Was ich als Weihnachts-Verkäufer im Sex-Shop über Beziehungen gelernt habe
Alle Fotos: Yves Suter

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Was ich als Weihnachts-Verkäufer im Sex-Shop über Beziehungen gelernt habe

Seit 25 Jahren erlebt Steve, welche Geschenke über die Theke gehen.
Johanna Senn
aufgeschrieben von Johanna Senn

Die Erotik-Factory im Zürcher Kreis 4 sieht schlicht aus für einen Erotikmarkt. Wer hofft, beim Betreten auf dunkelrote Vorhänge und schummriges Licht zu treffen, ist an der falschen Adresse. Zwar liegen zahlreiche Toys gut sortiert auf den Tischen und hinter der Theke stehen unzählige Porno-DVDs im Regal, doch schmuddelig geht anders. Geschäftsführer Steve Temperli ist 52 Jahre alt war schon in der Erotikbranche tätig, als ihr noch das Einmaleins geübt habt. Er ist sich sicher, dass Stadtzürcher keinen Beistand auf der Suche nach der Klitoris brauchen und hilft allen horny Menschen da draussen, ein sexuell erfülltes Leben zu führen. Eine Studie der Aids-Hilfe zeigt, dass das wohl nicht nur auf Zürcher zutrifft: 4 von 5 Personen in der Schweiz sind mit ihrem Sexleben zufrieden. Doch Steve hat auch mit jenen zu tun, auf die das nicht zutrifft. Uns hat er erzählt, was er nach über 25 Dezembern im Sexshop über seine Kunden und vor allem über Beziehungen gelernt hat:

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In der Adventszeit nehmen sich die Leute gerne Zeit für sich. Das beinhaltet auch gemeinsame Stunden für Erotik in der Partnerschaft und die schönste Nebensache der Welt. Die Männer ziehen für ihre Freundin gerne die Spendierhose an. Das merke ich, weil im Dezember deutlich mehr Luxusvibratoren in Geschenkverpackung über die Theke wandern als an einem stinknormalen Dienstag im Juli.

Steve in seinem Reich, der Erotik Factory in Zürich

Eines vorweg: Ich würde nie denken, dass ihr es nicht mehr im Bett bringt, weil ihr einen Vibrator kauft. Ich finde es schön, wenn sich ein Mann Mühe gibt, eine Frau zu befriedigen. Die Angst, das heisse Weihnachtsgeschenk könnte eine Konkurrenz werden, ist meiner Meinung nach absolut unbegründet. Denn Toys bereichern das Sexleben. Wer an einem derartigen Mangel an Selbstbewusstsein leidet, dass er sich durch einen Vibrator bedroht fühlt, für den sind Toys in einer Partnerschaft sowieso kein Thema.

Ich bin schon mein Leben lang in der Erotikbranche tätig. Meine Karriere begann in einer Videothek. Bis ich die Idee hatte, einen Erotikladen zu eröffnen, in dem Sextoys und ähnliche Dinge ohne Schmuddel-Feeling gekauft werden können. Das hat so gut funktioniert, dass ich mittlerweile schon seit über 25 Jahren hinter der Theke stehe. In dieser Zeit habe ich so manches über Beziehungen gelernt und weiss, dass ihr zwischen Weihnachten und Neujahr besonders gerne eure Fantasien auslebt. Ich verstehe das. In dieser Zeit kann man ja auch wieder einmal so richtig Aufatmen.

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Ich kann zwar nicht abschätzen, was ihr gerne möchtet, wenn ihr das erste Mal gemeinsam meinen Laden betretet. Aber ich merke schnell, wenn ihr zum ersten Mal mit eurem Freund oder eurer Freundin im Sexshop seid. Meist daran, dass einer von euch motivierter ist als der Andere. Dabei traut sich nicht jedes Pärchen, gemeinsam zu uns zu kommen. Obwohl wir uns etwa mit der Präsentation der Produkte Mühe geben, damit jede Frau und jeder Mann erhobenen Hauptes hereinspazieren kann. Meist schickt aber entweder die Frau den Mann oder umgekehrt. Mir ist es dabei egal, wer von euch zu uns kommt. Hauptsache, ihr redet nicht allzu lange um den heissen Brei herum.

Für alle, die hier arbeiten, ist das ein ganz normaler Job und der normale Alltag. Ich stelle mir nicht vor, wie eure Freundin den Vibrator, den ihr eben bei mir gekauft habt, benutzt. Ein Bäcker denkt ja auch nicht an das "arme Brot", das soeben den Besitzer gewechselt hat. Für uns ist einzig und allein wichtig, dass ihr unseren Laden mit dem für euch passenden Produkt verlassen könnt und damit zufrieden seid. Mir ist bewusst, dass ihr einen Teil eurer Sexualität mit mir teilt und dass es sich hier um ein Vertrauensverhältnis handelt. So gehören auch konkrete Fragen zu Sexpraktiken wie Analsex zu meinem Job. Ich erkläre euch gerne, wieso eine Darmreinigung wichtig ist und welche Stellung sich besonders gut für das erste Mal eignet. Bist du alleine hier und hast keine Ahnung, was das passende Geschenk für deinen Partner sein könnte, mache ich gerne eine Tour durch den Laden mit dir und zeige, wie alles funktioniert. Aber die Entscheidung, was am besten zu dir oder deiner Freundin passt, musst letztendlich schon du selbst treffen.

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Da wäre es manchmal schön, die Heteropärchen würden sich ein Beispiel an der Gay-Szene nehmen: Da herrscht meiner Meinung nach ein viel bewussterer Umgang mit der Sexualität. Häufig verfügen sie auch über ein grosses Wissen zum Thema. Man merkt, dass in der Heterowelt weniger über Sex gesprochen wird. In Punkto Offenheit gibt es zweifellos grosse Unterschiede zur Gay-Szene.

Viel wichtiger als mir so offen wie möglich mitzuteilen, was ihr gerne möchtet, ist, in eurer Beziehung offen über eure Sexualität zu sprechen. Das A und O eines guten Sexlebens ist Kommunikation. Man sollte erklären, was man möchte und was man unter keinen Umständen möchte. Dich mag die Vorstellung vielleicht anmachen, wie deine Freundin mit einem fleischfarbenen Noppenvibrator masturbiert, aber sie hätte vielleicht lieber ein etwas einfacheres Modell. Gerade in solchen Verkaufsgesprächen muss ich manchmal Tabus brechen. Oft sind das Leute, die sich zum ersten Mal damit beschäftigen. Mit Gesprächen über die eigene Lust erhält man in einer Beziehung auch ein reges Liebesleben.


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Es gibt nichts Schlimmeres als zu schweigen, sodass irgendwann jeder mit seiner Fantasie in eine Richtung abdriftet, aber zusammen nichts mehr läuft. Lustlosigkeit in einer Beziehung ist, glaube ich, ein Hauptanliegen der Shop-Besucher. Wir werden oft damit konfrontiert. Einige Paare teilen das mit uns, andere nicht. Das ist ein schwieriges Thema, denn da können wir nicht viel helfen. Das kann auch der Luxusvibrator unter dem Christbaum nicht richten. Lust entsteht an anderen Orten. Das ist eines der Güter, das man sich nicht kaufen kann.

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Für mich ist es schön, wenn das heisse Geschenk viel Freude bereitet und ich euch irgendwann zu meinem Stammkundenkreis zählen darf. Ich habe viele Kunden, die ich beim Namen kenne. Einige davon begleite ich schon fast ihr ganzes Leben lang. Manche sind vor 25 Jahren das erste Mal bei mir im Geschäft gestanden und sind heute Familienväter mit vier Kindern. Auch wenn ihr noch nicht an diesem Punkt in eurem Leben angelangt seid: Ihr könnt euch auch darauf freuen. Mit zunehmendem Alter wird alles viel konkreter. Die jungen Jahre sollen aber auch zum Experimentieren da sein. So um die 30 entwickelt sich gerne die Fetisch-Phase. Die ist aber keineswegs auf Lack und Leder beschränkt. Sie kann alles Mögliche beinhalten: von schönen Beinen bis hin zu Füssen. Es ist aufregend, das als Paar oder auch alleine zu entdecken.

Zu unseren Kunden gehören diejenigen, die ihre Sexualität bewusst ausleben. Wir geben aber auch denen Hilfestellung, die mit ihrem Sexleben unzufrieden sind. Aber die kommen dann kaum als Paar, sondern eher alleine. Auch vor Weihnachten.

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