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Popkultur

Bild-für-Bild-Analyse: Ein Mann fällt die Treppe runter und landet im Fluss

Was können wir von diesem viralen Video über uns lernen? Nichts. Es ist einfach nur witzig. Hör auf, immer etwas lernen zu wollen.
Alle Bilder sind Screenshots von YouTube aus dem Video "Hilarious video as man tumbles down set of steps into Thames"von AB TV

Hast du das Video schon gesehen? In England ist es gerade der heiße Scheiß. Bei Twitter hatte es über eine Million Views, aber da kannst du es jetzt nicht mehr sehen. Im Internet verschwindet aber natürlich nie etwas wirklich. Hier, guck mal:

Ich habe mir das Video richtig oft angeschaut. Wie du bestimmt bemerkt hast, spielen hier zwei komplett gegensätzliche Emotionen eine wichtige Rolle: ausgelassene, spitzbübische Vorfreude auf der einen Seite, abgrundtiefe Scham und Erniedrigung auf der anderen. Es geht alles so gut los für die Jungs. Es ist heiß in London, die Sonne brennt und die beiden wollen sich einen kleinen Spaß erlauben. T-Shirt aus und ab geht's ins kühle, braune Nass. Aber dann passiert das im Grunde genommen vielleicht gar nicht so Unfassbare: Einer der beiden rutscht aus und auf dem Bauch eine schier unendliche Zahl Stufen hinunter ins Wasser. Da liegt er dann: in Jeans und Schuhen, oben ohne und mit dem Gesicht in der Themse. Nach einem Moment – einer gefühlten halben Ewigkeit, in der ihm garantiert sehr viele, sehr wichtige Gedanken durch den Kopf gehen – steht er auf, klitschnass und gedemütigt, zieht sich das schlammig-triefende T-Shirt wieder an, als wolle er so tun, als sei das eben alles nicht geschehen.

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Das Leben dieses Mannes lässt sich in zwei Hälften unterteilen. Hier, unschuldig, fröhlich, voller Hoffnung und Vorfreude:

Und dann hier, nach dem Fehler in der Matrix, rot vor Scham, durchnässt und oberkörperfrei in der Themse:

Kannst du dir vorstellen, von diesem Moment …

… zu diesem zu kommen?

In etwa drei Sekunden hat sich dein Leben drastisch verändert. Du wirst nie wieder der Mann vom Treppenanfang sein.

Wir müssen uns auch damit befassen, dass dieser Typ eigentlich in die Themse wollte – bis er begann, sang- und klanglos in die Themse zu rutschen. An diesem Punkt wollte der Mann nicht mehr in die Themse, aber er konnte sich nicht mehr aus der Abwärtsbewegung befreien, die ihn unweigerlich in den Fluss führte, ohne Rücksicht auf seine Befindlichkeiten und eventuelle Meinungsänderungen. Der Mann wollte in die Themse, bis die Themse zu ihm kam.

Das ist in meinen Augen das wirklich Traurige an diesem Video: Zuerst freut sich der Mann darauf, in die Themse zu gehen. Er genießt mit seinem Kumpel einen heißen Tag am Flussufer. Geil. T-Shirt aus. Und dann rutscht er aus, absolviert eine recht ansehnliche 180-Grad-Drehung, versucht noch, sich bäuchlings an den Stufen festzuklammern, ist aber machtlos gegen Treppenglibsch und Schwerkraft. Jetzt hat er keine Lust mehr auf die Themse. Jegliche Freude ist aus ihm gefahren. In diesem Augenblick – diesem langen, endlosen Augenblick, in dem er einfach rutscht, rutscht, rutscht und rutscht – wird er Schrödingers begossener Pudel, der gleichzeitig unbedingt in den Fluss und definitiv nicht in den Fluss will.

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Wir fallen hin – das passiert. Unsere Füße rutschen weg, wir stolpern und legen uns auf die Nase. Wir alle sind ein bisschen Körperklaus. Jeder von uns ist irgendwann mal eine Treppe runtergefallen. Auch du! Ich würde allerdings sagen, dass es eine gemeinhin akzeptable Dauer gibt, die man eine Treppe hinabstürzen, beziehungsweise -rutschen kann. Und die ist nicht besonders lang. Bald kommt der Punkt, an dem sich der Unglücksmoment für den allgemeinen Geschmack etwas zu sehr in die Länge zieht. Danach kommt der Moment, an dem man definitiv schon längst etwas gegriffen und sein Rutschen gestoppt haben sollte. Und wenn dieser Punkt überschritten ist, kommt die totale "Alter, fällst du etwa immer noch?"-Schmach. Jede einzelne Stufe – haha – dieses Prozesses ist hier wunderschön zu sehen:

"Ooh, krass!"

"Alles OK?"

"… immer noch?"

"Junge! Reiß dich mal zusammen!"

Ein paar Worte zur Entstehung des Videos: Dieses Video hätte es nie geben sollen. Überhaupt hatte ich am Anfang das Gefühl, dass das schadenfreudige Spektakel von vorne bis hinten gestellt ist. Ich hatte nur halb Recht. "Hier sind wir, da ist Henry", sagt die Stimme aus dem Off, "und hier sind wir an der Themse. Und plötzlich hatten … oh, Moment, was ist da los? Da sind zwei Typen, die in …" [Ein Mann rutscht ewig lange ein paar Stufen runter; Lachen so laut, dass es wehtut.]

Wie sich herausstellt, waren die vier Herren, also die zwei hinter der Kamera und die zwei auf der Treppe, auf einer Art Schnitzeljagd durch London unterwegs. #fun. Die ganze Sache lief auch nach Plan und voll und ganz im Sinne der Personalabteilung, bis ein junger Mann begann, eine Treppe runterzurutschen, und nicht zu rutschen aufhörte, bis 12 Monde, respektive Stufen ins Land gezogen waren und nichts mehr war wie vorher.

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Wir alle haben in unserem Leben Peinliches erlebt. Ich fange mal an: Mein peinlichster und demütigendster Augenblick ereignete sich zur Schulzeit während einer großen Pause. Ich war ein extrem fetter Junger und sah ein bisschen aus wie eine 40-jährige Fernsehmutti. Als Oberstufenschüler durften wir in den Pausen das Schulgelände verlassen, um in die nahegelegenen Geschäfte zu gehen oder zu rauchen. Also stell dir Folgendes vor: Die rauchenden Cool-Kids stehen an der Hauptstraße, die direkt an unserer Schule vorbeiführt, und ich, der fette offensichtlich weniger coole Junge, watschele zum Zebrastreifen.

Ich befinde mich auf etwa der Hälfte des Zebrastreifens, als ich plötzlich sehe, wie ein Lkw mit einer ziemlichen Geschwindigkeit auf mich zukommt. In meinem Gehirn spielen sich chaotische Szenen ab. Mein linkes, vorderes Bein geht nach vorne, um die andere Straßenseite zu erreichen, bevor der Lkw mich umbringt; mein rechtes, hinteres Bein aber will umkehren, um mich bei den rauchenden Cool-Kids in Sicherheit zu bringen. Panik. Kalter Schweiß. Ein Moment des totalen Wahnsinns. Etwas in meinem motorischem Zentrum läuft gehörig schief, mein Körper versagt. Ich mache einen Spagat.

Stell dir jetzt den Lkw-Fahrer vor, der sein Gefährt mehr als pünktlich zum Halten bringt, und was er vor sich sieht: einen fetten, verängstigten Jungen, der Mitten auf der Straße einen Spagat macht. Komplett grundlos.

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Der Mann lacht so sehr, dass er nicht weiterfahren kann. Hinter seinem Lastwagen staut sich der Verkehr, auch Minuten später noch. Jedes einzelne Cool-Kid der Schule sieht zu, wie ich versuche, wieder auf meine Beine zu kommen – unbeholfen, angestrengt und mit entblößter Arschritze.

Jeder von uns hat also einen peinlichsten Moment in seinem Leben. Und aus eigener Erfahrung – siehe oben – kann ich sagen, dass das hier wahrscheinlich der des Treppenrutschers ist. Er wollte eigentlich nur so tun als ob. Ein harmloser Spaß unter Kollegen – ja, vielleicht Freunden – für ein unschuldiges Video für das Büro. Was er bekam, waren Erniedrigung und böses Gelächter.

Oh, stimmt, fehlt noch ein Fazit: Die Themse ist der Tod, die Stufen sind wir alle, das unaufhaltsame Hinabschliddern des Mannes in die braune Brühe ist unser Weg durchs Leben. Wir starten voller Hoffnung, aber werden von den spiegelglatten Stufen des Kapitalismus besiegt, rutschen auf unseren Schulden wie auf Vogelscheiße unserem unrühmlichen Ende entgegen. Ja, sind wir nicht alle irgendwie Oben-Ohne-Typen, die für immer auf irgendwelchen Treppen in dreckige Flüsse rutschen?

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