Die rote Treppe zum Akademikerball

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Akademikerball 2017

Mit Schmiss am Akademikerball

Ich war dort, wo ich in den Augen vieler hingehöre.

"Sind Sie korporiert?", fragt mich der Mann, der hier offenbar etwas zu sagen hat. "Nein", sage ich. "Nein?! Aber der Schmiss!", sagt er und deutet auf meine Wange. "Nein", wiederhole ich. "Wurscht", murmelt der Mann, während sein Handy schon am Ohr anliegt. "Mann mit dunkelgrauem Anzug", gibt er durch. "Darf eh rein, oder? Ja. OK, passt." Auf dem Handy-Display leuchtet mir der Name "Herwig Götschober", Schriftwart des Ballkommittes, entgegen. Der Security geht zur Seite. Ich darf nun doch rein.

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"Ihr hattet Glück, dass so ein hohes Tier wie Arne grad zufällig hier war", sagt das Pärchen, mit dem meine Begleiterin und ich uns unterhalten. Ich würde eher sagen: Wir hatten Glück, dass wir in der Schlange mit diesem Pärchen tratschten und der Mann glaubte, wir gehören dazu. Wie sich herausstellt, ist der Mann, der mich in den Akademikerball rein reklamiert, Arne Rosenkranz. Seines Zeichens Mitarbeiter im FPÖ-Parlamentsklub, Mitglied der schlagenden Burschenschaft Gothia und Sohn von Barbara Rosenkranz, der ehemaligen FPÖ-Präsidentschaftskandidatin. Wenn einer wie er glaubt, dass ich einen Schmiss habe, dann wird es wohl stimmen.

In der Schlange vor dem Eingang zum Akademikerball. Foto: Christoph Schattleitner | VICE Media

Es gibt keine Frage, die ich in meinem Leben öfter gehört habe als jene nach der Narbe auf meiner Wange. Mir wurde sie schon in allen möglichen Situationen gestellt. Von linken und rechten Politikern, von Kollegen auf der Uni, von Fremden in Bars und vom VICE-Geschäftsführer – dankenswerterweise erst, nachdem ich den Dienstvertrag unterschrieben hatte.

Eine Zeitlang konnte ich die Schmiss-Frage nicht mehr hören. Sie wurde zu einer Bürde für mich, der gern in politisch interessierten Kreisen verkehrt. Oft musste ich skeptische Blicke erdulden oder mein Aussehen erklären. Etwas, das stigmatisierte Gruppen wohl täglich machen müssen. Mit der Zeit lernte ich die Narbe aber zu schätzen. Sie ist ein guter Gesprächseinstieg. Ich lernte viel darüber, wie sich Leute ein Bild von mir machten. Um nicht auf die immergleiche Frage immer gleich zu antworten, erfand ich ein Quiz zu meiner Narbe:

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  • a.) Ich hatte als Kleinkind einen Ausschlag auf der Wange und zerkratzte mir die Haut mit den Fingernägeln. 
  • b.) Ich hatte als Volksschulkind einen Skiunfall und krachte in einen Stacheldrahtzaun. 
  • c.) Ich habe ein Semester in Leoben studiert, geriet in eine Burschenschaft und bekam einen Schmiss. 
  • d.) Ich wurde beim Wandertag im Kindergarten von einem Braunbär-Jungen attackiert.

Bei denen, die sich für die Bären-Antwort entscheiden, weiß ich, dass ich ihnen alles erzählen kann (was ich natürlich nicht mache). Die anderen Antworten sind plausibel – vor allem, wenn man sie argumentiert. Eine Person meinte mal, sie kenne auch jemanden, der als Kleinkind so einen Ausschlag gehabt habe. Andere würden viel Geld auf den Schmiss verwetten. "Wenn der Fechter Rechtshänder war, ist die Narbe auf der richtigen Wange." Und: "Deine Hemden, die gegelten Haare, das passt."

Foto: Vera Gasber

Um euch nicht noch länger auf die Folter zu spannen: Es ist b), der Skiunfall. Das ist 16 Jahre her und führt erst seit meinem 18. Lebensjahr zu Missverständnissen. Einmal wollte ich für eine Recherche den Stammtisch der sogenannten "Identitären" besuchen. Am Eingang wurde ich von den Rechtsextremen wie einer von ihnen begrüßt. Ein paar wenige schlugen nicht nur ein, sondern umarmten mich auch. Die Narbe ist nicht nur Bürde, sondern auch Türöffner. Zumindest in den Kreisen, in denen ich sonst nicht verkehre. Umso spannender fand ich es, herauszufinden, wie ich genau dort aufgenommen werde, wo ich dem Aussehen nach anscheinend in den Augen so vieler hingehöre.

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Ein "Identitärer" sprach mich auch beim Akademikerball an. "Tschuldige, hab' dich verwechselt", sagte er dann. Wahrscheinlich wollte er nur schauen, ob er richtig gesehen hatte. Ich machte kein Geheimnis daraus, Journalist zu sein. Aber das interessierte irgendwie auch fast niemanden. Meine Narbe war für die meisten wohl Antwort genug auf die Frage, wer oder was ich bin. Ich fühlte mich in vielen Situationen willkommen und zugehörig – ob bei belanglosen Gesprächen auf der Toilette oder in Form von freundlichen Blicken am Gang. Eine sehr seltsame Situation.

"Wien ist der einzige Ort in Europa, wo wir uns treffen können."

Anders war es beim eingangs erwähnten Ehepaar. Wir gerieten zufällig ins Gespräch, tratschten über Belangloses und amüsierten uns. Schluss damit war, als es hieß, die Großmütter dürfe nicht mehr auf ihre Kinder aufpassen, weil diese mit der politischen Gesinnung des Paars nicht klar komme. Ab diesem Punkt fing das Politisieren an und ich fühlte mich nicht mehr wohl. Die Anführer der franzözischen "Identitären" seien angereist, sagte der Mann, der die Ballkarten von "der Partei" bekommen hatte. "Wien ist der einzige Ort in Europa, wo wir uns treffen können." Der Ball sei der beste Ort, um "innerhalb der Gesinnung" zu netzwerken.

Für jene außerhalb der Gesinnung fand Festredner Andreas Hauer, Universitätsprofessor der JKU Linz, verächtliche Worte: "Dem Kleidungsstil nach zu urteilen, müssen sich die Demonstranten nicht mit den höheren Progressionsstufen des Einkommenssteuerrechts auseinandersetzen." Oder, österreichischer ausgedrückt: Wer keinen Anzug trägt, kann kaum was Ordentliches arbeiten, weil wir hier immer noch in Österreich (oder den 1950ern) leben. Außerdem wolle er nur jene Medienvertreter begrüßen, die keine "Fake News" verbreiten würden. In den vergangenen Jahren habe es in der Berichterstattung über den Ball davon genügend gegeben, meint Hauer. Man müsse sich entscheiden, auf welcher Seite man stehe: "Auf der Seite der bürgerlichen Ordnung oder auf der Seite der Anarchie." Das FPÖ-Medium unzensuriert.at fasst Hauers Rede so zusammen: "Medien als Komplizen der Staatsfeinde."

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Foto: Christoph Schattleitner | VICE Media

Den größten Zuspruch erhält Norbert Hofers Rede. "Hofer! Hofer! Hofer!", skandieren die Ballgäste. "Wir wollen dieses Land aus der Mittelmäßigkeit erheben. Und wenn ich hier in diese Runde sehe, dann sehe ich Persönlichkeiten, die dazu in der Lage sind", sagt Hofer. Heinz-Christian Strache ist übrigens krankheitsbedingt nicht am Ball.

Danach löst sich der Festsaal weitgehend auf. Tanzende Burschenschafter sieht man kaum. An der Bar ist mehr los. "Die Ballgäste werden immer mehr", meint Ball-Organisator Udo Guggenbichler. "So wenig war in der Hofburg schon lange nicht mehr los", meint der Barkeeper, der auch am vergangenen Akademikerball Dienst hatte. Nach der Mitternachtsquadrille werden die Gänge zunehmend leerer.

"Wenn wir auf diesen Ball beharren, so tun wir das nicht nur für uns, sondern für die gesamte Gesellschaft."

Eine Österreicherin, die seit 20 Jahren in Amerika lebt, ist mit ihrem Mann hier – der Ballsaison wegen. Der lustige Mann, der keine Ahnung vom Ball oder der österreichischen Politik hat, fragt die Burschen, wo sie sich weh getan haben und wo man diese Kostüme bekomme. Betrunken und auf Englisch erklären die Burschen Mitte 20, dass man mit dem Fechten das Spreu vom Weizen trenne. Nur die mit Schmiss würden es ernst meinen. Der Amerikaner findet das so lustig, dass er den Mann für seinen YouTube-Kanal filmt.

Es ist das unspektakuläre Ende eines Balls, bei dem noch getrunken und politisiert werden wird. Aber eigentlich sei es sowieso egal, was am Ball passiert. Am nächsten Tag würden die Medien eh wieder "150 Ballgäste, 550.000 Gegendemonstranten" schreiben, glaubt Guggenbichler, "aber wir wissen, dass es anders ist. (…) Wir haben gewonnen. Die anderen haben verloren."

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Aufgenommen um 01:14 Uhr. Foto: Christoph Schattleitner | VICE Media

Der FPÖ-Landtagsabgeordnete wirkt fast ein bisschen glücklich, wenn er das sagt. Die Demonstranten machen es möglich, aus einem Ball einen Freiheitskampf abzuleiten. "Unser Ball ist ja nur ein Symbol, gegen das angekämpft wird", behauptet Hauer. "Gemeint ist aber in Wahrheit Österreich, der Staat, die freiheitliche Gesellschaftsordnung und das Privateigentum insgesamt. Wenn wir also im Sinn der Freiheit auf diesen Ball beharren, so tun wir das nicht nur für uns, sondern für die gesamte Gesellschaft."

"Ich verstehe die Aufregung nicht", hat Alexander Van der Bellen zur Diskussion um den Ball gesagt. Ich stimme ihm zu. Burschenschafter, die tanzen oder Bier trinken, sind nicht das Problem. Ob es gut ist, dass sie dieses Land regieren, ist eine andere und vor allem politische Frage. Wenn man dieser Meinung ist, muss man aber auch dazu sagen: "Ich verstehe die Aufregung nicht" – nämlich jene der FPÖ über die Demonstrationen. Diese gefährden genauso wenig die "freiheitliche Gesellschaftsordnung".

Der Taxler biegt um die Ecke. "Als Schwarzer" habe er keine Probleme, Burschenschafter zu chauffieren. "Solange sich niemand in die Luft jagt, ist mir alles egal", sagt er und wir fahren genauso ereignislos davon.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner

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