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diskriminierung

So ist es, als Nichtweißer in Deutschland zu leben

"Rassismus, das sind nicht nur die Glatzen aus Sachsen", sagt Mohamed Amjahid, Autor des Buches 'Unter Weißen'. Er spüre ihn vor allem in Personenkontrollen, oder wenn Frauen sich in der U-Bahn wegsetzen – oder ihm Seife schenken.
Foto: Götz Schleser

Mohamed Amjahid, 28, ist in Deutschland geboren, hat hier studiert und arbeitet als Journalist beim ZEITmagazin. Trotzdem: Als er vor zwei Jahren über die Ankunft der Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof berichtete, ließ sich eine Frau im Dirndl nicht davon abbringen, ihm ein Stück Seife zu schenken."Soap is good", erklärte sie ihm, obwohl Mohamed akzentfrei Deutsch mit ihr sprach.
Mohamed hat nun das Buch Unter Weißen: Was es heißt privilegiert zu sein geschrieben. Es ist voller solcher Begegnungen. Seiner deutsche Schwiegermutter erklärt ihm, wie man einen Fahrradweg benutzt. Ihr Mann hält ihm einen Vortrag darüber, dass man Menschen in Deutschland in Särgen begräbt. Wie oft Mohamed grundlos von der Polizei kontrolliert wurde, kann er nicht mehr zählen. Auch nicht die schrägen Blicke und wie oft Menschen davon ausgehen, dass er kein Deutsch spricht. Selbst als er einen Journalistenpreis für seine deutschsprachigen Texte gewinnt, gratuliert man ihm auf der Bühne auf Englisch.

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Und das alles, weil er die dunkle Haut seiner marokkanischen Eltern hat – und eben Mohamed heißt. Er wuchs bis zum siebten Lebensjahr in Frankfurt auf, dann ging seine Familie nach Marokko zurück. Nach dem Abitur kehrte er fürs Studium wieder nach Deutschland zurück.

VICE: Wie oft wirst du für Personenkontrollen rausgezogen?
Mohamed Amjahid: Das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Aber in Zügen in Bayern werde ich zum Beispiel immer kontrolliert. An internationalen Flughäfen in Europa fordern mich Polizisten in 80 Prozent der Fälle auf, Papiere zu zeigen – einfach wenn ich durch das Flughafengebäude laufe. Am Tag der Bataclan-Anschläge flog ich vom Düsseldorfer Flughafen nach Paris, um darüber zu berichten. Die Polizisten riefen schon von Weitem "Sie, Sie da! Anhalten!", als hätte ich eine Bank ausgeraubt.

Ist der Alltagsrassismus in letzter Zeit schlimmer geworden?
Nein, aber er ist sichtbarer. Rassismus und Beleidigungen hat es auch vor 50 Jahren gegeben, aber sie haben heute eine größere Sichtbarkeit – man denke nur an das, was Trolle in Social Media verbreiten. Aber auch diejenigen, die Ziel von rassistischen Angriffen werden, können sich sichtbarer wehren. Mein Vater hat sich nicht beschwert und war als Fließbandarbeiter auch nicht imstande, ein Buch darüber zu veröffentlichen. Die Kinder der Zuwanderer können ihre Stimme erheben und für sich selbst sprechen – durch die sozialen Medien und auch, weil sie besser ausgebildet sind.

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Du selbst lebst hier eigentlich in einem Umfeld, in dem man Diskriminierung nicht vermutet, du warst an der Freien Universität in Berlin – eine ziemlich linke, liberale Uni.
Ja, die Uni steht immer noch für Rudi Dutschke. Menschen gehen dahin, weil sie lernen wollen, kritisch zu denken. Aber selbst da stand auf der Toilette: Araber ins Gas. Wenn man von Rassismus spricht, denkt man oft an die AfD und die Neonazis. Aber Rassismus – das sind nicht nur die Glatzen aus Sachsen. In meinem Buch geht es darum, wie die Mehrheitsgesellschaft Menschen behandelt, die von der Norm abweichen – einen Akzent haben, eine andere Hautfarbe oder einen nicht-deutschen Namen. Es geht um Alltagsrassismus: angefangen bei dummen Blicken bis hin zu jemandem, der einen Job nicht bekommt, weil der Personalleiter der Meinung ist, dass jemand, der Ali heißt, pauschal kein guter Mitarbeiter sein kann. Es gibt genug Studien, die belegen, dass es in Deutschland solchen Rassismus gibt. Und Biodeutsche haben immer noch Privilegien, die für Nichtweiße nicht selbstverständlich sind.

Welche Privilegien sind das?
Abgesehen davon, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland öfter weniger Geld haben und seltener an die Uni gehen, haben Biodeutsche das Privileg, unsichtbar zu sein. Also durch die Welt gehen zu können und nicht aufgrund von äußerlichen Merkmalen schief angeguckt zu werden. Oder das Privileg, ein Individuum zu sein. Wenn ein weißer Biodeutscher ein Verbrechen begeht, dann ist das in den Medien eine Tragödie. Als Journalist sucht man dann nach der persönlichen Geschichte: Wie konnte es dazu kommen, dass er so etwas Schreckliches getan hat? Aber wenn es ein Ausländer war, heißt es ganz schnell: Ah, die Araber sind so oder so, die Roma sind so oder so. Ist man anders, wird man in Schubladen gesteckt.

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Wie waren die Reaktionen auf dein Buch?
Viele Menschen haben mir geschrieben, dass es ihnen ähnlich geht wie mir. Aber ich bekomme auch ich viele Nachrichten, die sagen: Hast du denn nichts Besseres zu tun? Oder: Jetzt hör auf zu heulen. Und natürlich gibt es vielleicht größere Tragödien, als dass sich eine Frau in der U-Bahn von mir wegsetzt und ihre Tasche umklammert. Aber in solchen Momenten geht es um grundlegende Dinge – um Respekt vor den Menschen, mit denen man zusammenlebt. Und Mangel an Respekt führt dazu, dass es plötzlich OK ist, Refugees als mutmaßliche Vergewaltiger zu bezeichnen. Und dann ist man ganz schnell beim "Das wird man doch noch sagen dürfen" und "Vielleicht sollte ich die AfD wählen".

Politiker wie Reiner Haseloff oder Kristina Schröder geben Political Correctness die Schuld daran, dass Rechtspopulisten so viel Zulauf haben. Denn die werben damit, dass sie sich nicht den Mund verbieten lassen.
Den Vorwurf, dass man in Deutschland nicht alles sagen darf, finde ich absurd. Jeden Tag beschweren sich ältere weiße Herren in ihren Texten oder vor den Kameras über Sprechverbote und sagen dabei genau das, was sie angeblich nicht sagen dürfen. In Deutschland kann man alles aussprechen, was im Rahmen der Gesetze ist.

Du schreibst, dass du oft an der Uni und in Redaktionen als Integrationsvorbild stilisiert wurdest. Warum nervt dich das?
Mit 21, 22 habe ich mich manchmal noch gefreut, wenn ich für meine Ansichten gelobt wurde: ein liberaler Araber, wie toll – und atheistisch ist der auch noch, wow! Aber im Umkehrschluss suggeriert das: Alle Araber sind illiberal und strengreligiös. Und ich habe da auch den Eindruck, es fehlt bei so einem Lob an Augenhöhe. Dieses "Toll hast du das gemacht" hört sich an, als würde man mit einem Vierjährigen reden.

In deinem Buch schreibst du auch über "Tokenism" – wenn "wenige Nichtweiße am Tisch der Privilegierten Platz nehmen dürfen – wenn sie sich entsprechend verhalten".
Tokenism bedeutet, dass ein paar Minderheitenvertreter als Beleg dafür herhalten müssen, dass es keine Diskriminierung gibt. Das passiert auch bei der Diskriminierung von Frauen. Wenn zum Beispiel eine Frau, die es nach oben geschafft hat, "Schaut mich an, es gibt keine Benachteiligung" sagt und dafür gefeiert wird. Dasselbe gilt für Angehörige von Minderheiten, die gegen die eigene Gruppe hetzen. Das kann gefährlich sein. Neulich hat mir ein AfD-Anhänger erklärt: Na, wenn eine Türkin sagt, dass der Islam gefährlich ist, dann muss es ja stimmen. Ich bin sicher: Ich würde viel mehr Bücher verkaufen, wenn ich über "islamischen Faschismus" oder ähnliches schreiben würde.

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