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Ein Interview mit der Nichte vom Scientology-Chef

Jenna und ihre ganze Familie war bei Scientology und komplett von der Sekte eingenommen. Bis sie irgendwann endlich da raus kam.

In den letzten Jahren sind Bücher über die sonst so verschlossene Scientology-Kirche aufgetaucht. Es überrascht niemanden, dass ein großer Teil dieser Literatur nicht gerade positiv war. Eines der jüngsten Beispiele sind die Memoiren von Jenna Miscavige Hill, die die Nichte von einem hohen Scientology-Tier ist—David Miscavige. Das Buch heißt Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht.

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Als ehemaliges Mitglied der Scientology-Spitzengruppe Sea Org trat sie 2005 aus der Kirche aus und hat exscientologykids.com mitgegründet, um denen zu helfen, die sich immer noch in den schändlichen Klauen der Kirche befinden. Ich sprach mit ihr über die Erfahrungen aus ihrer Scientology-Zeit und wollte ihre Meinung zu der Vorgehensweise der Kirche hören.

VICE: Hey Jenna. Kannst du deine Kindheit als Anhängerin von Scientology beschreiben?
Jenna Miscavige-Hill: Meine Eltern traten der Sea Org bei, als ich zwei Jahre alt und Mitglied der Cadet Org war. Ich verrichtete am Tag 4 Stunden körperliche Arbeit und arbeitete 35 Stunden pro Woche. Mit 12 trat ich der Sea Org bei; diese Gruppe besteht aus den engagiertesten Anhängern Scientologys, die 14 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche arbeiten.

Welche Art von Arbeit hast du in der Cadet verrichtet? 
Wir haben Gräben ausgehoben, Bewässerungsleitungen gelegt, sie zusammengeklebt, Felsbrocken aus dem Flussbett gehoben und damit Wände gebaut. Im Grunde haben wir Landschaftsbau betrieben.

Was ist das Ziel der Cadets?
Ich glaube, dass in erster Linie die Indoktrination ihr Ziel ist. Uns wurde erzählt, dass nur Kriminelle Dinge umsonst bekommen und dass wir unseren Teil dazu beitragen müssten, um abends in einem Bett schlafen zu dürfen und Essen zu bekommen. Es ging darum, uns Gehorsam und Disziplin beizubringen und keine Fragen zu stellen.

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Also hat die Kirche mit eurer Arbeit Geld gemacht?
Wir wurden definitiv von denen ausgenutzt.

Was passierte, wenn ihr ungehorsam wart?
Die anderen schreiben einen Bericht. Die Mitglieder sollten einander im Auge behalten und falsches Verhalten melden. Wenn du das aber nicht getan hast und bei irgendetwas erwischt wurdest, hast du die gleiche Bestrafung wie diese Person bekommen. Es gab einen Ordner mit Berichten zu jedem Mitglied, und je nachdem wie schlecht deine Berichte waren, wurdest du zu Reis und Bohnen verdammt. Solche Sachen halt …

Gab es körperliche Bestrafung?
Nicht dass ich wüsste. Ich habe Geschichte gehört, dass Leute geschlagen wurden, aber mir ist nie was passiert. Es gab einige schwere Aufgaben, die nur die, die am meisten angestellt haben, verrichten mussten. Die wurden dann ausgegrenzt und wir durften nicht mit ihnen reden.

Warum hast du dich dazu entschieden, von Cadets zu Sea Org zu wechseln?
Ich wollte Mitglied werden, weil ich dachte, mehr Zeit mit meinen Eltern verbringen zu können. Dann wurde ich aber der Sea Org in Florida zugewiesen und konnte meine Eltern, die 3000 Kilometer entfernt waren, trotzdem nicht sehen. Von meinem 12. bis zum 18. Lebensjahr sah ich meine Mutter zweimal und meinen Vater viermal. Diese wenigen Treffen dauerten in der Regel noch nicht mal eine Stunde. Außerdem bekräftigte sich mein Entschluss, als ich meine Mutter in Florida besuchte; sie war im Vorstand von Sea Org und wurde wie eine Königin behandelt.

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Hast du die gleichen Privilegien genossen?
Nicht wirklich. Damals wusste ich es noch nicht, aber nur mit einer äußerst kleinen Zahl von hochrangigen Vorstandsmitgliedern wird so umgegangen: nur Führungskräfte wie mein Onkel, meine Mutter und wenige andere.

Hat sich irgendwas verändert, wie zum Beispiel, dass du Internet benutzen durftest?
Wir kommunizierten eigentlich gar nicht. Ich kannte niemanden, der nicht Anhänger von Scientology war. Wir hatten kein Internet, konnten nicht fernsehen, nur manchmal durften wir morgens 20 Minuten lang Radio hören.

Wie sah eure Schulbildung aus?
Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren teilten sich ein Klassenzimmer und es gab keinen Lehrer, der unterrichtete. Wenn du die Aufseher um Hilfe gebeten hast, sagten sie nur, dass du die Lösung selber nachschlagen sollst. Eigentlich hast du zu einem Roboter gesprochen. Scientologen glauben, dass der einzige Grund für dein Versagen darin liegt, dass du den Lehrtext im Buch nicht verstanden hast. Also sollst du die Sachen, die du nicht verstehst, im Wörterbuch suchen.

Gab es Klassenarbeiten, Noten, usw.?
Es wurden keine Zeugnisse oder Noten vergeben, damit du auch in der Zukunft nicht die Möglichkeit hattest, Abschlüsse zu absolvieren.

Die Regierung müsste solche Schulen doch steuern. Warum greifen sie nicht ein? 
Sie können nichts überprüfen, wenn Leute sagen: „Alles ist OK, mir geht’s gut.“ Außerdem sind die Eltern mitverantwortlich. Selbst wenn du aus der Kirche austrittst, dauert es eine Weile, bis du realisierst, was dir widerfahren ist—obwohl ich 21 war, habe ich Jahre gebraucht, um zu verstehen, wie gestört mein Leben war.

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Deine Eltern haben vor dir die Kirche verlassen. Warum bist du geblieben? 
Die Aussicht, auf eine öffentliche Schule zu gehen, hat mir Angst gemacht, weil ich in (meiner Entwicklung) so weit zurück war. Ich kannte niemanden außerhalb der Scientology-Gruppe—Scientologen benutzen eine ganz andere Sprache und ich hatte einfach Angst vor einer Welt, in der sich alle über mich lustig machen und Psychiater mich mit Medikamenten vollstopfen.

Hast du von der Kirche irgendeine Art der Vergeltung erfahren, als du schließlich ausgestiegen bist?
Als mein Mann und ich 2008 ausstiegen, wurden wir für einen Monat von Detektiven verfolgt. Die sind sogar mitten in der Nacht mit einem Hubschrauber bei uns gelandet, um uns einzuschüchtern.

Gruselig. Was wollten die?
Die haben mich größtenteils angeschrien und versucht, dass ich es verhindere, dass meine Geschichte auf dem Fernsehsender ABC gezeigt wird, indem sie mir versprachen, dass meine Freunde mit ihren Familien zusammenkommen dürfen.

Also emotionale Erpressung?
Ja, genau.

Dein Mann arbeitete für das „Celebrity Centre“ der Kirche. Wie kommt es, dass so viele Berühmtheiten von Scientology angezogen werden?
Die werden gezielt angeworben, weil Menschen sich für das Leben von Berühmtheiten interessieren und wenn sie diese über Scientology reden hören, werden sie selber Mitglieder. Ich glaube, das kommt, weil du bei Scientology niemanden anbetest und letztlich lernst, dass du dein eigener Gott bist und unendlich viel Kapazität besitzt, um alles selbst zu kreieren. Ich glaube, so etwas zieht egozentrische Menschen an. Ich glaube, es geht da um Macht.