Ich habe beim Ganja-Yoga versucht, durch Meditation high zu werden
Fotos: Mona-Lisa Fiedler

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Drogen

Ich habe beim Ganja-Yoga versucht, durch Meditation high zu werden

"Bring dein eigenes Weed, eine Yoga-Matte und zehn Euro mit."

Es ist 21 Uhr am Donnerstagabend, als mir eine unbekannte Nummer über WhatsApp kommentarlos eine Audio-Datei schickt. Die kratzige Stimme einer älteren Dame lädt mich für den nächsten Tag zum Ganja-Yoga ein, in einen Park in Berlin-Friedrichshain. Ich soll mein eigenes Weed, eine Yoga-Matte und zehn Euro mitbringen. Als ich mir das Tonband noch einmal anhören will, ist die Nachricht aus dem Verlauf gelöscht. Trotzdem marschiere ich Freitag um 18:45 Uhr entschlossen in Gesundheitsschlappen und Leggings und mit der Yoga-Matte unterm Arm in den Park am Boxhagener Platz.

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Es ist keine einfache Aufgabe, an einem heißen Tag in einem Berliner Park eine Gruppe zu finden, die eigentlich nicht gefunden werden will. An diesem sommerlichen Freitagabend bevölkern bis zu den Fingern tätowierte Pärchen, Billigsekt trinkende Frauengrüppchen und Öko-Familien in Leinhosen die löchrige Wiese des Boxhagener Platz. Die einzigen älteren Frauen, die ich sehe, sind Obdachlose, die auf den Sitzbänken am Rand neben ihren mit Pfandflaschen gefüllten Einkaufswagen sitzen. Unter einem Baum am hinteren Ende des Parks erspähe ich eine hellgrüne, zusammengerollte Yoga-Matte. Die dazugehörige Gruppe – drei junge Frauen und ein Mann – sitzt im Schneidersitz um ein violettes Fransentuch, in der Mitte thronen ein Teelicht und ein brauner Umschlag für die zehn Euro Teilnahmegebühr. "Seid ihr die Yoga-Gruppe?", raune ich einer barfüßigen Frau mit brauner Flechtfrisur und lila Eyeliner zu.


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Sie hält mir ihre rechte Hand hin und stellt sich in breitem amerikanischen Englisch als Yogalehrerin und Kursleiterin der Ganja-Session vor. In den nächsten 20 Minuten stoßen noch zwei Frauen und zwei Männer hinzu. Einer der beiden ist Keshava, ein dünner, weißer Mann mit Vollbart, getönten Brillengläsern und Sonnenhut. Der 41-Jährige macht seit sechs Jahren immer mal wieder bekifft Yoga und hat den heutigen Kurs – das ersten semi-offizielle Berliner Ganja-Yoga überhaupt – organisiert. Keshava heißt eigentlich anders, doch weil öffentliches Kiffen in Deutschland noch nicht legal ist, tritt der Hanf-Aktivist unter einem Yogi-Namen auf, den er in Indien erhalten hat.

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Bekifftes Yoga als ultimative Bewusstseinserweiterung

Keshava erzählt, dass erfahrene Yogi im Himalaja-Gebirge es durch Meditation schaffen, ihre körpereigenen Cannabinoide zu aktivieren und ganz ohne Marihuana high werden. Was nach einer abenteuerlichen These aus dem Yoga-Universum klingt, haben Forscher 2015 mit einem ähnlichen Experiment zumindest teilweise belegt: Sie fanden in Tierversuchen heraus, dass beim Laufen körpereigene Cannabis-Rezeptoren – sogenannte Endocannabinoide – aktiviert werden und für ein Hochgefühl sorgen, das einem Rausch ähnlich ist.

Weil die meisten Teilnehmer unserer Veranstaltung aber alles andere als erfahrene Yogis sind, holen wir uns das Gras als Rauschmittel dazu – quasi high mal zwei. Der 20. April als Welt-Kiffer-Tag eigne sich zur Einführung perfekt, sagt Keshava: "Ganja-Yoga öffentlich und mit anderen Leuten zu machen, ist an diesem 4/20 mein Beitrag zum Kampf für die Legalisierung."

Boxhagener Platz Yoga-Gruppe

An einer grünen Yoga-Matte erkenne ich die Ganja-Gruppe

Der Kampf, von dem Keshava spricht, ist ein ziemlich friedlicher. Den Nachmittag des Kiffer-Feiertags hat der Aktivist beim Smoke-In im Görlitzer Park verbracht, nun will er mit anderen Menschen stoned Yoga-Übungen wie den "Downward-Facing Dog" oder das "Happy Baby" machen. "Harmloser als die Kombi aus Yoga und Weed geht es nicht", sagt Keshava. Und doch schaut er sich an diesem Freitagabend kurz unsicher um, bevor er zwei Joints und einen mit Bio-Gras gefüllten, silbernen Vaporizer auf dem Tuch vor sich ausbreitet. Der Besitz von Marihuana ist strafbar, die "geringe" Menge zum Eigengebrauch, bei der die Staatsanwaltschaft von einer Strafverfolgung absehen kann, ist in jedem Bundesland unterschiedlich. Gras zu konsumieren, ist nicht grundsätzlich verboten.

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"Wir sind in einer rechtlichen Grauzone", sagt Keshava, "deshalb habe ich auch versucht, nur die wichtigsten Infos zum Event an euch weiterzuleiten." Die Audio-Datei, die mich noch am Vorabend an der Seriosität der Veranstaltung hatte zweifeln lassen, hat "Oma Barbara" eingesprochen – eine 75-jährige, pensionierte Apothekerin, die in Keshavas Nachbarschaft wohnt. Während Keshava von Oma Barbaras entspannter Einstellung zu Gras schwärmt, werden die Joints und der Vaporizer mal im Uhrzeigersinn, mal quer über das Baumwoll-Tuch hin und her gereicht. Als die Sonne untergeht, schwelgt unsere Gruppe in einem süßlich-vernebelnden Duft aus verbranntem Bio-Weed. Die ersten klinken sich zufrieden schaukelnd und mit roten Augen aus der Konversation aus, während um uns herum Kinder, Hunde und englischsprechende Rucksackträger laufen.

Kurz nach 19:30 Uhr packen wir die beiden Joint-Stummel und unsere Unterlagen zusammen und schlendern zur Location für unsere Yoga-Stunde – in den psychedelischen Buchladen "Kali" hinterm Park.

Im psychedelischen Bücherladen wollen wir das meditative High erreichen

Das Geschäft liegt direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite und ist das Klischee einer Location für einen meditativen Rausch: Zwischen bunten Trip-Mustern stehen im orange-schummrigen Licht Bücher zu Themenkategorien wie "Psychedelische Pflanzen und Pilze", "Was ist LSD?" oder "Wer bin ich?". Als ich meine blaue Yoga-Matte neben dem Bücherregal ausbreite, halte ich mir etwas besorgt vor Augen, wer ich bin: eine blutige Yoga-Anfängerin. Doch noch während wir uns zum Start der Session im Schneidersitz auf unseren Matten niederlassen, versichert die Yoga-Lehrerin uns, dass wir uns heute nicht auf komplizierte Positionen konzentrieren, sondern einzig und allein auf die meditative Erfahrung zwischen Körperbewusstsein, Atemtechnik und Rausch.

Zur Feier des ersten Ganja-Yoga haben sie und Keshava zwei zusätzliche Gäste eingeladen. Auf einer erhöhten Sitzecke im hinteren Bereich der Bücherei sitzen Miroslav und Violetta. Die beiden Musiker werden unser Erlebnis anderthalb Stunden lang mit Klangschalen, einer Panflöte und einem Didgeridoo musikalisch begleiten. Mehr Yoga-Klischee geht kaum, denke ich. Eine Kursteilnehmerin hat sich mittlerweile ein Paar Shorts mit Schachbrett-Muster übergezogen, eine andere einen engen Overall mit Galaxy-Muster. Ich behalte meine Kombination aus Leggings und Schlabbertop an und schlüpfe aus meinen Sandalen.

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Kali psychedelic bookstore Ganja-Yoga

Für die Yoga-Stunde schlendert die Gruppe in den psychedelischen Buchladen

Schon während wir mit geschlossenen Augen im Liegen die ersten Atemübungen machen, falle ich in eine Art Trance. Ich konzentriere mich ganz darauf, meine Lungen zu fühlen, den Brustkorb anzuheben und ihn schließlich langsam wieder in sich zusammenfallen zu lassen. Die dumpfen Klänge der Schalen rücken in weite Ferne. Wer in seinem Leben einmal bekifft war, kann sich sicher vorstellen, dass das High jegliche Empfindung noch einmal verstärkt. Für den Typen neben mir ist es offensichtlich so intensiv, dass er bereits nach wenigen Minuten jegliche Versuche am Kurs teilzunehmen, aufgibt und für den Rest der Session regungslos auf dem Rücken liegt. Wir anderen strecken derweil abwechselnd unsere Arme, unsere Beine oder unsere Unterleibe in die Luft und versuchen, alle Fasern unserer Körper wahrzunehmen – mit geschlossenen Augen und unter tiefen Atemzügen.

Nur wenige Male schiele ich durch den Raum: Die dunkelhaarige Frau vor mir streckt mir ihre Füße entgegen, unter Keshavas Vollbart blitzt sein seliges Lächeln hervor und der runde Bauch des immer noch auf dem Rücken liegenden Typen neben mir hebt sich zu meiner Beruhigung auch nach dem dritten Mal Nachgucken rhythmisch auf und ab. Ein jüngerer Mann, der in der Mitte des Raumes auf dem Teppich liegt, hat sein T-Shirt ausgezogen und macht die auf den Knien kauernde Kindpose nun mit nacktem Oberkörper. Als die Yoga-Lehrerin mich bei einer meiner Musterungen mahnend anschaut, schließe ich ertappt die Augen und widme mich wieder meiner Atmung.

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Ich bin so spirituell wie ein Elvis-Priester, aber Ganja-Yoga hat mich überzeugt

Egal, ob ich beim Vulva Watching, bei der tantrischen Penismassage oder beim Brustmassage-Workshop war, mich mit meinem Körper auseinanderzusetzen, fand ich jedes Mal lehrreich, die spirituelle Ebene eher nicht so. Wenn wir uns in meditativen Workshops an den Händen halten und Energien austauschen sollten, wirkte das auf mich befremdlich bis lächerlich. Bevor ich zum Ganja-Yoga ging, war ich deswegen vor allem aufgeregt: Ich bekomme meinen Hintern kaum für den Schulterstand hoch, kann meine Erfahrungen mit Marihuana an zwei Händen abzählen und bin in etwa so spirituell wie ein Elvis-Priester in einer Las-Vegas-Hochzeitskapelle.

Yoga Meditation

Zwei Musiker begleiten die Yoga-Session mit meditativen Klängen

Bis auf vier tiefe kollektive Oms am Ende der Stunde, bei denen ich als notorische Spiritualitäts-Verweigerin lediglich die Lippen bewegte, war das Ganja-Yoga aber tatsächlich in erster Linie eine euphorisierende Erfahrung. Das mag an den meditativen Übungen liegen, am kollektiven High oder an dem beruhigenden Raum. Am Ende weiß ich: Allein für die Entspannung würde ich jederzeit wieder zum Ganja-Yoga gehen.

Als die Yoga-Lehrerin das Ende der Session verkündet, bedanken sich die anderen Teilnehmerinnen begeistert für die "majestätische Erfahrung", die Männer wirken zu high zum Sprechen. Die dunkelhaarige Frau, die vor mir lag, erzählt, sie habe sich eigentlich nie für Yoga begeistern können: "Ich fand immer, beim Yoga müsse man nur Posen nachmachen. Das ist mir schwer gefallen", sagt sie. Das Gras habe diese Blockade gelöst. Sie macht eine kurze Pause und fügt hinzu: "Das war wie eine Traumreise in meinen eigenen Körper." Die Yoga-Lehrerin ergänzt: "God bless Mary."

Keshava sagt, dass ihn das Marihuana die Stunde lockerer angehen lässt: "Ich bin in Gruppen schüchtern." Durch das Ganja habe er offen vor uns reden können – und es letztendlich auch geschafft, seine Mission zu erfüllen und andere Menschen von seiner Leidenschaft zu überzeugen. Keshava plant, das Ganja-Yoga auch weiterhin in Berlin anzubieten – in besonderen Locations wie dem psychedelischen Bücherladen oder in der freien Natur. "Vielleicht auf einer kleinen Insel in einem See", sagt er lächelnd.

Dann drückt er mir ein blassgelbes Stück Pappe in Visitenkartengröße in die Hand. Auf der Vorderseite stehen über pink-grünen Farbspritzern in tintenblauer Handschrift "420 Namaste" und eine Handynummer. Wenn ich mehr Infos haben wolle, müsse ich die Nummer anrufen, sagt Keshava. Oma Barbara nehme schon bald ein neues Tonband auf.

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