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Die venezolanische Armee ist in den "Schwarzwald" eingefallen

Bis auf Weiteres steht das deutsche Dorf Colonia Tovar unter Militärkontrolle.

Fachwerkhäuser im venezolanischen Bergland | Foto: Wikimedia | Isabel Rincón | CC BY-SA 3.0

Tränengas hängt in der Luft zwischen den Fachwerkhäusern, Lastwagen blockieren die Zufahrt zum Dorf. Die Hotels, in denen Frauen im Schwarzwald-Dirndl sonst Eisbein mit Sauerkraut servieren, sind geschlossen. Stattdessen ziehen Soldaten durch die engen Straßen.

Die Kulisse ist süddeutsch, die Ausschreitungen südamerikanisch. Rund 50 Tage nachdem in Venezuela hunderttausende Menschen gegen den sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro auf die Straßen gegangen sind, erreichen die Proteste auch die deutsche Gemeinde Colonia Tovar. Der Ort, eine Stunde von der Hauptstadt Caracas entfernt, steht bis auf Weiteres unter Militärkontrolle. Deutsche Auswanderer aus Baden-Württemberg hatten ihn vor 174 Jahren gegründet.

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Die Ausschreitungen weiteten sich auf die Region aus, nachdem am 18. Mai ein 13-jähriges Mädchen in Colonia Tovar von der Nationalgarde angefahren und verletzt worden war. Daraufhin kam es im gesamten Bundesstaat zu Protesten gegen den Präsidenten, wobei die Gegner Maduros laut der Zeitung El Nacional ein Verwaltungsgebäude in der deutschen Gemeinde anzündeten; auch Autos standen in Flammen. Anfangs versuchten die Bewohner noch, sich dem Einmarsch des Militärs mit Straßenblockaden entgegenzustellen, mittlerweile herrschen chaotische Zustände in Colonia Tovar. "Das ist eine sehr angespannte Situation", sagte am vergangenen Samstag eine Mitarbeiterin des Hotels "Bergland" der dpa. Das Militär kontrolliert nun die Ortseingänge.

Vorher war es beim "Marsch der Millionen" in Caracas zu schweren Ausschreitungen gekommen, landesweit starben bei Protesten und Plünderungen bereits 48 Menschen, mehr als 2.000 Personen wurden festgenommen. Die Opposition fordert Neuwahlen und wirft Präsident Maduro vor, das Land in eine Diktatur zu verwandeln.

Deutsche Einwanderer aus dem Kaiserstuhl gründeten Colonia Tovar 1843. Der damalige Präsident, Manuel Felipe de Tovar, ein Nachfahre spanischer Kolonisten, hatte sie eingeladen und schenkte ihnen das Land. In der venezolanischen Gebirgswelt machten es sich die Deutschen schön heimelig, bauten Fachwerkhäuser, feierten Fastnacht, sprachen Alemannisch und lasen die Zeit von der Kuckucksuhr ab.

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Fachwerk, Lederhose und Palmen in Südamerika | Foto: imago | Xinhua

Erst 1964 erhielt das Dorf der Obst- und Gemüsebauern durch den Bau einer Straße Anschluss an die Außenwelt. Viel hat sich seitdem nicht geändert und das authentische Schwarzwald-Ambiente ist noch immer eine venezolanische Touristenattraktion. Vor allem Leute aus Caracas machen sich für die deutschen Klassiker Wurst, Bier, Brot und Sauerkraut auf den Weg in die fremde Welt des Bergdorfs. Doch die Besucher werden weniger.

Venezolaner hinter Holzaufsteller-Tracht | Foto: imago | Xinhua

Heute leidet Venezuela unter einer dramatischen Versorgungskrise. Seit 2014 ist die Wirtschaft um 13 Prozent eingebrochen, die Rezession dauert an. Bürokratie, Korruption und Inflation haben zugenommen.

Das merken auch die Menschen in Colonia Trovar. "Es wird immer schwieriger, die nötigen Zutaten zu bekommen, Pfeffer zum Beispiel oder Gewürze", sagte der Metzgermeister Günter Hubrig gegenüber der FAZ. Vor 37 Jahren hatte der Sachse auf einer Reise durch Lateinamerika das deutsche Dorf entdeckt. Am Wochenende backt er schon mal 80 Christstollen und überlässt die Wurstproduktion seinen Angestellten. Doch die Leute haben kein Geld mehr, seine Produkte zu kaufen.

Dass die Ausschreitungen auch Tovar erreichen würden, war absehbar, so Bernd Meyer, Vorsitzender des Freundeskreises der Colonia Tovar in der Badischen Zeitung. Die Landwirtschaft in dem Dorf laufe gut, Obst und Gemüse gebe es genügend. Weil Benzin billig sei, aber Nahrung teuer, kämen die Venezolaner nun eben nach Colonia Tovar und ernteten ihr Essen einfach selbst – von den Äckern der Gemeinde.

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