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Diese 79-jährige Gamerin ist der neue YouTube-Star

Unter ihrem Online-Alias „Gamer Grandma" hat Shirley Curry bereits die Herzen von 115.000 YouTube-Abonnenten erobert—in ihrer idyllischen Heimatstadt leben nur halb so viele Menschen.

Shirley-Curry-Fankunst

Die Sonne geht unter. Vor dir liegt ein steiler Pfad, der zu einer Festung hoch oben in den tief hängenden Wolken führt. Du befindest dich in Einsamkeit, der Hauptstadt von Skyrim, dem Schauplatz des beliebten Fantasy-Rollenspiels The Elder Scrolls. Irgendwie ist das Ganze eine Art Paralleluniversum, aber am bizarrsten ist wohl trotzdem die Tatsache, dass dein Skyrim-Guide eine 79 Jahre alte Großmutter ist.

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Falls du dich in der doch etwas komplizierten Subkultur des Online-Gamings schon ein wenig auskennst, dann weißt du vielleicht bereits, von wem hier die Rede ist. Als Frau, die einen Weltkrieg, die Erfindung von Pong und den Beginn des Internets miterlebt hat, ist es Shirley Curry gelungen, in einer Welt an die Spitze zu kommen, die im Vergleich zu der Welt, in der sie aufgewachsen ist, nicht unterschiedlicher sein könnte. Unter ihrem Online-Alias „Gamer Grandma" hat sie bereits die Herzen von 115.000 YouTube-Abonnenten erobert—in ihrer idyllischen Heimatstadt im US-Bundesstaat Virginia leben nur halb so viele Menschen.

Shirleys Liebe für Videospiele kam Mitte der 90er Jahre auf, als ihr Sohn ihren ersten Computer einrichtete und dabei auch das bahnbrechende Strategiespiel Civilization II installierte. Wie besessen zockte sie sich durch die gesamte Franchise, aber Skyrim brachte ihre Sucht dann auf ein ganz neues Level und führte sie auch in die YouTube-Welt ein. Dank eines Users mit dem blumigen Namen „Jacobthebro", der Shirleys erstes Gameplay-Video bei Reedit teilte, ging die Aufzeichnung in nicht mal 24 Stunden viral. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, musste Shirley feststellen, dass sie über Nacht 11.000 Nachrichten bekommen hatte. „Ich saß einfach nur da und weinte", erzählt sie mir während unseres Skype-Gesprächs. „Ich wusste ja nicht, was ich aus der ganzen Sache machen sollte."

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Shirleys erstes Gameplay-Video

In einem Zeitalter, in dem immer mehr Menschen eine YouTube-Karriere gezielt anstreben, ist Shirleys Geschichte vom Ruhm, den sie beim Nachgehen ihres Nischenhobbys über Nacht erlangte, doch eher etwas Seltenes geworden. Dieser Ruhm hat jedoch auch seinen Preis: Jetzt ist sie die meiste Zeit damit beschäftigt, sich beim Spielen aufzuzeichnen, E-Mails zu sortieren, auf Kommentare zu antworten und sich die neuen Inhalte anderer YouTube-Kanäle anzusehen. Das Ganze ist ein nicht enden wollender Kreislauf, bei dem Shirley nur noch wenig Zeit dafür hat, sich ihren anderen Leidenschaften—dem Quilten und Science-Fiction-Romanen—zu widmen. Sie selbst fühlt sich „gefangen" und „verbraucht".

Ironischerweise hat Shirleys YouTube-Ruhm dazu geführt, dass sie inzwischen nur noch 30 Minuten pro Tag in den virtuellen Spielewelten verbringen kann. „Ich wünschte, ich hätte wie damals wieder stundenlang Zeit, nur für mich selbst zu spielen. Mich auf so wenige Minuten zu beschränken [längere Videos ziehen nicht so viele Zuschauer an], fällt mir nicht leicht", meint sie wehmütig. Als unendliche Optimistin, die in allem etwas Gutes sieht, scheint es sie sonst jedoch nicht wirklich zu stören, wie sehr YouTube ihren Alltag verändert hat.

Während viele YouTube-Kommentarspalten eher von Beiträgen unter der Gürtellinie geprägt sind, herrschen bei Shirleys Videos eher positive Beiträge wie etwa „Bitte adoptier mich … Ich backe dir auch Plätzchen" vor. Aber auch die alte Dame ist vor Hatern nicht gefeit. So erzählt sie mir von Trollen, die sie sperren musste—die meisten von ihnen warfen ihr vor, in Wahrheit ein vorpubertärer Scherzbold zu sein, der sich nur als Großmutter ausgibt.

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Derzeit ist Shirley die einzige ältere YouTube-Gamerin, die ihre Identität öffentlich gemacht hat. Sie sagt jedoch auch, dass es noch viele andere gibt, die sich hinter einem Avatar verstecken. „Ältere YouTuber sollten richtige Fotos von sich posten und auch ihr tatsächliches Alter angeben", meint sie. „Dann würde jedem klar werden, dass es viele ältere User gibt, und das Ganze wäre keine so große Sache." Ihrer Meinung nach ist es für die Verbesserung der Online-Kultur essentiell, dass man in der Community nicht mehr einfach weiter so tut, als würde es Computerspieler im Rentenalter nicht geben.

Die Diskussion über die im Internet fehlenden, älteren Stimmen sollte jedoch nicht aufhören, wenn wir unsere PCs herunterfahren. Eine Veränderung kann und muss auch im echten Leben erfolgen. Shirley meint zum Beispiel, dass Jugendliche auch mal selbst die Initiative ergreifen und die Generationslücke überbrücken könnten, indem sie ältere Familienmitglieder zu einer gepflegten Zockerrunde einladen—auch wenn das Ganze womöglich eine Engelsgeduld sondergleichen erfordert. Ich frage sie, ob das bei ihr zu Hause schon mal so passiert ist. „Nein", lacht sie daraufhin. „Meine Enkel finden mich jedoch richtig cool."

Munchies: Videospiele sind Nahrung für dein Gehirn

Wenn man mal vom Celebrity-Status absieht, ist Shirley nur ein weiterer „Noob", der im Pyjama animierte Drachen tötet—und das reicht ihr auch völlig. Geld hat sie mit ihrem YouTube-Kanal noch nicht gemacht, denn sie vermarktet das Ganze erst seit Anfang Januar. Stattdessen scheint sie schon zufrieden damit zu sein, einfach nur zocken zu können.

Shirleys unerschütterliche Liebe für Computerspiele hat mich nicht nur dazu animiert, meine eigene Oma zu einer Runde Tekken herauszufordern, sondern lässt mich auch über folgenden Umstand nachdenken: In ein paar Jahrzehnten werden ältere Gamer keine quasi unsichtbare Minderheit mehr darstellen, sondern eher die Norm.