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Popkultur

Pure Mordlust: Die Geschichte der Serienkillerin Joanna Dennehy

Die 31-Jährige töte 2013 in England drei Männer – ein Motiv hatte sie nicht.
Foto: SWNS

Mir läuft vor einem kleinen, tristen Häuschen am Rand von Peterborough ein Schauer über den Rücken. Es ist das Haus, in dem die Serienmörderin Joanna Dennehy ihren ersten und zweiten Mord beging.

Die Menschen in Welland, wie die Wohngegend hier heißt, scheinen nicht über Joanna Dennehy und ihre schrecklichen Taten sprechen zu wollen. Zwei Teenager, die auf ihren Mountainbikes den kleinen Grünstreifen neben dem Haus hoch und runter pesen, fragen mich, warum ich mich überhaupt für die Frau und ihre Taten interessiere.

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"Die war doch ein Psycho, Alter", sagt der eine.

"Eine Psychokillerin, ne?", ergänzt sein Kumpel. "Das ist doch alles."

Joanna Dennehy und die Peterborough-Morde strahlen noch immer eine makabre Faszination aus: Wie kann diese Frau so lange unauffällig durchs Leben gehen und dann mit 31 plötzlich ohne erkennbaren Grund drei Männer abstechen? Menschen kommen doch nicht so auf die Welt. Gibt es vielleicht etwas in Joanna Dennehys Vergangenheit – oder an ihrem sonderbaren Verhalten in der Haft –, das uns verstehen hilft, wie ein menschliches Wesen so grausam sein kann?

Obwohl sie seit 2014 eine lebenslange Haftstrafe in einem Hochsicherheitsgefängnis absitzt, ist Dennehy nicht wirklich von der Bildfläche verschwunden. Das Foto, auf dem sie mit einem martialischen Fantasy-Dolch posiert, hat sich tief in die britische Psyche eingebrannt. Außerdem tut sie wirklich einiges dafür, um auch hinter Gittern für Schlagzeilen zu sorgen.

Im März 2014, nur einen Monat nach Haftantritt, begann sie einen Briefverkehr mit der Ex-Frau ihrer Komplizen. Sie behauptete darin, einen der Morde gar nicht begangen zu haben. Detective Chief Inspector Martin Brunning, der an Dennehys Überführung beteiligt gewesen war, sagt, dass die Briefe untersucht worden seien, es aber schlicht "keine Beweise [gibt], die ihre Behauptung unterstützen". Später im gleichen Jahr verlobte sich Dennehy mit einem Bauarbeiter aus West Sussex. Der Mann berichtete der Boulevardzeitung The Sun, dass die Beziehung aus einer Brieffreundschaft heraus entstanden sei – getroffen hätten sie sich aber noch nie. 2016 wurden dann Details über einen geplanten Fluchtversuch bekannt: Dennehy hatte vorgehabt, eine Wärterin umzubringen und ihre Fingerabdrücke dazu zu verwenden, die biometrischen Schließanlagen zu überlisten. Zur Strafe wurde sie in Einzelhaft verlegt. Später verklagte sie das Justizministerium deswegen auf Schadensersatz. Ihre Einzelhaft sei eine "inhumane oder entwürdigende Behandlung oder Bestrafung" gewesen. Ohne Erfolg.

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Ganz schön viel für die paar Jahre, die sie bisher in Haft verbracht hat. In Zukunft dürfte noch einiges auf uns zukommen.

Langsam bekommen Psychologen ein besseres Verständnis für Psychopathien und solche Spielchen, wie sie Dennehy auch hinter Gittern treibt. Diverse Studien haben herausgefunden, dass es Psychopathen an Empathie fehlt und sie ein Bedürfnis zur Selbstüberhöhung verspüren. Für Letzteres suchen sie auch gerne die Nähe zu Menschen, über die sie Macht ausüben können. Weitere Untersuchungen deuten darauf hin, dass manche Psychopathen durch ihr Stimulationsbedürfnis zu besonders risikoreichem Verhalten tendieren.


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"Die allermeisten Psychopathen sind keine Mörder – die spüren kein Verlangen nach solchen Taten", erklärt Dr. Elizabeth Yardley, die Direktorin des Centre for Applied Criminology der Birmingham City University. "Und die meisten Mörder sind keine Psychopathen. Sie haben ein Gefühl, ein Gewissen für das, was sie getan haben. Aber es gibt sehr extreme Fälle – wie den von Joanna Dennehy –, bei denen es zu Überschneidungen kommt. Ich sehe diese Psychopathen ähnlich wie das Klischee des verrückten Wissenschaftlers – andere Menschen dienen ihnen für ihre Experimente. So nach dem Motto: 'Und was passiert, wenn ich das hier mache?' Wenn du keinerlei Empathie empfindest, gibt es nichts, was dich davon abhält, unter bestimmten Umständen deiner Neugier nachzugeben – auch wenn das Gewalt beinhaltet."

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Was hat Dennehy also zu ihren Taten bewegt? Welche Umstände haben dazu geführt, dass sie zur Serienmörderin wurde?

Joanna Dennehy | Foto: SWNS

Joanna Dennehy wuchs in Harpenden auf, einer kleinen Stadt in der Grafschaft Hertfordshire, nördlich von London. Die Gegend ist ruhig und angenehm, wenn auch etwas trostlos. Ihre Schwester Maria sagte der BBC, dass ihre Eltern – der Vater Sicherheitsmann, die Mutter Ladeninhaberin – hart dafür gearbeitet hätten, die Familie anständig versorgen zu können. Ihre Kindheit sei vollkommen normal gewesen, betont sie: "Da war dieses Mädchen, das wir liebten und das sich in ein Monster verwandelte."

Trotz allem zeichneten sich in Dennehys frühen Teenagerjahren erste ernsthafte Probleme ab. Sie war 13, als sie zum ersten Mal mit einem jungen Mann von zu Hause weglief. Laut ihrer Schwester war er 18 oder 19, in dieser Phase schon ein immenser Altersunterschied. Wieder bei ihren Eltern lebend begann sie, ihre Eltern zu bestehlen. Ein paar weitere Male lief sie von zu Hause weg, bevor sie dann mit 16 endgültig auszog – zusammen mit einem fünf Jahre älteren Mann: John Treanor.

Treanor und Dennehy wechselten immer wieder den Wohnort und vor ihrem 21. Geburtstag hatte sie bereits zwei Kinder. Sie war ihrem Freund gegenüber gewalttätig – vor allem, wenn sie betrunken war. Oft verschwand sie für mehrere Tage ohne Erklärung, hatte Sex mit anderen Menschen und legte selbstverletzendes Verhalten an den Tag. Ein Gefängnispsychiater attestierte ihr später paraphilischen Sadomasochismus – das Verlangen, beim Sex Schmerzen zu verursachen und zugefügt zu bekommen.

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2009 verließ Treanor schließlich Dennehy, nachdem sie ihn mit einem 15 Zentimeter langen Dolch bedroht hatte. Er zog in den Norden und nahm die beiden Kinder mit sich. Dennehy wechselte derweil weiter von einer Stadt in die andere. 2012, ein Jahr vor den Morden, bekam sie eine 12-monatige Bewährungsstrafe für Körperverletzung und das Halten eines Kampfhundes. Im gleichen Jahr verbrachte sie außerdem einige Tage im Krankenhaus von Peterborough, wo man ihr eine antisoziale Persönlichkeitsstörung diagnostizierte.

Wieder aus dem Krankenhaus entlassen ging Dennehy zu Quicklet, einer kleinen, lokalen Immobilienfirma, die ihr ein möbliertes Zimmer organisierte. Schon bald vermittelte ihr Quicklet-Mitbesitzer Kevin Lee Arbeit. Sie erledigte Gelegenheitsjobs für die Firma und half dabei, Mieter rauszuwerfen, wodurch sie Zugang zu einer ganzen Reihe Häuser bekam. Ihren ersten Mord beging sie in einem der Quicklet-Häuser in Welland, am nördlichen Rand von Peterborough. Dennnehy hatte den polnischen Lagerarbeiter Lukasz Slaboszewski in der Innenstadt kennengelernt. Dieser erzählte seinen Freunden ganz aufgeregt von seiner "englischen Freundin". Am 19. März 2013 schrieb ihm Dennehy eine SMS und lockte ihn zu dem Haus in Welland. Als er dort ankam, rammte sie ihm direkt hinter der Eingangstür ein Taschenmesser ins Herz.

Der Mord erschreckte sie nicht. Ganz im Gegenteil. Sie zeigte Slaboszewskis Leiche, die sie in eine Mülltonne gesteckt hatte, sogar noch einem 14-jährigen Mädchen aus der Nachbarschaft.

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Zehn Tage später tötete Dennehy erneut. Dieses Mal erstach sie ihren Chef und Vermieter Kevin Lee – wieder in dem gleichen Haus in Welland. Der 48-Jährige hatte mit Dennehy, nachdem er sie eingestellt hatte, eine Affäre begonnen. Kurz vor seinem Tod vertraute er einem Freund an, dass sie den Wunsch geäußert hätte, "mich schick anzuziehen und zu vergewaltigen".

Foto: SWNS

Später am gleichen Tag beging Dennehy ihren dritten Mord. Dieser ereignete sich in dem Haus, das sie im Süden von Peterborough, in Orton Goldhay, bewohnte. Dort ging sie auf ihren Nachbarn John Chapman los – einen 56-jährigen ehemaligen Navy-Soldaten. Sie stach sechsmal auf ihn ein.

Danach rief Dennehy Gary "Stretch" Richards an, den sie durch ihre Arbeit für Kevin Lee kennengelernt hatte, und sang "Oops, I did it again" in den Hörer. Anstatt zur Polizei zu gehen, machten sich Stretch und ein weiterer Mann, Leslie Layton, der zusammen mit Dennehy in dem Haus in Orton Goldhay wohnte, zu ihren Komplizen. Layton log die Beamten an und Stretch half ihr, die drei Leichen in Gräben auf dem Land zu entsorgen.

Dennehy und Stretch, der von da an als ihr Fahrer fungierte, gingen auf die Flucht. Dennehy sagte zu Stretch, dass sie wieder töten will: "Ich will meinen Spaß … Du musst dafür sorgen, dass ich meinen Spaß kriege", sagte sie zu ihm. In Hereford nahe Wales hielt Stretch an, damit Dennehy aus dem Auto springen konnte, um zwei zufällig daher laufende Männer anzugreifen. Mehrmals stach sie auf den 64-jährigen Robin Bereza und den 56-jährigen John Rogers ein. Wie durch ein Wunder überlebten beide den Messerangriff.

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Ein paar Tage später wurden Dennehy und Stretch schließlich von der Polizei gefasst. Im Februar 2014 wurde Stretch der Beihilfe zum versuchten Mord schuldig gesprochen und Leslie Layton bekam eine Strafe wegen Justizbehinderung. Joanna Dennehy bekam Lebenslang für dreifachen Mord und versuchten Mord in zwei Fällen. Sie ist eine von zwei Frauen in Großbritannien, die lebenslang im Gefängnis sein werden. Die andere ist Rosemary West.

Der Richter sagte zu Dennehy, dass sie eine "sadistische Lust nach Blut" habe. Was die Verurteilte später dem Gefängnispsychologen erzählte, bestätigte diese Beurteilung: "Ich habe getötet, um zu sehen, wie ich mich fühle – um zu sehen, ob ich so kaltblütig war, wie ich dachte. Dann bekam ich Lust nach mehr."

Das Haus in Orton Goldhay, in dem der dritte Mord geschah | Foto: Adam Forrest

Es sind jetzt vier Jahre seit den Morden vergangen, aber manche in Peterborough haben die Geschehnisse noch nicht ganz verarbeitet.

Toni-Ann Roberts wohnte etwa eine Woche mit Dennehy in dem Haus in Orton Goldhay, wo John Chapman ums Leben kam. Vor ihrem Einzug schon sei Dennehy immer wieder dort gewesen, um die Miete einzusammeln und mit anderen Mietern zu trinken und abzuhängen.

Roberts beschreibt Dennehy als "einschüchternd", allerdings hätte sie auch die entwaffnende Fähigkeit gehabt, Fremde schnell für sich zu gewinnen. "Sie hatte diese komisch-kokette Art mit Menschen", sagt Roberts. "Sie war sehr direkt und wollte wissen, wer du bist, was du machst und wie du drauf bist. Sie hatte ein Talent dafür, herauszufinden, wer ein geringes Selbstbewusstsein hatte und wo die Schwachstellen sind. Die Männer lagen ihr in der Regel zu Füßen. Sie hatte diese komische Macht über Männer."

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Gary "Stretch" Richards | Foto: SWNS

In ihren Manipulationen des anderen Geschlechts verfügte Dennehy über chamäleonartige Qualitäten. Diese Erfahrung machte auch Christopher Berry-Dee – Autor von Love of Blood, einem Buch über Dennehys Leben und Verbrechen –, als er ihr Briefe ins Gefängnis schrieb.

"Sie passte ihre Farben der Umgebung an", sagt er. "Zum Beispiel merkte sie, dass ihr Vermieter sie für Sex wollte. Und der Pole … sie scheint ihm schnell das Gefühl vermittelt zu haben, ein nettes Mädchen kennengelernt zu haben. […] In ihren Antwortbriefen war ihre Handschrift wunderschön, ihre Rechtschreibung fehlerlos und ihr Wortschatz perfekt—wie bei einer ruhigen und besonnenen Person. Es gab diese Versuche, mich zu beeindrucken. Aber ich hatte auch die Gelegenheit, mir [Dennehys] Briefe an Gary Stretch anzusehen. Die waren total anders—als würde sie sich wieder unters gemeine Volk mischen. Sie identifizierte sich immer mit der Person, der sie schrieb."

Auch wenn das jetzt den Eindruck erweckt, es mit einer gerissenen und eiskalt kalkulierenden Person zu tun zu haben, dann ist das keine Gerissenheit, die Dennehy jemals zu einem erfolgreichen Leben verholfen hätte. Sie schaffte es nicht, Beziehungen aufrecht zu halten. Sie machte sich ihr Talent nicht zunutze, um materiellen Reichtum zu erlangen. Tatsächlich funktionierte sie nirgendwo gut über längere Zeit. Dennehy mag vielleicht mit ihre Kaltblütigkeit angegeben haben, aber ihr selbstverletzendes Verhalten spricht für eine gequälte Persönlichkeit.

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Zwei von Dennehys Opfern: Lukasz Slaboszewski (links) und John Chapman (rechts) | Foto: SWNS

Neben den Angehörigen der Opfer bleibe auch bei vielen anderen Menschen, die in Dennehys Umfeld gesogen wurden, ein Gefühl der Angst zurück, sagt Toni-Ann Roberts. Das liegt zum Teil auch daran, dass sich niemand ihre Taten erklären kann. "Es war so grauenvoll", sagt sie. "Ich konnte es einfach nicht verstehen. Es hat viele von uns getroffen, die Menschen in diesem Haus kannten. Das lässt sich nicht so einfach vergessen. Ich bin nicht die einzige, die aus Orton Goldhay weggezogen ist."

"Ich erinnere mich noch an diesen Blick, den sie dir manchmal geben konnte … richtig unheimlich", sagt sie. "Sie war wie ein Wirbelwind. Sie kam, war schnell wieder verschwunden und hinterließ diese ganzen grauenvollen Dinge. Sie hat so viele Leben aus der Bahn geworfen."

Ein älterer Mann an der Bushaltestelle von Orton Goldhay sagt etwas zu mir, das ich schon oft an Orten gehört habe, wo Menschen schlimme Verbrechen begangen haben: "Es ist eine so ruhige Gegend. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass so etwas hier passiert."

Menschen können extrem angsteinflößend sein. Das wissen wir alle. Aber es schockiert uns jedes Mal, wenn sie so schlimme Dinge tun. Der Schrecken und Horror, der sich im Kopf eines Menschen abspielt, kann manchmal seinen Weg nach draußen in unsere Welt finden. An einem ganz normalen Tag, in einer ganz normalen Straße wird er dann Realität – ohne ein erkennbares Muster, ohne Logik.

Wir schauen auf einen Serienmörder und suchen nach einem Zeichen – nach etwas, in dem wir uns sogar wiedererkennen. Vielleicht sollten wir erleichtert sein, dass dort einfach nichts ist.

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