.

2018 stellt sich – auch angesichts der #metoo-Kampagne – die Frage, ob es nicht etwas veraltet und ausschließend ist, Penissen zu huldigen. "Bei uns geht es zwar darum, den Phallus anzubeten, aber bei anderen Religionen werden ja auch Frauen verehrt – und damit habe ich auch kein Problem", sagt Cassidy. Es komme nur selten vor, aber einigen Ablegern der Priapos-Kirche hätten sich auch schon heterosexuelle Ehepaare angeschlossen. Anfangs gab es neben Cassidy nur zwei weitere Mitglieder im Temple Priapus. Jetzt sind es in Montreal laut dem Hohepriester um die zwanzig, fünf oder sechs seien jeden Monat beim Gottesdienst dabei.

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Um dem Temple Priapus beizutreten, muss man zuerst eine Art Sicherheitscheck durchlaufen. "Es ist wichtig, dass sich jedes unserer Mitglieder sicher fühlt und dass potenzielle Anwärter vor allem aus spirituellen und nicht nur aus sexuellen Gründen mitmachen wollen", erklärt Cassidy. "Bei uns geht es darum, unser spirituelles Wesen, unsere Bedeutung als Menschen mit unseren Phalli zu verbinden."

Die Religionsfreiheit legitimiert die Existenz der Priapos-Kirche, dennoch kommt einem schnell der Gedanke, dass diese Glaubensgemeinschaft vielleicht nur einen Vorwand sucht, um Orgien zu feiern. Auf die Kritik hat Cassidy eine passende Antwort: "Eigentlich ist 'Orgie' auch nur ein altertümlicher Begriff für ein heiliges, spirituelles Zusammenkommen. Die Betonung liegt dabei auf spirituell", sagt er. Wer nur Sex haben wolle, könne auch diverse andere Etablissements aufsuchen. "Dafür ist man hier an der falschen Adresse."

In Cassidys Keller herrschen entsprechende Regeln. Offene Trunkenheit, Gewalt, harte Drogen, Nichtachtung des Hohepriester und seiner Auserwählten, Kleidung und Analsex ohne Kondom haben im Temple Priapus nichts zu suchen. Weitere Regeln kann das sogenannte Gremium der phallischen Berater jederzeit erlassen.

Cassidy ist der festen Überzeugung, dass seine Religion perfekt in die entspannte Kultur und Einstellung Montreals passt. "Jeder hat seinen eigenen Weg zur Wahrheit und göttlichen Zufriedenheit", sagt er. "Für uns ist dieser Weg eben der Penis."

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