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Ich habe mit 10 Euro versucht, ein romantisches Wochenende zu verbringen

Wein (2,40 Euro), carbonara-artiges Fertiggericht (1,20 Euro), Schlafen unter Felsen in der Sächsischen Schweiz (0 Euro). Im Oktober. Überlebt die Liebe das Mini-Budget?

Als schreibender Mensch mit Eierstöcken wird man häufiger gefragt, ob man nicht über sein Liebesleben schreiben möchte. Normalerweise lehne ich solche Angebote ab, weil ich Angst habe, irgendwann im journalistischem "pink ghetto" der Blowjob-Tipps und Make-up-Verjüngungskuren zu landen. Aber dann hat die VICE-Redaktion mir angeboten, ein romantisches Wochenende zu zweit zu verbringen, das nur je zehn Euro für mich und meine männliche Begleitung kosten darf. Damit haben sie meine beiden Achillesfersen gefunden: meine vererbte Geizhalsigkeit (mein Vater ist Buchhalter) und meine unsterbliche Liebe für die romantische Komödie Wie werde ich ihn los - in zehn Tagen?.

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Ich date S. erst seit einem Monat und bisher läuft alles verdächtig gut. Der perfekte Zeitpunkt also, um selbst zu Hauptdarstellern einer RomCom zu werden. Entweder wird die Liebelei unter dem Druck des bescheuerten Experiments explodieren, oder, nach den goldenen Regeln jedes Klischee-Hollywood-Films, uns noch enger zusammenschweißen. Unser Plan: Boofen in der Sächsischen Schweiz und danach ein Tag und eine Nacht in Dresden. Boofen hat übrigens nichts mit Kiffen zu tun. So heißt es, wenn man direkt unter den Vorsprüngen der riesigen Sandsteine in der Sächsischen Schweiz schläft—ohne Zelt, einfach direkt draußen. Total badass eben.

Zehn Euro pro Person sind echt nicht so viel. Würden wir sie für Verkehrsmittel ausgeben, wäre nichts mehr davon übrig. Die einzige Möglichkeit, nach Dresden zu kommen (aus Leipzig, wo ich gerade lebe), war also zu trampen. Ich habe das vorher noch nie gemacht, weil ich immer Schiss hatte, dass es wie in einem Horrorfilm enden würde.

Aber eigentlich war es total einfach. Ich habe am Straßenrand zehn Sekunden lang unser Dresden-Schild geschwenkt, während S. ein paar Fotos von uns für diesen Artikel gemacht hat. Schon hielt ein Auto an: "Das sah irgendwie süß aus, wie ihr Fotos gemacht habt, da dachte ich mir: 'Die nehm' ich mit'", sagte die nette Fahrerin. Ähm. Echt lieb von ihr, aber wenn ich Paare sehe, die Selfies machen, würde ich sie eher überfahren wollen, statt sie ins Auto zu lassen.

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Ihr Lieben, Dresden ist echt schön. Schon allein die ehemalige Zigarettenfabrik in Moschee-Form. Traumhaft. Aber wir konnten die Dresdener Skyline nur einen Wimpernschlag lang genießen, weil wir weiter ins Touristenzentrum Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz mussten. Dort schüttete es wie aus Kübeln.

Alle Fotos: privat

Der erste Punkt, den ich aus der gesamten Aktion gelernt habe: Boofen ist vermutlich nicht so unsexy mit einem heißen Date im Sommer. Aber Boofen Mitte Oktober ist ungefähr so sexy wie Syphilis. Um den Felsen zu finden, unter dem wir übernachten wollten, mussten wir von Bad Schandau aus einen Berg hochklettern, durch Dreck und Schlamm und sintflutartige Regenfälle hindurch. Eine verdammte Ewigkeit lang.

Zum Glück waren uns die Tramper-Götter gewogen, denn gerade, als ich bereit war, mich einfach in den Dreck zu setzen und aufzugeben, hielt ein Auto neben uns. Der Fahrer lachte sich einen Arsch ab: "Boofen? Bei diesem Wetter?" Ich glaube, der Fahrer dachte wir haben eine seltsame Sexvorliebe. Aber ganz ehrlich, außer wenn du auf nicht-menschliche Feuchtigkeit stehst, ist Sex das Letzte, woran man bei dem Kackwetter denkt.

Aber! Die Sache wurde besser, als wir endlich unter dem Felsen unsere Schlafsäcke ausrollten und den 2,40-Euro-Rotwein aufmachten. Er war bitter nötig, um unserem Abend wenigsten ein bisschen romantische Aura zu geben. Und als wir kochendes Wasser über ein Fertiggericht kippten, das entfernt an Carbonara erinnerte (1,20 Euro) und S. eine Kerze anzündete, war Boofen eigentlich ganz nett.

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Dunkler Wald, Rotwein und Kerzen waren nämlich wie immer förderlich für die Atmosphäre, in der man Geheimnisse austauscht und intensiv über Gefühle diskutiert. Aber diese Stimmung kippte gewaltig, als jemand draußen durch das Gehölz schlich.

Zeit für ein paar heftige Blair Witch-Vibes. Ich meine, wer außer mir, die für dieses Vergnügen von VICE bezahlt wird, hängt bei sintflutartigem Regen im Wald ab? Nur Verrückte, Hexen und Serienmörder. An diesem Punkt machte S. genau diese Sache, für die man bei Horrorfilmen normalerweise den Fernseher anschreit: "Tu das nicht!!!" Er beschloss, mich allein zu lassen und der Sache mal auf den Grund zu gehen. Und Feminismus hin oder her, ich habe ihn ziehen lassen, weil ich keine Lust hatte, säuberlich in kleine Teile zerhackt zu werden. Aber natürlich war es schlussendlich nur eine Männerclique, die zusammen boofte. Weil, warum nicht.

Nach einer Nacht, in der ich fast nicht geschlafen habe, weil die Isomatte zu hart war aber S. wie ein Baby geschlummert hat, war ich launisch. Aber meine Laune wurde nach dieser Aussicht ein bisschen besser:

Wir kamen gerade rechtzeitig für eine Dresden-Stadtführung zurück, die zwar wenig mit Romantik zu tun hatte, aber zumindest gratis war. Zur Begrüßung bat uns die Stadtführerin, unsere Namen zu sagen und woher wir kommen. Das machte sie vermutlich, damit wir uns einander verbunden fühlen—und später wie echte Arschlöcher, wenn wir abhauen, ohne den freiwilligen Obolus zu bezahlen.

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Die unangenehmste Nebenwirkung unseres Zehn-Euro-Wochenendes: Wir mussten uns häufig wie Arschlöcher verhalten. Vielleicht hätten wir ihr zumindest ein paar Euro geben sollen, aber nach dem Boofen hatten wir zum Budget "Fick dich" gesagt und einen Dürum (5 Euro) geteilt. Er war riesig und lecker und je ne regrette rien. Wenn ihr euch entscheiden müsstet, zwischen Kein-Arschloch-Sein und Dürum, was wär's? Na also. Wir machten einen Polnischen.

Danach ging es über zu Netflix und Chillen, aber deprimierenderweise nicht der sexy Version davon, sondern der wortwörtlichen (wir hatten kein eigenes Zimmer, sondern nur die Couch des Kumpels, bei dem wir gepennt haben). Das Abendessen erinnerte sehr an Oliver Twist: Brot (kostenlos, geklaut aus der WG) und Erdnussbutter (1,80 Euro).

Dafür schaffte es theoretisch eine gute Grundlage für unseren Abend. Um nichts für Alkohol auszugeben, füllten wir den Rest unserer Rotwein-Flasche in eine Mate-Flasche um und hofften, dass niemand unsere Taschen checkt. Das Konzert der Dresdner Psychedelic-Band Graues Band in Lenins Kulturpalast war zum Glück umsonst. Aber wir mussten ständig auf die Unisextoilette gehen, um unseren Wein zu trinken. Falls du dich fragst, wie romantisch das auf einer Skala von 1 bis 10 ist: Ich würde sagen, so -5. Uringestank ist kein Aphrodisiakum.

Das gute am Alkohol ist allerdings: Sobald du genug getrunken hast, gehen alle verantwortungsvollen Lebensvorsätze über Bord. Wir haben einfach unsere letzten neun Euro für Bier und Schnaps ausgeben und wie bescheuert getanzt. Danach waren unsere Freunde blau genug, Mitleid mit uns zu haben und uns mehr Bier auszugeben.

Würde ich euch ein romantisches Wochenende mit sehr wenig Geld empfehlen? Auf jeden Fall heißt es: Elend. Du wirst hungrig sein, du wirst auf alle neuen Bekanntschaften wie ein arschiger Geizhals wirken. Und du wirst dich wahrscheinlich ziemlich viel streiten, mit diesem tollen Menschen, mit dem du bisher nur anspruchsvolle, kultivierte, elegante Sachen gemacht hast, die man eben so tut, wenn man anfängt zu daten (Nouvelle-Vague-Filme! Podiumsdiskussionen über die Zukunft der Linken in Europa! Theater!)

Aber das Ganze hat auch die Vorspultaste unserer Gefühle gedrückt. Wir hatten unseren ersten großen Streit. Wir hatten unsere erste große Versöhnung. Wir (ich auf jeden Fall) hatten Angst, im Wald ermordet zu werden. Wir haben uns in einer Toilette besoffen. Und hatten bei Rückkehr immer noch nicht die Nase voll voneinander.