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Wie es sich anfühlt, als Ausländerin einen rassistischen Stiefvater zu haben

Gerne erinnere ich meinen Stiefvater jedes Mal aufs Neue, dass meine Mutter und ich ebenfalls zu diesen „Scheiß-Ausländern" gehören.
Foto: Cristo Vlahos

Es gibt wenige Menschen auf dieser Welt, die ich wirklich hasse. Ja OK, Gaddafi war nicht so toll, Kim Jong-un ist bestimmt auch kein angenehmer Geselle und mit Putin müssen wir gar nicht erst anfangen. Diese Menschen haben viel Leid in unsere Welt gebracht, weswegen ich sie auch verachte. Doch war es nie ihre Absicht, explizit meiner Person Schaden zuzufügen.

Ich rege mich zwar fast täglich über die Gräueltaten dieser Zeitgenossen in den Nachrichten auf, doch sobald die Nachrichten von einer Folge der Simpsons abgelöst werden, ist die oberflächliche Abscheu diesen Menschen gegenüber wieder verflogen.

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Der Hass auf jemanden, der sich seit Jahren ein Vergnügen daraus macht, mich zu erniedrigen und zu piesacken, lässt sich nicht mit der oben genannten Abscheu vergleichen. Dieser Hass, den ich meine, geht tiefer. Er geht unter die Haut. Ich nenne ihn „den Stiefvater-Hass".

Als Immigrantin hat man es in unserer Zeit, in der SVP und PEGIDA am liebsten jeden Secondo, Flüchtling und Asylsuchenden ausschaffen würden, nicht gerade leicht. Ich bin zwar schon seit einer ganzen Weile in diesem Land und fühle mich auch als eine vollkommen integrierte Schweizerin, doch wird es in meinem Haus—abgesehen von meinem Nachnamen—stets etwas geben, das mich daran erinnert, eine Ausländerin zu sein: Meinen Stiefvater.

Seit ich in die Schweiz gekommen bin—was schon gute 13 Jahre her ist—konnte mich dieser Mensch nicht ausstehen. Als achtjähriges Mädchen verstand ich nur schwer weshalb. Eines Abends, das war ein paar Monate nach meiner Ankunft in der Schweiz, versteckte ich mich unter unserem Sofa, weil ich nicht schlafen konnte. Meine Eltern haben das nicht mitbekommen und so durfte ich die ehrliche Meinung meines Stiefvaters über mich zu hören bekommen: „Sie ist eine falsche Schlange."

Foto: Pro Juventute | Flickr | CC BY 2.0

An diesen Satz kann ich mich trotz meiner Jugendphase des Hardcore-Alkoholkonsums noch ganz genau erinnern. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Die halbe Nacht lag ich wach und habe mir die Augen aus dem Kopf geheult, weil diese Aussage mein achtjähriges Herz brach.

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Einige Monate später kam mein Bruder zur Welt und die ganze Situation verschlimmerte sich nochmal drastisch. Michael ist der leibliche Sohn meines Stiefvaters. Michael hier, Michael da. Ich hörte auf zu existieren, denn Michael war der neue Mittelpunkt der Welt. Ich möchte Klavier spielen lernen? Für Klavierstunden haben wir kein Geld und ein Klavier können wir uns auch nicht leisten. Michael möchte Gitarre spielen? Aber natürlich kaufen wir eine Gitarre und engagieren gleich einen Gitarrenlehrer mit dazu! Nein, den Lehrer konnten wir nicht kaufen, aber wäre Menschenhandel legal, hätte mein Stiefvater auch das sofort getan.

Der Kontakt zu meinem Bruder wurde mir während der Kindheit grösstenteils untersagt. Selten durfte ich länger als eine halbe Stunde alleine in einem Raum mit ihm sein. Wenn wir dann miteinander spielten und ich in unserer Muttersprache mit ihm redete, war sofort ein unverständliches Grunzen vom anderen Ende des Zimmers zu hören: „Sprich gefälligst Deutsch mit ihm, wir sind hier in der Schweiz." Die Tatsache, dass es für ein Kind in einem westlichen Land von grossem Vorteil ist, zweisprachig aufzuwachsen, schien ihm egal zu sein.

Es wurde mir ebenfalls verboten, den Computer zu benutzen, fernzusehen und um 20:00 Uhr Abends musste ich im Bett liegen—Kinder brauchen schliesslich eine strenge Erziehung! „Der kleine Michi wird es natürlich auch so streng haben, wenn er alt genug ist." Diese Worte hätten mir in meiner jämmerlichen Situation Trost spenden sollen—was sie auch taten. Es ist traurig, doch all die Jahre über wuchs ich mit dem Gedanken auf, dass mein Bruder es irgendwann genauso beschissen haben würde wie ich—und das verschaffte mir eine Art Genugtuung. Damals dachte ich wirklich noch, dass so etwas wie Gerechtigkeit existiert.

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Foto: Lars Plougmann | Flickr | CC BY-SA 2.0

Ich konnte es meinem Stiefvater nie recht machen, damit habe ich gelernt zu leben. Das Einzige, was ich jemals von diesem Mensch wollte, war, akzeptiert zu werden. Er musste mich nicht mal lieb haben, ich wollte einfach wie ein Mensch behandelt werden. Doch alles, was ich bekommen habe, war reine Verachtung.

Mit der Zeit begriff ich, dass dieser Hass möglicherweise nicht explizit gegen mich gerichtet war: Während meiner Kindheit hier in der Schweiz fielen von seiner Seite her immer wieder die Ausdrücke „Huere Dreckspack", „Die scheiss Ausländer/Jugos" oder „Neger". Allmählich dämmerte es mir: Mein Stiefvater hasste nicht mich, er hasste, was ich bin.

Foto: Metro Centric | Flickr | CC BY 2.0

Meine Mutter spielte in dieser Eigeninterpretation von „Krieg der Welten" nur eine passive Rolle. Wie England zu Beginn des zweiten Weltkrieg betrieb auch sie die sogenannte Appeasement-Politik, was soviel bedeutet wie: Augen zu, damit der Anschein von Frieden und einer glücklichen Familie gewahrt bleibt. Sie war nicht auf seiner Seite, aber sie war auch (und ist es übrigens noch immer) nicht auf meiner. Teils weil sie seine dreckigen Spässchen gar nicht verstand, teils, weil es ihr egal war.

Gerne erinnere ich meinen Stiefvater jedes Mal aufs Neue, dass meine Mutter und ich ebenfalls zu diesen „Scheiss Ausländern" gehören und sein geliebter Sohn, so verhasst ihm diese Vorstellung auch sein mag, lediglich ein halber Schweizer ist. Dieses Faktum streitet er gerne ab: „Der Michi ist hier geboren, also ist er Schweizer." Ja genau, wie all die anderen „Drecks-Jugos" auch, aber wir wollen ja keine Haare spalten.

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Auch wenn sich mein von Geburt an bestehender Vaterkomplex durch das Zutun meines Stiefvaters wahrscheinlich verdoppelt hat und mein zukünftiger Psychiater ihm bestimmt dafür danken wird, tut dieser Mensch mir leid. Er wird nie erkennen, dass er durch sein stures Weltbild in einer kleinbürgerlichen Vorstellungswelt gefangen ist, aus der ihn niemand (nicht einmal er selbst) befreien kann. Er kann keine Emotionen zeigen, er kann nicht einmal meinen Namen laut aussprechen.

Tatsächlich habe ich ihn, seit wir uns kennen, keine fünf Mal meinen Namen sagen hören. Mit den Spitznamen „Dummi Zwetschgä", „Tschernobylchind" oder einfach nur „Du" bin ich quasi aufgewachsen. Nur wenn es mir schlecht geht, fühlt mein Stiefvater sich besser und überlegener. Seine einzige Befriedigung findet er darin, mir durch materielle Dinge zu zeigen, wie viel mehr er meinen Bruder liebt. Dabei versteht er nicht, wie viel Schaden er dadurch auch ihm zufügt.

Heute habe ich mich mit meiner Situation abgefunden, da ich gelernt habe, mit solchen Menschen umzugehen. Während ich früher noch zitternd in mein Zimmer rannte, wenn dieser Möchtegern-Patriot mit bebendem Kopf und Zeigefinger im Ohr (das ist sein Tick: Wenn er wütend ist, drückt er immer den Zeigefinger ins Ohr) auf mich zuraste, bleibe ich nun stehen und lache ihm hämisch ins Gesicht. Es fühlt sich gut an, denn ich habe keine Angst mehr.

Erst jetzt sehe ich, was er wirklich ist: Ein alter Mann mit Scheuklappen vor den Augen. Jemand, der in mir auf ewig—egal wie erfolgreich ich jemals sein werde—den nichtsnutzigen Ausländer sehen wird. Er ist ein Bauerntrampel, der alle gebildeten und weltoffenen Menschen verachtet, weil ihm schlichtweg die Intelligenz fehlt, sie zu verstehen. Kurz gesagt: ein durchschnittlicher SVP-Wähler eben.

Vice Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild: Cristo Vlahos | Wikimedia | CC BY-SA 3.0