Wenn du im Schlachthof arbeitest, ist die Grillsaison ein Albtraum
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Wenn du im Schlachthof arbeitest, ist die Grillsaison ein Albtraum

Verletzungen, schlechte Unterbringung und miese Bezahlung: Wie die deutsche Fleischindustrie ihre Arbeiter ausbeutet, um die Preise zu drücken.

"Der Mann war Mitte 50. Er kam aus Rumänien", erzählt Szabolcs Sepsi. "Er ist am Fließband zusammengebrochen. Seine Aufgabe war es, Schweineschultern von Fließband zu Fließband zu tragen. Das ist sehr schwere Arbeit. Die Vorarbeiter haben ihn beschimpft, warum er da am Boden rumliegt. Acht Kilometer musste er zu Fuß zu seiner Unterkunft laufen und alleine einen Arzt aufsuchen. Der Arzt stellte einen Leistenbruch fest und sagte, er müsse operiert werden."

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Es war November und die Heizung in der Unterbringung funktionierte nicht. Hier in Deutschland gab es niemanden, der ihn unterstützt hätte. Von Kollegen wusste er, dass bei Krankheit oftmals die Kündigung droht. Das bedeutet auch, dass er auf die Straße gesetzt wird, da die Unterkunft gegen einen Abzug vom Gehalt vom Arbeitgeber gestellt wird. "Er wollte sich unter diesen Bedingungen die Operation nicht zumuten. Er ist dann lieber nach Rumänien zurückgekehrt—so krank, wie er eben war."

Szabolcs Sepsi arbeitet in Dortmund bei Faire Mobilität, einem Projekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Er ist Ansprechpartner für Arbeiter aus dem Ausland, die in deutschen Schlachthäusern arbeiten und spricht auch rumänisch und ungarisch. Das hilft, denn besonders aus Osteuropa werden viele Arbeiter angeworben, um für Schlachtfabriken in Deutschland zu arbeiten. Über die betroffenen Arbeiter kann er nur anonymisiert berichten, weil sie befürchten müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Ein Großteil der Schlachtarbeiter ist über Werkverträge bei Subunternehmen angestellt. "Die Schlachtarbeiter haben nicht die Möglichkeit, sich zu organisieren und für ihre Rechte einzutreten. Wenn das einer macht, wird ihm ganz schnell gekündigt. Das würde nur als Gruppe funktionieren. Wenn die Beschäftigten sich gegenseitig unterstützen. Aber das hat die Fleischindustrie durch die Werkverträge unmöglich gemacht", erklärt Szabolcs Sepsi.

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Sich zu beschweren, hätten sie allen Grund: "Es gibt leider häufig Berichte, dass Vorarbeiter die Leute sehr schlecht behandeln. Dass sie beschimpft werden, dass sie angeschrien werden oder dass sie mit aggressivem Auftreten unter Druck gesetzt werden. Es gibt auch einzelne Berichte sexueller Belästigung von weiblichen Mitarbeiterinnen." Wer in einem Schlachthaus arbeitet, muss schnell und unter großen Druck arbeiten. Häufig werden die Subunternehmer von dem Auftraggeber nach Leistung bezahlt.

Zwar gilt mittlerweile der Mindestlohn, aber der wird laut Sepsi oft umgangen, indem Abzüge für Arbeitsausrüstung, überteuerte Unterkünfte und Transport zum Schlachthaus verrechnet werden. Die Wohnungen, in denen die Arbeiter untergebracht sind, machen sie auch von ihrem Arbeitgeber abhängig. Szabolcs Sepsi spricht von Abschottung. Nicht selten werden die Beschäftigten in alten Hotels oder alleinstehenden Bauernhäusern untergebracht.

Zustände in einer typischen Unterkunft | Foto: Faire Mobilität

Wenn zur Grillsaison im Frühjahr Fleisch besonders gefragt ist, müssen die Arbeiter oft Überstunden machen. Zehn Stunden arbeiten, manchmal sogar zwölf Stunden. "Es gibt generell kaum Klarheit, bis wann man arbeiten muss. Man arbeitet eben, bis es keine Arbeit mehr gibt", erklärt Sepsi. Die Bedingungen in den Unterkünften sind oft sehr schlecht: viel zu überfüllt, schlechte hygienische Bedingungen und viel zu teuer.

Zu dem Einsatzbereich von Szabolcs Sepsi gehört auch eines der größten Schlachthäuser Deutschlands. In Rheda-Wiedenbrück sind laut Sepsi von den rund 4.000 in der Produktion Beschäftigten gerade mal an die 500 direkt bei dem Betreiber Tönnies beschäftigt. Die restlichen 3.500 Arbeiter sind über Subunternehmen beschäftigt. "Wie viele Subunternehmen das wirklich sind, überblickt meiner Meinung nach niemand. Es sind zum Teil auch Subunternehmen, die selber die Aufträge weitergeben", sagt Sepsi. Tönnies selbst gibt keine Auskunft über die beauftragten Subunternehmen. "Dazu sagen wir nichts", sagte der Pressesprecher am Telefon. Er verwies aber auf eine Vereinbarung der Fleischindustrie, die Zahlen der beschäftigten Subunternehmen gesammelt über einen Verband der Fleischbranche zu veröffentlichen. Er gibt aber an, dass Tönnies zum Schutz der Arbeiter Wohnraumkontrollen der Unterbringungen der Beschäftigten durchführe und auch per Zufallsprinzip die Lohnzahlungen an die Beschäftigten anhand von Banknachweisen überprüfe.

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Die Fabrik von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück ist Deutschlands größtes Schlachthaus für Schweine. Nirgendwo in Deutschland lassen mehr Schweine ihr Leben: Täglich werden 28.000 Schweine in der Fleischfabrik geschlachtet, zerlegt und verarbeitet. Laut dem Pressesprecher machte der Konzern 2015 einen Umsatz von 6,3 Milliarden Euro und schlachtete jedes vierte Schwein in Deutschland.

Foto: imago | Westend61

Der Fleischkonsum in Deutschland ist zwar rückgängig, aber die Produktion steigt weiter. Wer Geld machen will, verkauft weiter Fleisch. Nur eben ins Ausland. Die Selbstversorgungsquote liegt bei 120 Prozent, das heißt 20 Prozent zu viel für den deutschen Markt. Der Rest wird exportiert.

Doch wer für den Weltmarkt produzieren will, muss sich mit extrem günstigen Preisen durchsetzen. Kein Problem für die deutschen Unternehmen: Fleisch aus Deutschland ist günstig. Nicht zuletzt wegen der billigen Arbeitskräfte aus dem Ausland. Und so konnte sich die deutsche Fleischwirtschaft 2015 im Export an nicht-europäische Länder gegen Dänemark durchsetzen. Nur Spanien exportiert noch mehr Schweinefleisch an Länder wie China. Das Erfolgsrezept der deutschen Fleischindustrie ist einfach: Arbeiter werden importiert, das Fleisch wird exportiert.

Marcel Sebastian hat sich im Rahmen seiner Soziologie-Promotion an der Universität Hamburg intensiv mit der Schlachtindustrie befasst. "Die Arbeitgeber in der Fleischindustrie versuchen seit der Industrialisierung der Schlachthäuser, profitsteigernde Maßnahmen auch gegen die Interessen der Arbeitnehmer durchzusetzen. Es ist ein ökonomisches Kalkül zu sagen, ich profitiere von den Leuten so sehr, bis es nicht mehr geht—denn auf dem umkämpften Fleischmarkt zählt jeder Cent. Da steckt eine ökonomische Logik hinter, die erdrückend ist." Auch er kommt zu dem Schluss: "Man kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass die Abhängigkeit der Arbeiter aus Osteuropa sie besonders verwundbar macht. Die Unternehmen wissen das und nutzen das aus."

Die Arbeit in einem Schlachthaus ist so organisiert, dass ein Großteil der Belegschaft schnell zu ersetzen ist. Für die meisten Tätigkeiten bedarf es keiner langen Einarbeitungszeit. Für die Beschäftigten geht es viel mehr ums Durchhalten. Es wird unter viel Zeitdruck gearbeitet, teilweise unter extremen Temperaturen und oft ist die Arbeit körperlich sehr anstrengend. Wenn ein Arbeiter ausfällt, kündigt oder entlassen wird, stellt das kein großes Problem für den Schlachthausbetreiber dar. Es gibt genug, die bereit sind nachzurücken.

Szabolcs Sepsi berichtet auch von einem Arbeiter, der an einer Säge Knochen von Rindern zerteilt hat. "Bei einem Arbeitsunfall hat er seinen linken Daumen abgesägt. Er wurde vom Krankenwagen abgeholt. Seine Kollegen erzählten ihm später, dass, bevor die Polizei vor Ort war, die Vorarbeiter eine Schutzhaube auf die Maschine installiert haben. Der Polizei wurde gesagt, dass er nicht aufgepasst hätte und deswegen seinen Daumen abgeschnitten habe." Zehn Euro pro Tag sollte er dem Arbeitgeber für seine Unterkunft zahlen, wenn er am Arbeitsplatz fehlt.

Auch er hat sich entschieden zu gehen. Zurück nach Rumänien. Dorthin, so berichtet Szabolcs Sepsi, würde die deutsche Schlachtindustrie ihr Fleisch exportieren. Auch für den rumänischen Markt ist deutsches Fleisch besonders günstig. So billig wie Deutschland schlachtet kaum ein anderes Land in Europa.