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Sex

Als Stripperin habe ich gelernt, meinen Körper zu lieben

Es ist paradox. Bei meinem Job werde ich angeglotzt und beurteilt wie eine Wassermelone im Supermarkt. Aber durch meinen Job fühle ich mich in meinem Körper wohler.

Das ist Cherry. Sie arbeitet in einem großen Stripclub in Deutschland. Cherry ist nicht ihr richtiger Strippername, weil sie in ihrer Kolumne maximal ehrlich sein und trotzdem ihren Job behalten will | Alle Fotos: privat

Kurz vor 22 Uhr beginnt unsere Nacht in der Garderobe. Während um mich herum Lippenstifte, Schuhe, Gras und Glitzerpuder durch die Gegend fliegen, nippe ich an meinem grünen Smoothie: Spinat, Chlorella, Vitamin B12, ein paar Chiasamen. Anders als Chantal, die gerade einen Kebab isst, will ich auf der Bühne keinen vollen Magen haben und die Kunden abschrecken, die vielleicht denken könnten, dass ich schwanger sei. Ivy sitzt neben mir und steckt einen Strohhalm in ihren Guarana-Beerensmoothie.

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Nicht alle teilen Ivys und meine Smoothie-Vorlieben. Ein paar Mädels haben Burger bestellt. Angel rennt mit einer Tüte Haribos, Milchschnitten, einer Dose Cola und zwei Tüten Tortilla-Chips an mir vorbei. Sie ist die jüngste unter uns, 19 Jahre alt, weißblondes Haar, riesengroß und so untergewichtig, dass man jede Rippe zählen kann. Während sie sich hektisch ein paar blaue Gummischlümpfe in den Mund steckt, kann ich mich sitzend durch ihre Thigh Gap im Spiegel bewundern. Ich selbst bin von Oberschenkellücke weit entfernt. Ich sehe ganz normal aus, normal bis schlank, mit einigermaßen großen Titten und einem Arsch, der eher in Richtung Kim Kardashian denn Kate Moss tendiert. Ich bewundere Angel für ihre langen Gazellenbeine, und sie grapscht mir neiderfüllt an die Brüste. Ach ja, das Gras ist doch immer grüner in dem anderen Joint.

Burgerabend in der Club-Garderobe, hier isst eine von Cherrys Kolleginnen

Bevor es auf die Bühne geht, ziehe ich mit Ivy noch ein paar Lines auf dem Klo. Ja OK, so richtig konsequent bin ich mit meinem Gesundheitsprogramm nicht. Vitamine und Amphetamine, Weizengras und Weed liegen in unserem Job nah beieinander. Noch während wir in der Toilette unser Pulver wegschniefen, hämmert Angel hysterisch an die Tür: "Macht mal schneller da drinnen, ich muss mal!" Als wir rausgehen, stürzt sie sich in die Kabine, als würde es hinter ihr brennen.

Nachdem wir uns in schwarze Spitzen-Bodys und Fetisch-Halsbänder gehüllt haben, stöckeln Ivy und ich in den bereits vollen Club. Auf der Bühne leuchtet mich der Lichtheini dummerweise mit seinen hellsten Scheinwerfern aus. Zu meinem Entsetzen stelle ich fest, wie gut sichtbar gerade meine Cellulite ist. Nach der Performance bin ich froh, von der Bühne zu flüchten, in das gnädige dunkelrote Licht des Clubs, das jeden Körper weichzeichnet.

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Aber bei der Dollarrunde nach dem Tanz ist meine Cellulite total egal. Was ich beim Strippen gelernt habe: Wenn Typen halbgeil sind, bemerken sie deine Problemzonen nicht. Diese Erkenntnis hat mich auch im normalen Leben entspannter gemacht: Körperkomplexe im Bett kenne ich nicht mehr. Ich weiß jetzt: Die ganzen Unsicherheiten finden nur bei mir im Kopf statt. Es ist paradox. Bei meinem Job werde ich angeglotzt und beurteilt wie eine Wassermelone auf dem Markt. Aber durch meinen Job fühle ich mich wohler in meinem Körper. Wir bekommen ja durchaus Nettes zu hören.

Kandidat Nummer 1: Gibt mir ein paar Dollar und schaut mich verzaubert an: "Du hast einen Wahnsinnskörper!" Ich schenke ihm ein Lächeln, bedanke mich und gehe weiter.

Kandidat Nummer 2: "Kannst du dich mal umdrehen?", sagt er und als ich es tue, flippt er aus vor Freude. "Oh mein Gott, du hast den perfekten Po … So rund! Der schönste Arsch, den ich je gesehen habe!" Begeistert packt er in mein Höschen ein paar Dollar.

Kandidat Nummer 3: "Wow, wie bekommt man so einen Modelkörper, wie du ihn hast?!" Die Antwort: Ich bin Veganerin und absolviere zwei Mal die Woche ein mehrstündiges Workout an der Stange, für das Menschen in ihren Fitnessstudio-Poledancekursen viel Geld bezahlen. Als Stripperin verliert man geschätzt zehn Kilo und wird ein starkes Mädchen. Ich habe schon oft muskelbepackte Kerle gesehen, die es nicht schaffen, sich an einer Stange hochzuziehen.

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Kandidat Nummer 4: "Du sexy Beast!" – 10 Stripperdollar und seine Handynummer.

Nur Kandidat Nummer 5 mustert mich eine Minute lang und sagt: "Nee sorry, ich steh nur auf richtig große Titten, deshalb bekommt Daisy alle meine Dollar." Kommentarlos gehe ich weiter, und wünsche ihm insgeheim Syphilis an den Hals.

Dabei sollte ich langsam daran gewöhnt sein, dass Typen ihre Vorlieben haben. In unserem Club gibt es so ziemlich jedes Alter und jeden Körpertyp: androgyne Mädels, muskulöse, dünne, rundliche und pummlige. Für jeden Geschmack die passende Frau. Das hat mich etwas von dem konformen Schönheitsideal der Medien befreit. Auch, dass jeder seine Fans hat. Die kurvige Daisy ist ziemlich beliebt, genauso wie Stella, die nochmal eine Nummer runder ist. Und wenn ein Kunde dumme Kommentare abgibt, weiß ich, dass es nicht an uns liegt, sondern daran, dass er ein Arschloch ist. Stella und Daisy werden zwar manchmal als "fett" beschimpft, aber auch die modeldünne Angel muss sich anhören, dass sie eine anorektische Barbie ist.

Broadly: Mit String und Hidschad—Nadia Ali strippt für die Rechte muslimischer Frauen

Sie verschwindet übrigens schon wieder auf dem Klo. Inzwischen hege ich den Verdacht, dass sie eventuell nicht nur ein Zucker-, sondern auch ein Abführmitteljunkie ist. Ich kann es nicht leugnen; man sieht viele Essstörungen in diesem Business. Denn der Druck, gut auszusehen, ist hoch. Der, den man sich selbst macht, und jener, den man von außen abbekommt. Man muss stark sein, um das Gelaber der anderen auszublenden. Manche Mädchen, vor allem die jungen wie Angel, schaffen das nicht. Es gibt leider Idioten, die im Stripclub mit Bewertungen statt mit Dollar um sich werfen. Letztens hat so ein Grottenolm mit Halbglatze und einem beginnendem Doppelkinn die Tänzerinnen auf der Skala von 0 bis 10 Punkten beurteilt. Als der Möchtegern-Dieter-Bohlen glaubte, mir eine Punktezahl aufzudrücken ("Du bist eine 8,5", verkündete er gönnerhaft), bin ich aus Versehen gestolpert und habe ihm dabei meinen Wodka über sein Hemd gekippt. Upsi.

Früher konnten solche Deppen ziemlich an meinem Ego kratzen. Heute lassen sie mich kalt. Nur um das Bild mal umzudrehen: Ich glaube nicht, dass männliche Stripper sich von ihren Kundinnen anhören müssen: "Nee, Süßer, für einen Dollar musst du erst im Fitnessstudio noch ein bisschen an deiner Brustmuskulatur arbeiten." Im Stripclub habe ich etwas verstanden, das ich eigentlich schon auf dem Schulhof hätte lernen müssen: Nur Menschen, die selbst unsicher oder unglücklich mit ihrem Körper sind, kritisieren andere und verfallen ins Lästern.

Seit ich strippe, weiß ich besser, was mir gut tut, und was nicht. Ich passe viel mehr auf meinen Körper auf, um die zwei toxischen Champagner-Nächte auszugleichen, esse viel Grünzeug und mache auch mal ein paar Sit-ups. Und auch meine körperlichen Grenzen sind mir viel besser bewusst: Nicht jeder darf mich anfassen. Mein Körper gehört mir und nicht irgendjemandem—egal, ob er mir einen blöden Dollar zusteckt, oder einen Drink bei einem Date bezahlt. Wenn jemand versucht, mich anzutatschen, gibt's was auf die Pfoten. Ich bin kein Objekt, sondern eine Person mit Gefühlen und Rechten, egal wie wenig ich anhabe. Bewundern—ja. Anfassen nur nach meinen Regeln. Das ist etwas, das ich auch für das Leben außerhalb des Clubs mitgenommen habe.