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Cop Watch

Some Cops Are Bastards

Das Argument „Irgendwo geht es irgendwem noch viel schlechter, also gusch" zählt bei falschem Polizeiverhalten ganz einfach nicht.
Foto von VICE Media

Wenn wir über Polizeigewalt reden, passiert das selten neutral und unaufgeregt. Das liegt auch daran, dass diese Gespräche in erster Linie im Kommentarbereich unter verwackelten Handyvideos von angeblichen Polizeiübergriffen stattfinden und Diskussionen im Netz praktisch immer zwischen Vertretern der Extrempositionen ausgefochten werden. Die Polizei ist für viele Menschen Projektionsfläche und einzelne Amtshandlungen werden oft als Symbole für etwas Größeres gesehen—entweder für Recht und Ordnung oder für „All Cops Are Bastards".

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Zwischen diesen Extremen gibt es meistens keinen Platz für Kompromisse. Wenn man zum Beispiel die Ausbildung bei der Wiener Bereitschaftseinheit kritisiert, wo Jungpolizisten ihr Handwerk beim Vertreiben von Bettlern lernen, und sich die Frage stellt, was es für uns Bürger bedeutet, wenn hier „Powerplayer" in Springerstiefeln auf alltägliche Polizeikontrollen vorbereitet werden, wie Philipp Sonderegger das in seiner ausgezeichneten Blog-Analyse tut, muss man damit rechnen, sofort als Verteidiger linker Chaoten und Krimineller zu gelten.

Irgendwann taucht dann in jedem Kommentarbereich das Argument auf, man selber würde—Entschuldigung, aber das wird man ja wohl noch sagen dürfen—auf so viel Provokation auch nicht anders reagieren, wenn man in derselben Situation wäre. Irgendwer stellt immer die Frage: „Was darf die Polizei heute denn überhaupt noch?" und irgendwer anders bezeichnet jede Kritik am Polizeieinsatz als lächerlich und vergleicht diesen zur Veranschaulichung direkt mit Ferguson oder anderen Extremfällen aus den USA.

Alle diese Dinge finden sich auch wieder in den Facebook-Kommentaren zu unserem gestrigen Copwatch-Artikel. Nachdem gestern ein Video im Netz auftauchte, das die Polizei bei der Festnahme eines Mannes zeigt, der von Augenzeugen als geistig verwirrt beschrieben wurde, brach auf Facebook derselbe Stellvertreter-Krieg wie immer aus. Dass der Festgenommene selbst aggressiv war, schien für viele ein Freibrief für die aggressive Reaktion der Polizei zu sein.

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Aber darum geht es nicht. Genauso, wie es auch nicht darum geht, mit dem Aufzeigen von konkretem Fehlverhalten der Polizei die Exekutive zu entmachten oder den Staat in Anarchie zu stürzen.

Es geht darum, dass Übergriffe und Regelbrüche seitens der Polizei nicht akzeptabler werden, wenn wir sie mit einem (übrigens sehr katholischen) „Irgendwo geht es irgendwem viel schlechter, also gusch" zu rechtfertigen versuchen. Es geht darum, dass Polizisten im Gegensatz zu uns Privatpersonen darauf trainiert sein sollten, deeskalierend auf Gewalt, auf geistig verwirrte Menschen und auf hitzige Demonstranten zu reagieren, weil sie nun mal die Schiedsrichter unseres großen gemeinsamen Spiels namens Gesellschaft sind—und dass der Maßstab dafür, ob sie ihre Arbeit gewissenhaft und gut machen, nicht sein sollte, ob wir als impulsive Passanten auf Pöbeleien vielleicht „genauso" reagieren würden.

Wenn ein Busfahrer im Stau steht, reagiert er in der Regel auch anders als ein privater Autofahrer. Der Grund, warum der Busfahrer nicht wie verrückt hupt, während wir bereits ausgestiegen und den Stauverursacher mit unseren eigenen Händen von der Straße geschoben hätten, ist ganz einfach: Der Busfahrer wird nicht von seinem privaten Bedürfnis geleitet, besonders schnell irgendwo anzukommen, sondern macht einen verdammten Job. Der Unterschied zwischen Polizei und Passanten ist ziemlich genau derselbe.

Unser sozialer Vertrag besagt unter anderem, dass der Staat das Gewaltmonopol hat, solange er diese Macht verantwortungsvoll nutzt und seine Bürger durch genügend Kontrollmechanismen vor Missbrauch schützt. Auf diese Kontrollmechanismen zu bestehen, heißt nicht, den Staat zu schwächen, sondern die Demokratie zu stärken.

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Dazu gehört, dass wir—Bürger genauso wie Medien—auch kleine Vergehen ernstnehmen und selbst als Regulativ fungieren. Es ist wichtig, dass wir die Schwarmintelligenz des Netzes und die technologischen Möglichkeiten zur Dokumentation und Verbreitung von Übergriffen, die den sozialen Vertrag unserer Meinung nach brechen, nutzen.

Wenn die Polizei Menschen ihre Handys abnimmt, weil diese ihr Verhalten dokumentieren, obwohl das Filmen von Polizeieinsätzen völlig rechtens ist, oder sie wie bei den Anti-Identitären-Protesten hart gegen Demonstranten durchgreift, dann ist es umso wichtiger, dass wir über unsere Bürgerrechte Bescheid wissen und unsere Mittel zur Gänze ausnutzen. Wir sind der Videobeweis, der die Schiedsrichter-Entscheidung noch einmal revidieren kann.

Im Jahr 2014 gingen in Österreich 250 Beschwerden gegen die Polizei ein. Nur eine führte zu einer Anklage und keine einzige zu einer Verurteilung. Wie man diese Zahlen interpretiert, sagt viel über die eigene Position aus. Entweder glaubt man an eine universelle Ungerechtigkeit oder man schließt sich dem Polizeisprecher Roman Hahslinger an, der gegenüber ORF Thema angemerkt hat, dass null Verurteilungen auch bedeuten, dass das Verhalten der Einsatzkräfte als angemessen bewertet wurde—und implizit auch sagt, dass es vielleicht doch eher ein Wahrnehmungs- als ein Polizeigewaltproblem gibt. Die Anmerkung, dass die gemeldeten 250 Übergriffe bei insgesamt 6.000 Polizisten in Wien „nicht mal ein[en] Misshandlungsvorwurf pro Tag" bedeuten würden, wirkt wie ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht derer, die sich von Polizeigewalt betroffen fühlen.

Statt Rechtfertigungsversuchen und Ausreden bräuchte es aber Pragmatismus bei der Aufklärung. Auch und vor allem auf der Seite der Polizei. Auch wir tun gut daran, nicht zu Pauschalverurteilungen zu greifen—aber wir sollten auch aufpassen, dass wir uns kein Stockholm-Syndrom heranzüchten.

Folgt Markus auf Twitter: @Wurstzombie


Hier findet ihr das Video von Stefan Pausa zur Festnahme auf der Mariahilfer Straße.