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Wir haben getestet, ob Facebook Hetze und Morddrohungen löscht

Zu Angela Merkel: "Kann die Schlampe nit mal ein assi totficken." – Und 15 andere Beiträge, die nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen.

Foto: imago | ZUMA Press

Facebook hat in Deutschland mehr als 28 Millionen und in Österreich 3,8 Millionen Nutzer. Und sagen wir's, wie es ist: Viele davon sind Arschlöcher. Unter anderem deswegen hat Facebook eine Funktion, mit der man unangebrachte Posts melden kann—und hoffen, dass sie gelöscht werden.

Das tausendfach geteilte Video, das die Misshandlung einer 15-Jährigen in Wien zeigte, wurde von Usern mehrfach bei Facebook gemeldet. Erst auf Druck der Staatsanwaltschaft St. Pölten lenkte das Unternehmen ein und löschte am Dienstagabend das Video, nachdem es bereits über viereinhalb Millionen Mal aufgerufen wurde.

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Wie es bei Facebook hinter den Kulissen aussieht, weiß man bekanntlich nicht so genau. Seit Anfang des Jahres sollen in Deutschland etwa 150 Mitarbeiter eingestellt worden sein (wie viele genau, weiß man nicht), die für die Bertelsmann-Tochterfirma Arvato von Berlin aus Meldungen zu Hasskommentaren prüfen sollen. Sie arbeiten angeblich eng mit der Europazentrale von Facebook in Irland zusammen, wo Meldungen über Verstöße gegen die Facebook-Nutzungsbestimmungen zusammenlaufen.

Das klingt erstmal alles ganz wunderbar und so, als wäre Facebook auf dem Weg dazu, sein wirklich großes Problem mit Hetze, Hass und Morddrohungen in den Griff zu kriegen. Ich habe das Ganze eine Woche lang getestet und mehr oder weniger wahllos auf den Facebook-Seiten von NPD, diversen Pegida-Ablegern, anderen rechten Facebook-Seiten und öffentlich einsehbaren privaten Profilen Hasskommentare gemeldet und abgewartet, was passiert.

Totficken, Steinigen, Kreuzigen

Wenn man denkt, man kennt Hass auf Facebook, dann sollte man sich erstmal die Facebook-Seite der NPD anschauen. Unter einem verlinkten Artikel, bei dem Angela Merkel im Vorschaubild zu sehen ist und in dem es darum geht, dass türkische Bürger in Deutschland um Asyl bitten können, wenn sie verfolgt werden, stehen bisher über 200 Kommentare. Die meisten beziehen sich auf Angela Merkel.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels ist es sechs Tage her, dass ich diesen Kommentar gemeldet habe. Gelöscht wurde er bisher nicht.

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Steinigungen. Könnte man denken: Das entspricht jetzt bestimmt nicht den "Gemeinschaftsstandards" von Facebook und wird gelöscht. Facebook reagierte allerdings so:

Diese Meldung sehe ich regelmäßig. Von 23 gemeldeten Kommentaren werden sechs gelöscht.

Immerhin kann man den Mitarbeitern in Berlin oder Irland oder wo auch immer sie sitzen mögen, nicht vorwerfen, inkonsistent zu arbeiten. Todesdrohungen: voll OK! Auch hier die Nachricht von Facebook: "Wir haben den von dir im Hinblick auf wegen Verherrlichung drastischer Gewalt gemeldeten Kommentar geprüft und festgestellt, dass er nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstößt."

Dasselbe nochmal, nur diesmal plus Antisemitismus:

Aber man darf nicht nur Angela Merkel mit Steinigung oder Erschießung drohen. Unter zwei Fotos von Claudia Roth (Grüne) und Hannelore Kraft (SPD), die Pegida München auf ihrer Facebook-Seite hochgeladen hat, findet sich dieser Post (Überraschung: kein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards):

Unter einem Artikel über demolierte Gipfelkreuze in den Alpen kann man sich offenbar auch die Kreuzigung der Täter wünschen. Auch hier: kein Verstoß.

Hetze gegen Alle

Der deutsche Innenminister Heiko Maas fordert schon seit dem letzten Jahr, dass Facebook stärker eingreift, wenn es um Hasskommentare geht, gerade im Zusammenhang mit Rassismus und dem Hass gegen Flüchtlinge. Bisher wie es scheint mit eher geringem Erfolg. Auch diese Kommentare wurden trotz Meldung nicht gelöscht und verstoßen laut Facebook nicht gegen die Gemeinschaftsstandards.

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Während der Recherche zu diesem Artikel habe ich Facebook kontaktiert, um eine Stellungnahme gebeten und der Presseabteilung eine Liste von Kommentaren geschickt, die ich gemeldet hatte, die von Facebook bearbeitet wurden, aber weiterhin online sind.

Daraufhin meldete sich eine Mitarbeiterin der "Apco Worldwide GmbH", einer US-amerikanischen Agentur mit einer Niederlassung in Deutschland, die Facebook berät. Über Nacht werden die folgenden drei Kommentare gelöscht. Vor der Mail an Facebook waren sie noch online und stellten, so die Antwort von Facebook, keinen Verstoß gegen die Richtlinien dar.

Ein Kommentar zu einem Hungerstreik von Geflüchteten in München

Ein Kommentar zu einem anderem Hungerstreik, bei dem Geflüchtete Bäume besetzt haben

Wenn es um Tiere geht, kennt der Deutsche bekanntlich keine Hemmungen. Dementsprechend finden sich folgende Kommentare unter einem Video, das auf der Facebook-Seite "Deutschland schafft sich ab 2.0" mit den Worten "WAS BRINGT MAN DEN TÜRKEN-KINDERN BEI DASS SIE EINEM HUND SOWAS ANTUN ???"(sic) betitelt war.

In dem Video ging es darum, dass Kinder in der Türkei einen Hund mit Kleber überschüttet hatten. Selbstverständlich Tierquälerei, allerdings war den Kindern offensichtlich nicht klar, was sie da eigentlich gemacht haben. Diese Kommentare wurden gemeldet, allerdings nicht entfernt. Mittlerweile ist die komplette Seite allerdings offline. Ob das mit der Nachfrage zu tun hat, bleibt unklar.

"Votze", "Schweine" und "Inzestkreatur"

Wenn die intellektuellen Kapazitäten zu sonst gar nichts mehr ausreichen, kann man immer noch ausfällig werden. Auch das kein Problem bei den Facebook-Gemeinschaftsregeln. Keiner dieser Kommentare verstößt dagegen:

Ein weiterer Kommentar zu Angela Merkel

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Ein Kommentar zu der (von den betroffenen Redakteuren abgelehnten) geplanten Islam-Medienkonferenz des Innenministeriums

Ein Kommentar zu Aydan Özoguz, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration und Flüchtlinge, zum Thema Kinderehen. Özoğuz hatte vor einem pauschalen Verbot gewarnt, weil es zu gesellschaftlichen und legalen Problemen für die betroffenen Mädchen kommen könnte

VICE hat schon im September mit Chan-jo Jun gesprochen, einem deutschen Anwalt, der Facebook seit Längerem immer wieder dazu auffordert, Kommentare zu löschen, in denen Hass und Menschenverachtung weiterverbreitet werden. Mittlerweile ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft aufgrund einer Anzeige von Jun gegen Mark Zuckerberg und mehrere wichtige Facebook-Manager wegen des Verdachts der Beihilfe zur Volksverhetzung.

Jun glaubt, dass Facebook Angst davor hat, Kunden zu verlieren, und deswegen versucht, so wenig wie möglich zu löschen: "Facebook hat eine Plattform geschaffen, frei von staatlicher Einmischung und Zensur. Man kann sagen, was man will. Wenn man dort nicht mehr einfach so beleidigen darf, dann fühlen sich die Leute eingeschränkt. Sie mögen den rechtsfreien Raum, die wollen gar nicht, dass auf Facebook deutsches Recht gilt."

Selbst wenn man gezielt Posts sucht und sie meldet, ist das am Ende nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Facebook scheint in einer braunen Hasslawine zu versinken und nicht zu wissen, wie damit umzugehen ist. Oder sie wollen sich gar nicht darum kümmern.

Die Mitarbeiterin der Agentur schrieb: "Vielen Dank. Wir prüfen das gerade noch. Ich melde mich nachher bei Ihnen dazu."

Wir haben bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht mehr von ihr gehört.

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