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Drogen

Yakuza, Pillen und Raves: Im Gespräch mit einem der berüchtigtsten Drogenschmuggler Großbritanniens

Ist Adrenalin die ultimative Droge? Wir haben uns mit Howard Marks über seine illegalen und legalen Tätigkeiten, sowie über seine Krebserkrankung unterhalten.

Howard Marks im Jahr 2015 | Foto: James Cummings

Wenn du in den 1970ern und 80ern in Großbritannien Gras geraucht hast, dann hattest du das wahrscheinlich Howard Marks zu verdanken. Als Schmuggler, Erzähler und Bestsellerautor—und natürlich unermüdlicher Aktivist für die Cannabis-Legalisierung—ist Marks eine Institution der Gegenkultur. Seine kultige Autobiografie von 1996, Mr. Nice, enthält seine kristallklaren Erinnerungen an die Betrügereien und Intrigen, exotischen Suqs und dreckigen Häfen, korrupten Cops und schmierigen Anwälte, die damals seine Welt bevölkerten.

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Marks wurde 1945 im walisischen Kenfig Hill geboren. In den 1960ern ging er aufs Balliol College der University of Oxford, wo er zum enthusiastischen täglichen Raucher und Teilzeit-Dealer wurde. In den 70ern waren seine kleinen Studenten-Dealereien zu einem ernsten Geschäft geworden, und schon bald war er an einem ausgeklügelten Plan beteiligt, bei dem Haschisch in den Möbelstücken von diplomatischen Gesandten von Pakistan nach London geschmuggelt werden sollten.

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Da Marks die Adrenalinräusche und den Geldsegen genoss, sollten noch weitere Geschäfte folgen: Im Laufe des darauffolgenden Jahrzehnts importierte er Haschisch nach England, Irland und Wales und wurde dabei von dem bekanntermaßen exzentrischen irischen Republikaner James McCann unterstützt. Außerdem baute er mithilfe der Brotherhood of Eternal Love ein Lieferantennetzwerk in die USA auf, indem er unechte Bands mit Drogen im Gepäck auf unechte US-Touren schickte. Sein kühnstes und wohl auch gewinnbringendstes Unternehmen war jedoch das Schmuggeln von großen Drogenmengen über New Yorks JFK-Flughafen—ein unglaublich komplexes Unterfangen, bei dem auch die Yakuza, die italienische Mafia, die Zollbehörden und zum Teil auch nepalesische Mönche involviert waren.

1990 fand Marks Schmuggelkarriere jedoch ein jähes Ende, als er zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde. Aufgrund guter Führung wurde er 1995 jedoch schon wieder in die Freiheit entlassen und direkt ein Jahr später fand Mr. Nice den Weg in die Bücherregale. Die Allbekanntheit des Buches sorgte dafür, dass Marks einen neuen und ehrlichen Karriereweg einschlug: Er schuf eine Bühnenshow, war als DJ unterwegs, trat als Gastredner auf und hatte Gastauftritte in verschiedenen Filmen, sowie auf mehreren Musikalben.

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Marks Auftritt im Film ‚Human Traffic'

Das ist jedoch nicht die ganze Geschichte. In seinem neuen Buch Mr. Smiley schreibt Marks darüber, was hinter den Kulissen seinen damaligen Ruhms abging. Es wird erzählt, wie er in den Ecstasy-Handel auf Ibiza verwickelt wurde und wie er sich in der abgefahrenen Rave-Szene verlor, die er während seiner Haft so vermisst hatte.

Im Vergleich zu Mr. Nice mutet Mr. Smiley ausgelassener, aber gleichzeitig auch düsterer an. Die Handlung führt uns dabei von den rauschenden Exzessen im Club Groucho über die ausgelassene chemische Maßlosigkeit der Manumission-Tanzfläche und das Unheil verkündende Flachland im Osten Großbritanniens bis hin zum verfallenden Rotlichtbezirk von Marbella. Diesen Januar kam schließlich heraus, dass bei Marks inoperabler Darmkrebs diagnostiziert wurde.

Vor Kurzem habe ich mich mit Marks unterhalten, um mehr über sein Buch und sein außergewöhnliches Leben zu erfahren.

Einige der Looks, die sich Marks während seiner Schmugglerzeit zulegte

VICE: Am Anfang von Mr. Smiley schreibst du davon, dass du den Kick des Drogenschmuggels vermisst. Ist Adrenalin die ultimative Droge?
Howard Marks: Ich weiß nicht, ob man Adrenalin wirklich als die ultimative Droge bezeichnen kann, aber es ist schon ziemlich weit vorne mit dabei. Meine Adrenalinräusche werden durch Angst ausgelöst—bei vielen Sportlern, Bungeespringern und Zockern läuft es wohl ähnlich ab. Diesen Rausch verspüre ich immer noch, wenn ich auftrete, auch wenn ich dabei nur das Risiko eingehe, mich vor ein paar Hundert Leuten zum Affen zu machen. Während meiner Schmugglertage habe ich täglich riskiert, ins Gefängnis zu wandern—manchmal sogar auch, umgebracht zu werden.

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Mr. Smiley ist in gewisser Hinsicht düsterer als Mr. Nice und die Bildsprache erinnert mich teilweise auch an den Film Der Pate, zum Beispiel als du nach Hause kamst und einen gehäuteten Hund vorfandest, der möglicherweise von einem Konkurrenten an einem Baum aufgehängt wurde. War das der nervenaufreibendste Zwischenfall deiner Drogenlaufbahn?
Ja, das war mit Sicherheit einer der nervenaufreibendsten Momente. Im Laufe der Jahre gab es davon aber mehrere.

Lass uns doch kurz über die Kunst des Schreibens reden. Dein Stil ist unglaublich natürlich und du schaffst es, den Leser mitten ins Geschehen zu packen—egal ob es nun um dein erstes Curry oder um ein unheimliches, verlassenes Dorf in Andalusien geht. Viele Autoren haben beim Schreiben bestimmte Routinen oder Rituale. Ist das bei dir auch der Fall?
Wenn ich mir Zeit zum Schreiben nehme, dann bleibe ich so lange am Computer sitzen, bis ich mindestens 1000 Wörter geschrieben habe. Ich hoffe jedoch immer, auf 5000 Wörter zu kommen. Und selbst wenn ich Schwierigkeiten habe, mein Minimalziel zu erreichen und dabei nur Blödsinn zusammenschreibe, speichere ich das Ganze trotzdem irgendwo ab, falls es doch mal für ein zukünftiges Projekt interessant sein könnte. Ich brauche kein Arbeitszimmer mit inspirierendem Ausblick oder gar einem bequemen Stuhl. Wenn ich betrunken bin, kann ich nicht schreiben—ein Kater ist jedoch kein Hindernis. Nach dem Kiffen schreibe ich besser und auf Koks oder extrem starken Kaffee fällt mir das Lektorat leichter.

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Fiel es dir schwer, deine Live-Show richtig konzentriert durchzuziehen, während du gleichzeitig im Ecstasy-Handel involviert warst?
Ich empfand es nicht als schwer. Im Gegenteil: Eigentlich hat mir das Ganze sogar geholfen, da der nötige Adrenalinrausch so beschleunigt wurde. Meine Shows bestehen doch eigentlich sowieso nur daraus, dass ich Leute volllabere, die meistens genauso zugedröhnt sind wie ich.

Du redest auch oft vom spirituellen Potenzial von Ecstasy, schreibst in Mr. Smiley gleichzeitig aber auch davon, wie unangenehm der Handel manchmal war. Hat das deinen Glauben an MDMA kaputt gemacht?
So lange die Droge rein ist, glaube ich noch immer an ihr Potenzial.

Hattest du jemals moralische Bedenken, als du in den Ecstasy-Handel eingestiegen bist? Und hast du während deiner Haftstrafe etwas von der ganzen Hysterie um die Rave-Szene und die prominenten Todesfälle mitbekommen?
Ja, die hatte ich alleine schon deswegen, weil es sich nicht um Cannabis handelte, denn bei Gras hatte ich nie moralische Bedenken, wenn es um das Verticken oder Schmuggeln ging. Während meiner Zeit im Gefängnis habe ich von der ganzen Hysterie im Vereinigten Königreich aber auch gar nichts mitbekommen.

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Glaubst du, dass du deine Krankheit inzwischen akzeptiert hast? Hat das Schreiben von Mr. Smiley irgendwie befreiend gewirkt?
Ich glaube schon, dass ich das Ganze inzwischen akzeptiert habe. Das hat aber auch mehrere Monate gedauert. Für mich ist Krebs jetzt eine Art zu leben und nicht eine Art zu sterben. Meine Tätigkeit als Autor hatte für mich auch noch nie etwas Befreiendes an sich. Den Kern von Mr. Smiley habe ich auch schon vor mehreren Jahren geschrieben, aber ich fand das Ganze damals noch zu kontrovers, um es an einen Verlag zu schicken.

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Mich interessiert auch der Unterschied zwischen Ruhm und Infamie—zwei Dinge, die du beide schon erlebt hast. Haben sie einen ähnlichen Einfluss auf das Ego?
Infamie ist für mich eine bestimmte Form von Ruhm und nicht das Gegenteil. Ein berüchtigter Mensch ist ja auch nur für eine Tat berühmt, die einigen Leuten nicht zusagt. Für etwas berühmt zu sein, das jedem gefällt, wäre meiner Meinung nach schon schön, kommt aber nur extrem selten vor.

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Hat dich der Erfolg von Mr. Nice überrascht?
Ich war total überwältigt. Ich dachte eigentlich, dass höchstens ein paar alteingesessene Hippies das Buch aus nostalgischen Gründen lesen würden. Ich hätte mir niemals erträumen lassen, dass das Ganze auch die Generation danach anspricht. Ich habe Mr. Nice kurz nach meiner Freilassung geschrieben, ohne dabei etwas von dem gestiegenen Cannabis-Konsum zu wissen. Vor meiner Haft waren es vor allem Leute aus der Mittelschicht, Studenten und musikliebende Immigranten aus den West Indies, die Gras geraucht haben. Die Arbeiterschicht hatte damals damit noch nichts am Hut. Als ich dann aus dem Gefängnis freikam, stellte ich jedoch fest, dass plötzlich auch Briefträger, Klempner, Schneider, Soldaten und Verkäufer ab und an mal einen Joint genießen.

Letzte Frage: Was ist das Wichtigste, das du durch deine verschiedenen Berufe und Karrieren gelernt hast?
Mich niemals zu ernst zu nehmen.

Vielen Dank, Howard.