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Wie der Kanton Obwalden die radikalchristlichen "Love Life"-Gegner unterstützt

Stiftungen müssen keine Steuern bezahlen, wenn sie dem Gemeinwohl dienen. Die Stiftung Zukunft CH sieht in ihrem Kampf gegen die HIV-Präventionskampagne diesen Zweck erfüllt.
Titelbild: Bundesamt für Gesundheit

35 Kinder und Jugendliche hatten im Sommer 2014 gemeinsam mit ihren Eltern Beschwerde gegen die Präventionskampagne "Love Life—bereue nichts" des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) eingereicht. Die Gruppe der 4- bis 17-Jährigen wurde von der Stiftung Zukunft CH mit freichristlichem Hintergrund unterstützt.

Die Minderjährigen störten sich an den "hochsexualisierten" Inhalten der Plakate und sahen ihre "besonders schutzwürdigen Interessen" durch die Kampagne "massiv verletzt". Die Richter des Bundesverwaltungsgerichts haben aber entschieden, dass die Kinder und Jugendlichen nicht berechtigt sind, Beschwerde zu führen. Dafür müssten diese von der Kampagne nämlich persönlich mehr betroffen sein als die Allgemeinheit. Zukunft CH möchte den Entscheid nicht auf sich sitzen lassen und zieht das Urteil nun an das Bundesgericht weiter. Dieser Weiterzug an das oberste Schweizer Gericht wirft einige Fragen auf.

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Foto: Mit freundlicher Genehmigung vom BAG

Aus wie viel Eigeninitiative heraus kämpfen Kinder für ihre "besonders schutzwürdigen Interessen"?

Das will ich von der Stiftung Zukunft CH wissen. Ich erkundige mich also bei Mediensprecher Ralph Toscan, ob ebendiese Kinder von sich selbst aus auf die Stiftung zugegangen seien und wie die Kinder ihren Ärger über die Kampagne artikuliert hätten. "Aus Schutzgründen der Betroffenen geben wir keine Antwort auf diese Frage", antwortet mir Toscan.

Werden Kinder instrumentalisiert?

Die Vorstellung, dass sich eine Vierjährige über die TV-Kampagne bei ihren Eltern beschwert haben soll, fällt mir schwer. Der Verdacht liegt nahe, dass die Kinder instrumentalisiert werden, um die Moralvorstellungen der Stiftung zu transportieren. Die Beschwerde fällt nämlich in das Personenrecht. Hier können nur die Geschädigten selbst, in diesem Fall also die Kinder, Beschwerde einreichen. Dass die erwachsenen Exponenten der christlichen Stiftung sich am Inhalt der Kampagane stossen, haben sie mittlerweile unmissverständlich klar gemacht: Der frühere Stiftungssprecher Dominik Lussner äusserte im Jahr 2014 beispielsweise Bedenken darüber, wie "normal" Homosexualität auf den Plakaten dargestellt würde.

Ein Einblick in die Interessensgebiete von Zukunft CH | Screenshot von zukunft-ch.ch

Wieso ist die Stiftung als "gemeinnützig" anerkannt?

Wenn man die Organisationsform von Zukunft CH betrachtet, fällt auf, dass die Stiftung vom Kanton Obwalden, in dem 74 Prozent der Bevölkerung römisch-katholisch ist, als "gemeinnützig" anerkannt wird. Dies bedeutet, dass die Stiftung mit christlichem Hintergrund steuerbefreit ist.

Andreas Kyriacou, Zentralpräsident der Freidenker-Vereinigung, die die Interessen der religions- und konfessionsfreien Menschen in der Schweiz vertritt, findet dies problematisch: "Es gibt einen sinnvollen überkantonalen Konsens, dass das Vertreten von Eigeninteressen nicht als gemeinnützig gilt. Das gilt insbesondere auch für politischen Aktivismus, und der scheint bei der Stiftung Zukunft CH klar im Vordergrund zu stehen."

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Der Kanton Obwalden bestätigt mir, dass die Stiftung Zukunft CH keine Steuern bezahlen muss. Eine konkrete Begründung dafür, dass sie als "gemeinnützig" anerkannt ist, bekomme ich nicht. Stattdessen werde ich immer wieder auf zwei Paragraphen aus dem kantonalen Steuergesetz verwiesen. Stiftungen sind nach diesen Paragraphen dann steuerbefreit, wenn sie dem Allgemeininteresse dienen und uneigennützig sind. Ich frage mich, inwiefern es der Allgemeinheit zugute käme, wenn die HIV-Präventionskampagne verboten würde.

Die Stiftung Zukunft CH bestreitet, Eigeninteressen zu verfolgen: "Wir leisten durch die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen keine politische Lobby-Arbeit, sondern setzen uns für deren Rechte ein. Daher unterstützen wir auch die Kinderrechtskonvention, die den Kindern Schutz vor Informationen und Material zusichert, die ihr Wohlergehen beeinträchtigen können", erklärt Toscan.

Die UN-Kinderrechtskonvention ist das wichtigste internationale Menschenrechtsinstrumentarium für Kinder und gehört zu den internationalen Menschenrechtsverträgen der Vereinten Nationen. Natürlich ist es unumgänglich, dass diese auch von der BAG-Kampagne eingehalten wird. Deshalb erkundige ich mich bei Prof. Dr. Guy Bodenmann, dem Lehrstuhlinhaber des psychologischen Instituts der Universität Zürich, ob die fragliche Love Life-Kampagne Kinder in ihrem Wohlergehen beeinträchtigen könnte.

Bodenmann verneint: "Ich sehe keine Gefährdung des psychischen Befindens von Kindern aufgrund dieser Kampagne. Sie wird allerdings durchaus Kinder zu Fragen anregen und je nach religiösem Hintergrund und persönlicher Situation als stossend empfunden werden können. Dies können die Eltern zum Anlass nehmen, um über Sexualität mit dem Kind altersgerecht zu sprechen."

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Die Stiftung Zukunft CH setzt sich aber nicht nur in der Schweiz dafür ein, dass Kinder eben nicht mit sexuell konnotiertem Material in Berührung kommen. Auf ihrer Internetseite ruft die Stiftung zum Unterschreiben einer Petition gegen die aktuelle HIV-Präventionskampagne in Deutschland auf. Auf den Plakaten sind nicht etwa echte Pärchen zu sehen, sondern gezeichnete Comic-Figuren. Die Stiftung gibt sich empört:

"Gerade weil es sich dabei um Cartoons handelt, können sich Kinder dem nur schwer entziehen. De facto propagiert die Kampagne genau das promiskuitive Verhalten, welches eine der Hauptursachen für kaputte Familienbeziehungen und sexuell übertragbare Krankheiten ist."

Unter Promiskuität versteht man, wenn eine Person sexuellen Kontakt zu häufig wechselnden oder parallel zu mehreren Partnern hat. Dies läuft dem Leitbild der Stiftung zuwider: "Wir wollen die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung der Schweiz erhalten, eine schleichende Einführung der Scharia verhindern, zukunftstragende Werte vermitteln, die Familie als Grundpfeiler der Gesellschaft stärken."

Foto: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung | Liebesleben

Die in den Augen der Stiftung Zukunft CH anstössige Schweizer Love Life-Kampagne ist in der Zwischenzeit ohnehin von einer neuen, nicht ganz so freizügigen Kampagne abgelöst worden. Ich will von der Stiftung Zukunft CH deshalb wissen, wieso die Beschwerde dennoch an das Bundesgericht weitergezogen wird. "Es geht uns um eine Signalwirkung für zukünftige Kampagnen. Wir erhoffen uns, dass diese Kampagnen in Zukunft gemässigter ausfallen, zum Schutz der Kinder und Jugendlichen. Darum investieren die Beschwerdeführer viel Zeit und Geld für den Weiterzug an das Bundesgericht", so Toscan.

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Das Bundesamt für Gesundheit äussert sich auf meine Anfrage hin nicht zu dem laufenden Verfahren, zieht aber eine positive Bilanz: "Dass unsere Kampagnen bei der Bevölkerung ankommen und richtig verstanden werden, zeigt sich unter anderem daran, dass die Zahl der HIV-Infektionen in der Schweiz über die Jahre stabilisiert werden konnte. Nicht zuletzt dank unseren Kampagnen ist es gelungen, eine Epidemie zu verhindern", sagt Adrien Kay, Sprecher des BAGs.

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Titelbild: Mit freundlicher Genehmigung vom Bundesamt für Gesundheit