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Geflüchtete Familie wird nach fünf Jahren aus Haus geworfen – weil in der Nähe eine Obdachlosenunterkunft entsteht

"Die Nachbarschaft ist sehr sensibel", sagte der Vize-Leiter des Sozialamts Münster.
Symbolfoto: imago | Gustavo Alabiso

Es ist eine ziemlich perfide Strategie, Menschen gegeneinander auszuspielen, deren gesellschaftliche Position ohnehin nicht gerade der eines privilegierten Bankangestellten mit Sportwagen und Eigentumswohnung entspricht. Die Maßnahmen, die die Stadt Münster im vergangenen Jahr getroffen hat, machen aber genau das: Weil ein paar Häuser weiter eine Obdachlosenunterkunft entsteht, wird eine siebenköpfige kurdische Geflüchteten-Familie Mitte Juli aus ihrem vom Bund bereitgestellten Haus geworfen. Die Erklärung klingt merkwürdig bis unverschämt.

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Fünf Jahre ist es her, dass die kurdische Familie Murad aus Nordsyrien nach Deutschland flüchtete. Seitdem, so heißt es in den Westfälischen Nachrichten, leben die Eltern und ihre fünf Kinder in einem Reihenhaus mit fünf Zimmern und kleinem Garten. Dort muss die Familie allerdings bis in zwei Wochen ausgezogen sein: Weil ein paar Häuser vom aktuellen Wohnort der Familie Murad entfernt eine Unterkunft für 50 Obdachlose eingerichtet werden soll, hat die Stadt Münster bereits im vergangenen Jahr entschieden, dass die Familie in eine Sammelunterkunft für Geflüchtete ziehen muss.

Der stellvertretende Leiter des Sozialamts, Heinz Lembeck, sagte gegenüber den Westfälischen Nachrichten: "Wir haben uns entschieden, die Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft freizuziehen. Die Nachbarschaft ist sehr sensibel." In dem Bericht heißt es weiterhin, die Verwaltung habe Familie Murad schriftlich dazu aufgefordert, bis zum 17. Juli auszuziehen. Andernfalls drohten eine Zwangsräumung und Kosten in Höhe von 500 Euro.


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Sie sollen weichen, und das, obwohl die Stadt nicht einmal einen konkreten Plan dafür hat, wer anschließend in das Haus der Familie ziehen soll. Gegenüber VICE sagte ein Sprecher der Stadt, womöglich werde es gemeinsam mit anderen als Geflüchtetenunterkünfte genutzten Häusern an die Bundesanstalt zurückgegeben, der sie gehören: "Die Immobilien sollen vermarktet und dem allgemeinen Wohnungsmarkt zugänglich gemacht werden." Den Westfälischen Nachrichten erklärte Heinz Lembeck, auch andere Geflüchtete hätten ihre Häuser verlassen müssen.

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Wenn es nach der Stadt geht, lebt die siebenköpfige Familie ab Juli in zwei Zimmern

In der Sammelunterkunft steht der Familie nun eine etwas andere Wohnsitation bevor: Dort müssten die Murads in zwei Zimmern wohnen und sich Küche und Bad mit anderen Geflüchteten teilen, heißt es in den Westfälischen Nachrichten. "Wir alle in zwei Zimmern, das geht nicht", zitiert die Zeitung Ahmed, den ältesten und einzigen Sohn der Familie, laut seinem Facebook-Profil ist er 16. Die Straße, in der sie leben, führt durch zwei Stadtteile, der Bus hält an fünf verschiedenen Haltestellen. Doch um Geflüchtete und Obdachlose in Häusern entlang der Straße unterzubringen, scheint der Platz nicht zu reichen.

Ein Sprecher der Stadt Münster erklärte gegenüber VICE, das Haus, das bisher zu den offiziellen Geflüchteteneinrichtungen der Stadt gehörte, sei ohnehin nur eine Übergangslösung gewesen: "Der Familie standen dort circa 84 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung", schrieb er in einer Stellungnahme, "in der neuen kommunalen Einrichtung für Geflüchtete werden ihr ebenfalls mindestens 84 Quadratmeter zur Verfügung stehen." Allerdings würden in den Geflüchtetenunterkünften, wie die Familie nun eine beziehen soll, insgesamt bis zu 50 Personen leben.

Der stellvertretende Leiter des Sozialamtes, Heinz Lembeck, sagt, er wisse, dass der Umzug eine Verschlechterung für die Familie bedeute. Gleichzeitig, so zitiert ihn der Bericht der Westfälischen Nachrichten, fördere die Maßnahme die Integration: "Die Flüchtlinge bemühen sich dann intensiver, eine eigene Wohnung zu finden." Eine nicht wirklich überraschende Erkenntnis.

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