Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat

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Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat

Der Fotograf Marc Steinmetz hat Häftlinge im Knast besucht und fotografiert, was sie sich so basteln.

Wenn man erstmal jahrelang im Gefängnis sitzt, hat man sehr viel Zeit über seine Taten nachzudenken. Allerdings kann man diese Gelegenheit auch produktiver nutzen und Dinge basteln, die einem den Aufenthalt hinter Gittern versüßen oder einem den Ausbruch ermöglichen.

Dabei kann man sich aus Krimskrams, den man sich im Laufe der Zeit zusammenhamstert, den unglaublichsten Knastkrams basteln. Das meiste davon erfordert ein hohes Maß an Kreativität und Flexibilität, da man im Knast natürlich nicht immer die richtigen Materialien zur Hand hat. Also muss man sich natürlich etwas einfallen lassen.

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Die Ganoven aus der JVA Hamburg-Fuhlsbüttel („Santa Fu genannt“), zum Beispiel bauten sich Ende der 80er aus Teilen eines Radiorekordes einen funktionierenden Abhörsender, um Dienstzellen zu verwanzen.

Zwei Inhaftierte aus der JVA Celle hingegen haben sich damals lieber einen Schussapparat gefertigt, den sie auf ihrer Flucht benutzen wollten.

Der Fotograf Marc Steinmetz hat diese und andere bemerkenswerte Objekte von Insassen verschiedener Justizvollzugsanstalten von den 70er bis 90er Jahren für seine Fotoserie „Fluchtstücke“ abgelichtet, die wir euch jetzt hier präsentieren möchten.

VICEWie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?

Der Schlüssel dazu war ein Schlüssel. Über den war ich eines Tages im Spiegel gestolpert, als er in einem Artikel über Strafvollzug erwähnt wurde. Ein Häftling hatte den Dietrich aus dem Kunststoff einer Klobrille geschnitzt oder gefeilt. Das machte mich neugierig, und ich begann zu recherchieren, was sich Häftlinge noch alles einfallen lassen. Die haben ja alle Zeit der Welt, um ihre Kreativität und ihre technischen Fähigkeiten auszuleben.
Ausgerechnet dieses Initialartefakt durfte ich dann leider nicht fotografieren. Aus Sicherheitsgründen. Die Gefängnisleitung hatte tatsächlich Angst, dass die Veröffentlichung einer Abbildung dieses primitiven Werkzeugs die Sicherheit einer großen JVA gefährden könnte. Was sagt uns das über Sicherheit und technischen Standard dieser Anstalt?

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Welche Waffe oder Fluchtwerkzeug fanden Sie besonders eindrucksvoll?

Die doppelläufige Schrotflinte und den Mauerhaken. Aber vor allem die Wanze hat mich fasziniert. Dass Häftlinge in der Lage sind, heimlich elektronisches Überwachungsgerät zu bauen und in der Wachstube zu installieren, um auf Zellenrazzien vorbereitet zu sein, hätte ich nie vermutet. Ich warte noch darauf, dass ein Hollywood-Ausbrecherfilm diese Idee aufgreift.

Wie haben Sie die Fluchtstücke gefunden?

Klassische Recherchearbeit, viele Telefonate und Faxe. Ich brauchte zunächst grünes Licht von der übergeordneten Justizbehörde, und danach waren die JVAs meist sehr kooperativ. Einige haben kleine, inoffizielle Sammlungen solcher Artefakte angelegt, die sie mir bereitwillig gezeigt haben.

Waren Sie selbst schonmal inhaftiert?

Wer ist schon frei? Aber im Knast? Nein, nie.

Sind Gefängnisse, Ihrer Meinung nach, tatsächlich sicherer geworden oder kann man heute noch einfach ausbrechen, wenn man clever genug ist?

Es ist sicher nicht zu bestreiten, dass aufgrund vieler Erfahrungen und technischen Fortschritts die Knäste generell sicherer geworden sind. Aber, wie heißt es so schön in „Jurassic Park“: Die Natur findet immer einen Weg! Es ist ja keine ganz neue Erkenntnis, dass es niemals absolute Sicherheit gibt, gerade in lebendigen Systemen. Zwar haben Überwachungstechnologie, hohe Mauern, verbesserte Kontrollen usw. Ausbrüche erschwert und viele Fluchtversuche vereitelt. Der menschliche Faktor allerdings wird sich nie eliminieren lassen, und Eigenschaften wie Kreativität, Gewalttätigkeit oder Korruption werden selbst im sichersten Gefängnis dazu führen, dass auch in Zukunft Menschen die Flucht gelingt. Bloß, mit der Säge im Kuchen und einem Seil aus Bettlaken wird man nicht mehr weit kommen. Man muss sich schon etwas Schlaueres einfallen lassen.

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Wie würden Sie aus einem Gefängnis ausbrechen?

Meine Strategie: Gar nicht erst hineinzugeraten. Und wenn ich doch mal drin wäre, wäre meine Flucht vielleicht eher eine innere. Zum Ins-Gefängnis-gehen und zum Ausbrechen fehlt mir die kriminelle Energie. Im Gegensatz zu mir würden einige der Urheber meiner „Fluchtstücke“ wohl über Leichen gehen bei einer Flucht. Der gewaltfreie, minutiös ausgeklügelte Plan à la „Flucht von Alcatraz“ wäre eher mein Ding.