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Sex

Lass laufen—freies Menstruieren ist das neue „Feuchtgebiete“

„Free Bleeding“ nennt sich der Trend, die allmonatliche Periode nicht mehr durch einen Wattestopfen wegzusperren, sondern sie fließen zu lassen. Eine Free-Bleeding-Aktivistin erklärt uns, weshalb Tampons eine Frau während der Periode „vergewaltigen“.

Es gibt nur wenige Körperflüssigkeiten, denen ein ähnlich romantisches Image anhaftet wie dem guten, alten Blut. Seien es Blutsbrüderschaften, mit roter Herztinte geschriebene Liebesbriefe oder doch die heimliche Phantasie, von einem bärtigen, ungewaschenen Vampir-Robert Pattinson erst leidenschaftlich leergesaugt und dann ins Delirium geglitzert zu werden. Spucke, Sperma und Schweiß haben es nie so weit geschafft, liegt vielleicht am Geruch.

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Doch Blut ist nicht gleich Blut. Es gibt gutes und schlechtes. Blut aus zerschnittenen Venen kommt immer hervorragend, Nasen-Blut hat was Wildes (natürlich nur, wenn es von einem Schlag ins Gesicht herrührt und nicht aus einer Zyste in deinen Nebenhöhlen), Aufgeplatzte-Lippen-Blut wirkt hübsch. Nur Muschi-Blut finden die meisten bescheuert und unappetitlich. Natürlich nicht das Muschi-Blut, das eine erfolgreiche Entjungferung begleitet, das hat wiederum etwas Verträumtes. Die Rede ist vom Code Red, den Ketchup-Tagen, dem Besuch von Tante Rosa, vom Stutengulasch—vom Menstruationsblut. Das ist vielen suspekt, wage ich an dieser Stelle zu behaupten. Und tatsächlich ist die rote Suppe, die einmal im Monat aus uns heraus fließt oder tröpfelt, eher unpraktisch. Also verwenden wir Tampons, Binden oder gar die Menstruationstasse, um sauber und adrett zu bleiben. So weit so unspektakulär. Denke ich. Und ihr vielleicht auch.

„Skandal!“, schreien jedoch die Aktivistinnen einer Bewegung, die aus feministischen Kreisen dank eines Artikels auf Modern Woman Digest in unsere Mainstreammedienwelt herübergeschwappt ist. „Free Bleeding“ nennt sich der Trend, die allmonatliche Periode nicht mehr durch einen Wattestopfen wegzusperren, sondern sie fließen zu lassen. Zwar wittern einschlägige Blogs hinter besagtem Artikel inzwischen einen Hoax, einen Fake also, den uns die Prank-Site 4Chan aus Jux und Dollerei als Fact verkaufen wollte. Soll mir aber an dieser Stelle wurscht sein, denn die Free-Bleeding-Bewegung ist realer, als es so manchem Hygieneignoranten lieb sein dürfte. Aber warum sollen wir Mädchen denn nun eigentlich free bleeden? Zum einen, weil die Freibluterinnen genug davon haben, dass unsere Gesellschaft den rot suppenden Frauenkörper als etwas Unreines, Widerliches einstuft. Genug davon, dass das Thema Menstruation entweder totgeschwiegen oder aber ins Forum der Erdbeerlounge verbannt wird—im schlimmsten Fall in den verständnisvollen Kreis der Selbstfindungsmimosen, die dir liebevoll über den Kopf streichen, weil du mal wieder Soße mit Hühnchenleberstücken absonderst. Mehr gesellschaftliche Akzeptanz für die Wesen mit Mensis fordert Free Bleeding also. Finde ich gut. Was mir nicht gefällt, ist dagegen das zweite Argument, auf dem der Gedanke, einfach laufen zu lassen, letztendlich basiert. Viele Free-Bleeding-Aktivistinnen betrachten Tampons und Konsorten als Teufelswerk, mit dem die männlich dominierte Gesellschaft uns Frauen bewusst handicapt (Binden) bis vergewaltigt (Tampons). Diesen Einwand finde ich bei allem Verständnis dann doch, mit Verlaub, etwas abwegig und frage mich außerdem, wie das mit dem freien Bluten in der Praxis funktionieren soll. Und zwar, ohne dass ich eines Tages glücklich und muschiblutverschmiert, dafür aber mutterseelenallein ende, weil keiner mehr Lust auf mich hat, da ich doch nur wieder die weiße Sofalandschaft versaue. Also stellte ich Free-Bleeding-Aktivistin Florence meine Fragen und bekam interessante Antworten. VICE: Hey Florence. Erzähl doch mal was über dich und euch, damit die Leute erfahren, wer hinter der Free-Bleeding-Bewegung steckt und warum ihr für das Recht der Frauen auf freies Menstruieren kämpft.
Florence: Ich heiße Florence, bin 31 und komme aus Chico in Kalifornien. Die treibende Kraft hinter der Free-Bleeding-Bewegung ist für mich nicht nur der feministische Aspekt des Ganzen, sondern das Aufbrechen und Austesten sozialer Erwartungen, die an uns Frauen gestellt werden. In unserer Gruppe gibt es verschiedene Engagement-Levels, was du gut an den Postings auf unserer Facebook-Page sehen kannst. Wie meinst du mit Engagement-Level?
Zum Beispiel haben wir mit Lilly das, was viele eine militante Lesbe nennen würden. Lilly ist der Ansicht, dass der Gebrauch von Tampons einer Vergewaltigung gleichkommt. Obwohl das nicht meinen Ansichten entspricht, unterstütze ich ihre Meinung. Ein anderer Admin unserer Gruppe ist Phoenix, eine Mann-zu-Frau-transsexuelle Feministin. Auch wenn sie biologisch nicht in der Lage ist, den Menstruationszyklus selbst zu durchleben, supportet sie uns und ist sowas wie der Joker der Gruppe. Dann gibt es da noch Helen, die die typische nüchterne Feministin zu sein scheint, aber Motorradrennen liebt und mit ihrem Bogen jagen geht. Und Nick, der unsere Mission fast so sehr zu lieben scheint wie seine Instantnudeln.

Und weshalb habt ihr euch der Free-Bleeding-Bewegung verschrieben?
Wenn du mich fragst, haben uns die letzten Jahrhunderte, in denen menstruierende Frauen noch lange aus den Dörfern in kleine Hütten in den Außenbezirken gejagt wurden, ein Gefühl der Scham und der Schande eingetrichtert—weil unsere Körper nun halt einmal im Monat bluten. Wenn wir heranwachsen, bringt man uns bei, dieses Thema zu verschweigen. Wir stopfen unsere Binden und Tampons säuberlich verpackt in diese kleinen, silbernen Badezimmermülleimer, um so ja jeden Beweis unserer Fruchtbarkeit zu verstecken. Ich stehe einfach nicht darauf, dass Frauen von dummen Idealen und mittelalterlichen Konzepten unterdrückt werden. Wir sollten das tun, was sich sowohl für uns und unsere Körper als auch für unseren Lifestyle gut und richtig anfühlt. Wer ist denn überhaupt ursprünglich auf die Free-Bleeding-Idee gekommen?
Ehrlich gesagt—keine Ahnung. Ich weiß nicht, ob es eine ähnliche Bewegung schon einmal gegeben hat. Viele Frauen haben mir gemailt und mir gesagt, es hätte Frauen in ihrem Leben gegeben, mit denen sie über dieses Thema gesprochen hätten. Aber für die meisten scheint diese Option, das „freie Bluten“, sogar in ihren eigenen vier Wänden ein Tabu zu sein. Neulich habe ich gelesen, dass das Imageboard 4Chan die Idee des Free Bleedings als eine Art Streich promotet hat, aber na ja. Das ist halt 4Chan. Die sind eh nicht gerade als Säulen der feministischen Community bekannt. Wenn es aber um unsere Gruppe geht, bin ich die treibende Kraft dahinter, die zu diesem Zweck nicht nur die Facebook-Seite gegründet, sondern auch Gleichgesinnte rekrutiert hat. Eine richtige Website ist gerade in Arbeit. Freies Bluten—OK. Aber was ist die eigentliche Idee hinter eurer Bewegung? Auf welchem Gedanken gründet sie sich?
Meiner Ansicht nach ist der grundlegende Gedanke, das zu tun, was du willst. Mach nichts, nur weil die Gesellschaft dir vermittelt, dass du es tun musst, da du sonst dreckig, unattraktiv oder eklig bist. Ich habe ein Problem damit, wenn Frauen das Gefühl haben, ihre Körper verändern zu müssen, oder ihnen gesagt wird, wie sie mit ihrem Körper umzugehen haben. Wie würde es wohl Männern gefallen, wenn ihnen vermittelt wird, dass sie sich bitteschön regelmäßig die Säcke wachsen sollten, damit sie begehrt werden? Wie wäre es, wenn statt getunnelter Ohren nur noch ein um den Schwanz gebundener Betonklotz die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich zieht? Diese Vergleiche sind natürlich etwas irrational, aber sie bringen dich zum Lachen. Und dann fängst du an, nachzudenken. Du denkst über all die Dinge nach, die wir machen, um begehrt zu werden. Diese Erwartungen an Frauen sind natürlich nichts Neues. Sich in Korsetts zu schließen, die Füße abzubinden, sich Belladona-Tropfen in die Augen zu träufeln, damit die Pupillen größer werden, Arsen für weißere Haut, das Stretchen des Halses, Skarifikation, Genitalverstümmelung … Dinge, die Frauen in der Vergangenheit getan haben, um „schön“ zu sein. Um „akzeptiert“ zu werden. Du hast es schon erwähnt—einige von euch sehen Tampons und Binden und alle andern Hygieneartikel als Feind an, da sie von Männern erfunden wurden. Tampons betrachten manche Free-Bleeding-Aktivistinnen sogar als Mittel, um eine Frau während ihrer Periode zu „vergewaltigen“ und so ihren Opferstatus innerhalb unserer noch immer von Männern dominierten Gesellschaft zu unterstreichen. Klingt für mich ziemlich bescheuert, um ehrlich zu sein.
Tatsächlich denken einige von uns so. Ich stimme ihnen insofern zu, als dass vieles in diesem Bereich durchaus von Männern erfunden wurde, sie aber, solange ihnen keine Vagina wächst, absolut kein Recht haben, mir zu sagen, was sich für mich gut anfühlen soll. Wenn du das alles im Hinterkopf behältst, ist der Gedanke hinter der Vergewaltigungsterminologie dieser: Die Gesellschaft haut uns immer wieder um die Ohren, diese von Männern gemachten Objekte zu benutzen. Gezwungen zu werden, dir etwas in deinen Körper zu schieben, wird von einigen als Verletzung oder eben sogar als Vergewaltigung betrachtet. Natürlich haben wir auch andere Möglichkeiten. Binden zum Beispiel, die dich an Stellen schwitzen lassen, von denen du nicht mal geahnt hast, dass du dort überhaupt schwitzen kannst. Ja, wir können uns auch unbequeme Wattebälle in Phallusform reindrücken oder sogar die nicht so wunderbare Erfahrung mit der Menstruationstasse machen—übrigens ein riesiger Scheiß! Mir gefallen diese Möglichkeiten nicht, also habe ich mich dazu entschlossen, darauf zu verzichten. Und eben diese Entscheidung macht mich zum Außenseiter. Ich mag den Gedanken, sich gegen das Bild der „Gesellschaft“ von der menstruierenden Frau als unreine, fiese Dreckschleuder aufzulehnen. Aber das Blut einfach aus mir rausschießen zu lassen, fühlt sich doch widerlich an. Auch aus ganz praktischen Gründen—es ruiniert meine Klamotten, und davon ab finde ich es eklig, tagelang mit nassen, blutigen Schenkeln durch die Gegend zu latschen. Ich meine, niemand läuft doch gerne mit nassen Hosen rum. Versteh mich nicht falsch, die Bilder der blutigen Höschen, die durch die Medien gingen, sind schockierend, regen vielleicht den ein oder anderen zum Nachdenken an und sind insofern beeindruckend. Aber frei zu bluten, ist einfach so unpraktisch.
Es ist nicht in jedem Bereich des Lebens praktisch. Ich benutze dennoch weder Tampons, noch Binden, noch Tasse. Ich habe es mit Stoffbinden versucht, weil ich das Gefühl von Stoff an meiner Vagina ja kenne und es mich nicht so irritiert, wie eine Binde zu tragen. Manchmal trage ich auch einfach zwei Slips übereinander. Meine seltsame Seite aber steht von Zeit zu Zeit auch darauf, einfach nur in einer Khakihose rauszugehen, damit die Leute sehen, was gerade bei mir los ist. Mir gefällt der Gedanke, dass die Leute dann grübeln. Während meiner Periode trage ich allerdings meistens dunkle Hosen, das ist aber keine bewusste Entscheidung. Ich blute aber auch nicht besonders stark. Free Bleeding ist für viele in der Theorie eine gute Sache, aber nicht für jede Frau geeignet. Kann ich eine Free-Bleeding-Supporterin sein und trotzdem Tampons benutzen?
Als Feministin unterstütze ich dich darin, mit deinem Körper das zu machen, was sich für dich gut anfühlt, ob du nun Tampons benutzt oder nicht. Wir freuen uns auf jeden Fall, wenn du uns unterstützt. Gibt es noch etwas, das du loswerden möchtest?
Ich hoffe, dass die Leute, die das lesen, wenigstens einen Moment lang ihre Ängste und negativen Assoziationen mit ihrem eigenen Körper und ihren Bedürfnissen hinterfragen. Wir freuen uns über alle angemessenen Fragen und Diskussionen auf unserer Seite. Danke, dass du dir die Zeit genommen und mir all diese Fragen gestellt hast, anstatt einfach anzunehmen, dass wir einen an der Waffel haben.

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