Dieser Fotograf stellt echte Folterszenen nach und lässt sie schön aussehen

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Dieser Fotograf stellt echte Folterszenen nach und lässt sie schön aussehen

Es haben sich sowohl tatsächliche Folteropfer als auch freiwillige Models dazu bereit erklärt, die Horrorszenarien sowie mittelalterliche Foltermethoden nachzustellen.

Alle Fotos bereitgestellt von Andres Serrano

Leid kann auch schön sein. Zumindest kann man es schön aussehen lassen. So beschäftigt sich der amerikanische Fotograf Andres Serrano auch schon lange mit dem heiklen Thema der Ästhetisierung von Gewalt. Auch seine aktuelle Fotoserie Torture bildet da keine Ausnahme: Mit Stilleben von mittelalterlichen Folterinstrumenten und Abbildungen von zeitgenössischen Menschenrechtsverletzungen zeigen Serranos vier Dutzend Fotos die systematisierte Grausamkeit und bringen den Betrachter dazu, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Dafür haben sich sowohl tatsächliche Opfer von entsetzlichen Gewalttaten als auch freiwillige Models dazu bereit erklärt, diverse Horrorszenarien sowie mittelalterliche Foltermethoden nachzustellen.

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'Dog Position II' von Andres Serrano | Alle Fotos: bereitgestellt von Andres Serrano

Die Fotoreihe enthält auch ein Porträt von einer Frau mit dem Pseudonym Fatima, die sudanesische Sicherheitskräfte mehrfach einsperrten, folterten und vergewaltigten. Aber auch nach ihrer Flucht nach Großbritannien riss die Qual nicht ab, denn sie landete im berüchtigten Yarl's Wood Immigration Removal Center. Serrano holte sich aber auch die "Hooded Men" vor die Linse. Dabei handelt es sich um nordirische IRA-Verdächtige, die das britische Militär in den 70er Jahren mithilfe der sogenannten Fünf Techniken folterte—Wandstehen, Kapuzen über dem Kopf, Lärm, Schlafentzug sowie Entzug von Essen und Trinken.

'Kevin Hannaway, "The Hooded Men"' von Andres Serrano

Viele der Fotos von Torture entstanden in einer kerker-ähnlichen Rüstungsschmiede im französischen Maubourguet. Aber auch andere Orte wie etwa ein Stasi-Gefängnis im Osten Berlins oder ein Konzentrationslager haben es in die Bilderreihe geschafft. Die ganze Bandbreite an Zeitabschnitten, Opfern und Orten, die Serrano fotografiert hat, mutet dabei schon fast willkürlich an. So verwandeln sich verschiedene Einzelfälle in eine universelle Foltererfahrung.

Serrano haftet ein gewisser Ruf an, denn er hat sich schon des Öfteren mit pikanten Themen auseinandergesetzt. Das Augenmerk liegt dabei immer auf diversen Körperausscheidungen, Leichen, dem Tod oder sozialen Randgruppen. 2013 waren wir mit dem Fotografen auf Cuba unterwegs und dieses Mal haben wir miteinander telefoniert, um über Folter, Macht und sein Vermächtnis der Kontroverse zu sprechen.

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'The Wooden Horse' von Andres Serrano

VICE: Wie genau bist du es angegangen, Motive wie zum Beispiel die "Hooded Men" zu fotografieren?
Andres Serrano: Als ich diese Männer fotografierte, entschied ich mich dazu, sie nicht auf eine normale Art und Weise abzulichten—also nicht im herkömmlichen Porträt-Stil, sondern mit schwarzen Kapuzen über ihren Köpfen. Ich glaube, dass sie von meiner Bitte ziemlich überrascht waren. Sie befürchteten wohl auch, dass sie eine Art Déjà Vu erleben würden und dabei unschöne Erinnerung wieder hochkommen könnten. Letztendlich war es dann jedoch kein großes Problem. Sie atmeten einfach tief durch und ich war wirklich froh und dankbar, dass sie es gemacht haben.

"Folter ist schon fast so etwas wie ein fester Bestandteil des menschlichen Daseins."

Auf vielen Bildern sind Gerätschaften und Orte zu sehen, die aus jeglicher Ära stammen könnten. Willst du damit sagen, dass wir uns der Gewalt gegenüber anderen Menschen quasi noch nie entziehen konnten?
Folter ist schon fast so etwas wie ein fester Bestandteil des menschlichen Daseins. In jedem Krieg hat es gefolterte Opfer gegeben und in jedem Jahrhundert lassen sich diverse Gräueltaten ausmachen—egal ob nun Hexenverbrennungen oder die Kreuzzüge. Dazu kommt dann noch Ausbeutung und Erniedrigung in anderen Formen.

Inzwischen wollen die Menschen diese Zustände der Unterdrückung und der Armut jedoch ändern. Auf der ganzen Welt lehnt man sich gegen den Status Quo auf, weil wir durch diesen Status Quo alle zu Gefangenen werden. Folter ist da ein spezielles Werkzeug, das sowohl in körperlicher als auch mentaler Form vorkommen kann. In unserer Gesellschaft wird immer ein Gefühl der Zerrissenheit bestehen—vor allem dann, solange es noch Herrscher und Beherrschte gibt.

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'Room of Blood' von Andres Serrano

Hatten deine Models während der Shootings Schmerzen?
Obwohl es sich nur um Nachstellungen handelte, war es trotzdem nicht gerade angenehm, solche Positionen einzunehmen und zu halten. In gewisser Weise kann man hier also tatsächlich von Folter sprechen.

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Während des Projekts fand ich heraus, dass Menschen andere Menschen foltern, wenn sie Macht über sie haben. Meine Models haben genau das gemacht, was ich von ihnen verlangte. Stell dir jetzt mal vor, dass sie das nicht freiwillig getan bzw. keine andere Wahl gehabt hätten. Folter geht weit über körperliche Schmerzen hinaus, denn es kommt ja noch die Erniedrigung dazu, wenn das Opfer alles machen muss, was man von ihm verlangt.

'Untitled XXIII' von Andres Serrano

Dieses Projekt und viele deiner anderen Arbeiten verfügen über eine politische Dimension. In einem Interview meintest du aber, dass du deine Arbeit lieber als "Akt des Gewissens" bezeichnest, da politische Kunst in der Regel wie Propaganda daherkommt.
Ich sehe mich selbst nicht als Künstler, der eine bestimmte Agenda verfolgt. Ich versuche nicht, die Welt zu retten. Ich sehe mich viel mehr als das Kind in Des Kaisers neue Kleider. Das Kind sagt als einziges, dass der Kaiser nackt ist.

Wir werden darauf konditioniert, uns bestimmte Sachen nicht anzuschauen. Diese Sachen sind uns einfach zu viel, weil wir uns dann wegen allem schlecht fühlen. Wir ignorieren sie also lieber. Und dann komme ich an und sage: "Hey, schau dir das mal an." Ich finde, dass ich nur mache, was eh schon auf der Hand liegt.

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'Untitled II' von Andres Serrano

Ich weiß, dass du gläubiger Christ bist, und viele deiner Projekte haben das Leiden deiner Mitmenschen zum Thema.
Ja, ich bin Christ. Manchmal bin ich auch ein missverstandener Christ, aber ich bin Christ. Ich bin allerdings auch Künstler. Es ist ja jetzt nicht so, als könnte man immer sagen, "er ist ein guter Mensch" oder "er ist ein schlechter Mensch." Vielleicht ist man ein bisschen von beidem. Aber ich würde sagen, dass meiner Arbeit eine gewisse Menschlichkeit zugrunde liegt. Mich beschäftigen die gleichen Dinge, die auch den Papst beschäftigen. Ich will den Dialog mit Kuba ausweiten und die Obdachlosigkeit bekämpfen. Es wäre mein Traum, wenn Papst Franziskus mich empfangen und segnen würde—und mich vielleicht sogar dazu beauftragt, für die Kirche zu arbeiten wie so viele andere Künstler in der Vergangenheit.

Ich versuche, Verbindungen zu alten religiösen Künstlern wie Hieronymus Bosch herzustellen. Ich würde auch Luis Buñuel als religiösen Künstler bezeichnen. Er hatte ein durchaus ambivalentes und widersprüchliches Verhältnis zum Katholizismus. Das zeigt nur, dass die Kirche noch tief in einem drin steckt.

"Es gibt eine bestimmte Ästhetik, der ich entsprechen muss. Ich erschaffe schöne Objekte, selbst wenn es dabei um unangenehme Dinge geht."

Selbst formell zeugt die Inszenierung deiner Objekte von einer Ehrfurcht, die dich wahrscheinlich mehr in der Tradition klassischer religiöser Künstler verortet als in der Nähe von zeitgenössischen Künstlern von heute.
Zeitgenössische Kunst ist heutzutage oftmals intellektuell und sie ist kalt. Sie ist nicht politisch; sie ist nicht gesellschaftlich. Es ist Kunst über nichts. Bei meiner Kunst geht es um etwas und sie ist nicht kalt, weil ich keine kalte Person bin. Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich viel Kunst einfach nicht. Für mich ergibt es also nur Sinn, dass manche Menschen meine Kunst auch nicht verstehen.

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'Untitled VIII' von Andres Serrano

Deine frühen Arbeiten galten gerade bei konservativen Menschen als kontrovers. Mittlerweile sind es aber Intellektuelle, die sich daran stören, dass du Leiden so ästhetisierst. Hast du denn bei deinen Themen den Anspruch, sie schön aussehen zu lassen?
Das ist etwas, das man in der Kunst heutzutage ablehnt. Die Menschen wollen Derartiges nicht schön darstellen. Ich finde aber, dass es eine gewisse Ästhetik gibt, der ich entsprechen muss. Ich erschaffe schöne Objekte, selbst wenn es dabei um unangenehme Dinge geht. Wenn meine Arbeit diesen Anspruch nicht hätte, diese Dualität, diesen Kontrast zwischen Gut und Böse, dem Schönen und dem Hässlichen, dann würde ich einfach nur hübsche Fotos machen. Das wären dann dekorative Arbeiten, die niemanden interessieren würden.

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Menschen erwarten von mir, dass ich provokativ oder kontrovers bin. Wenn ich das mal nicht bin, sind sie enttäuscht und schreiben nicht über mich. Was mich wirklich deprimiert, ist, dass ich in den letzten 25 Jahren etwa 15 große Ausstellungen in Europa hatte, aber nur eine in Amerika. In Amerika bin ich "Andres Serrano, der kontroverse Künstler", in Europa hingegen einfach nur "Anders Serrano, der Künstler." In Amerika kennt man mich nur für Piss Christ.

'Crematorium Urns, Buchenwald' von Andres Serrano