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Deutschland schickt Erdoğan-kritischen Journalisten zurück in die Türkei

Einen Monat nachdem er gegen den türkischen Präsidenten demonstrierte, wurde Adil Yiğits Aufenthaltsstatus nicht mehr verlängert.
Adil Yiğit wird von zwei Männern abgeführt, im Hintergrund steht Angela Merkel
Zuerst führten ihn Sicherheitskräfte aus dem Saal, jetzt soll Adil Yiğit (im weißen Shirt) Deutschland ganz verlassen | Foto: imago | IPON 

Die Bundesregierung scheint an Gedächtnisverlust zu leiden. Vor weniger als einer Woche hat das Auswärtige Amt seine Reisehinweise für die Türkei verschärft. Schon einen regierungskritischen Beitrag in Sozialen Netzwerken zu liken, könne reichen, um in der Türkei vor Gericht zu landen. Selbst dann, wenn dieser Beitrag nicht einmal öffentlich einsehbar ist. Jetzt schickt die Hamburger Ausländerbehörde jemanden in die Türkei zurück, der ihrem Präsidenten noch viel direkter und für alle sichtbar die Meinung gesagt hat: den Erdoğan-kritischen Journalist Adil Yiğit. Und die Bundesregierung schweigt.

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Yiğit schaffte es Ende September mit einer Protestaktion zu größerer Bekanntheit. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Angela Merkel und dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Kanzleramt trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gazetecilere Özgürlük – Freiheit für Journalisten in der Türkei". Sicherheitskräfte führten ihn aus dem Saal.

Schon damals war die Reaktion der Bundesregierung mindestens suboptimal: Merkels Sprecher verteidigte öffentlich Adil Yiğits Rauswurf. Aber diesen Mann jetzt aus dem Land zu werfen und zurück in die Türkei zu schicken, ist nicht suboptimal – es ist gefährlich und bigot.


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Wie Yiğit bereits Anfang des Jahres in einem Interview mit der taz sagte, endet seine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland am 20. Februar. Yiğit lebt nach eigenen Angaben seit 36 Jahren in Deutschland, hat hier Familie. Er veröffentlichte unter anderem in dem von ihm gegründeten Onlinemagazin Avrupa Postası regierungskritische Texte. Nun verlängert das zuständige Amt seine Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr. Den endgültigen Bescheid habe er am Freitag erhalten, sagte Yiğit laut dpa.

Ursprünglich sei die Entscheidung mit seinem Arbeitslosen-Status begründet worden, sagte Yiğit im taz-Interview. Schon damals äußerte er die Vermutung, dafür bestraft zu werden, dass er sich an einer Sammelklage gegen das Bundespresseamt beteiligt hatte. Yiğit war einer von 32 Journalistinnen und Journalisten, denen das Bundeskriminalamt beim G20-Gipfel die Presseakkreditierung kurzfristig entzogen hatte. Dagegen ging er vor Gericht. Jetzt sagte er, sein Aufenthaltsstatus werde seiner Ansicht nach auch wegen seiner Protestaktion nicht verlängert.

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Yiğit hat in all den Jahren nie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. In der taz begründete er das mit seinem Kampf für eine türkische Demokratie: "Mein Traum war immer, irgendwann in die Türkei zurückzukehren und Politik zu machen. Das hat mich immer davon abgehalten, die Staatsbürgerschaft zu beantragen."

Als vor einem Jahr der deutsche Journalist Deniz Yücel in türkischer Haft saß, kritisierte Angela Merkel die Bedingungen in den dortigen Gefängnissen. "Was wir derzeit mit deutschen Staatsbürgern in türkischer Untersuchungshaft erleben, ist schwerwiegend und absolut nicht hinnehmbar", sagte sie im Gespräch mit der FAS .

Man sollte eigentlich davon ausgehen können, dass sich diese indirekte Forderung nach rechtsstaatlichen Prinzipien auch auf Menschen ohne deutschen Pass erstreckt. Der Fall Adil Yiğit, dem in der Türkei ebenfalls Haft drohen könnte, zeigt, dass dem wohl nicht so ist.

Update vom 29.10.2018, 16:07 Uhr: Die Ausländerbehörde Hamburg teilte mit, für Adil Yiğit sei weder eine Ausweisung noch eine Abschiebung geplant. Der Antrag seine befristete Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern, sei abgelehnt worden. Ihm werde aber eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt. Darüber seien sowohl Yiğit als auch dessen Rechtsanwalt informiert gewesen. Yiğit wolle laut ARD von der neuen Aufenthaltserlaubnis keinen Gebrauch machen, weil sie an Nachteile geknüpft sei. Unter anderem müsse er sich dann in kürzeren Abständen um eine Verlängerung bewerben, als bisher.

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