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Horoskope

Warum mehr Menschen ihr Horoskop lesen sollten – auch wenn es kompletter Bullshit ist

Ein freundlicher Ratschlag und ein bisschen Selbstreflexion haben noch niemandem geschadet.
Fotobearbeitung von der Autorin

Vor kurzem hatte ich mit meiner Familie eine sehr lange Diskussion über den Wahrheitsgehalt von Tarotkarten-Lesungen und der Ö3-Sternstunde – und auch, wenn bei euch jetzt sämtliche Alarmglocken läuten, war es überraschenderweise nicht diese Art von Gespräch, bei der man seinen Eltern Fünf-Elemente-Küche und Homöopathie ausreden muss, während man ihnen das Prinzip von Wissenschaft noch mal erklärt. Stattdessen war es meine Familie, die vehement auf dem Standpunkt beharrte, dass dieser ganze Esoterik-Blödsinn nur eine billige Abzocke ist; während ich ins Nachdenken gekommen bin und am Ende die Gegenposition eingenommen habe. Lasst mich das kurz erklären, bevor ihr eure Laborkittel und Mistgabeln auspackt.

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Grundsätzlich stehe auch ich der Esoterik kritisch gegenüber. Wie so viele andere habe ich ebenfalls die Augen verdreht, als ich vom 95.000-Euro-Energiekreis rund um das Krankenhaus Wien-Nord gelesen habe, oder davon, dass ein selbsternannter Wunderheiler namens Braco für 5 Euro 45 Minuten lang mit seinem magischen Blick in die Menge starrt und danach angeblich Leute "aus dem Rollstuhl aufstehen, Blinde wieder sehen können und Krebskranke gesund werden." Bei dieser Art von Augenauswischerei stellen sich auch bei mir die Nackenhaare auf. Nur damit das klar ist.


Aus dem VICE Netzwerk:


Hinter Astrologie und professionellen Horoskopen stehen aber keine geldgierigen Scharlatane (oder nicht nur), sondern auch eine Jahrtausende alte Praktik, die früher als Wissenschaft gegolten hat. VICE-Kollegin und Astro-Afficionado Fredi Ferkova erklärt es so: "Mayas, Ägypter, Chinesen – sie alle haben Sterne beobachtet und Charakterisierungen für gewisse Zeitspannen und Planetenkonstellationen erstellt. Damals war man als Astrologe also nicht nur cool, sondern auch für Ernten und ähnliches brauchbar und somit anerkannt." Babylonier, Griechen, Mayas – alle diese alten Völker haben schon damals geglaubt, “dass es einen Zusammenhang zwischen ‘oben’ und ‘unten’ gibt”, wie es in einem Artikel der Welt heißt. Selbst in der Renaissance wurde die Astrologie sowohl im öffentlichen als auch im privaten Leben als sehr wichtig erachtet.

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Der weit verbreitete Aberglaube, dass Horoskope die Zukunft vorhersagen, wie Madame Esmeralda mit ihrere Kristallkugel im Wahrsagerzelt, ist demnach eher eine moderne Interpretation der Astrologie – teilweise auch von Seiten der Medien. Wie viel Wahrheit in diesen Vorhersagungen steckt, sei dahingestellt. Aber jetzt kommt’s: Es ist trotzdem eine gute Idee, dein Horoskop zu lesen. Laut meinem Horoskop soll ich mich zum Beispiel als Wassermann nicht von der Liebe täuschen lassen, denn “heute weiß man nicht, was man will.” Ja, diese Aussage ist ungefähr so nichtssagend wie sie vielschichtig sein kann – und genau das ist ihre Stärke.

In diesem Aspekt stimme ich Fredi komplett zu: "Es ergibt Sinn, Horoskope zu lesen – auch wenn sie Bullshit sind. Weil man reflektiert. Jeder Satz ist eine Aussage über seinen angeblichen Charakter. Also kann man fragen: Stimmt’s, dass ich hier Probleme habe? Oft schreiben Astro-Scharlatane auch Tipps dazu, die nach einer simplen Hausfrauenpsychologie erdacht sind. Sowas kann an traurigen Tagen als Aufmunterung dienen."

Nicht nur Fredi sieht Horoskope als eine Art Seelsorge. Auch die Sprachwissenschaftlerin Andrea Bachmann-Stein, die ihre Doktorarbeit über Horoskope in der Presse geschrieben hat, meint: "Auch wenn Horoskope formelhaft erscheinen und belächelt werden, sind sie für die Leser wichtig. Dass es in so vielen Zeitschriften immer noch welche gibt, zeigt, dass sie von den Lesern gewünscht sind." Ihr zufolge hat jeder Mensch ein Grundbedürfnis nach Orientierung, das Horoskope ein bisschen zu stillen helfen.

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Die Prophezeiungen zum Thema Liebe, Fitness oder Beruf sind außerdem zumeist sehr positiv und aufmunternd ausgelegt. Ich habe noch nie die Zeitung aufgeschlagen und gelesen: "Gesundheit: Sie werden bald eines qualvollen Todes sterben". Selbst wenn ausnahmsweise von möglichen negativen Vorfällen die Rede ist, sind Horoskope immer sehr bedacht und nachsichtig verfasst. Statt "Sie stürzen sich mal wieder Hals über Kopf in ein Gefühlschaos und werden es, wie immer, bereuen" liest man eben "Sie stehen die ganze Zeit voll auf dem Gaspedal. Sind Sie sicher, dass Sie die Handbremse auch gelöst haben?"

"Am Ende des Tages sind Horoskope nur da, um zu helfen."

Als ich diese Passage gelesen habe, musste ich übrigens schmunzeln, weil dieser Rat zufällig meine momentane Situation sehr treffend beschreibt. Also habe ich einen Schritt zurück gemacht und mir gesagt: Stimmt, komm wieder runter und lass dir ein bisschen Zeit. Mir ist bewusst, dass es wahrscheinlich hundert andere Wassermänner und Wasserfrauen gibt, die sich mit dieser Aussage überhaupt nicht identifizieren können, weil sie gerade wunschlos glücklich mit ihrem Liebesleben sind. Diesen Glückspilzen passiert wegen des unzutreffenden Horoskops aber nichts; sie werden sich die falsche Analyse wahrscheinlich nicht mal merken, weil es da diese Sache namens "Confirmation Bias" gibt – sprich: Man glaubt lieber, was einen bestätigt. Mir hingegen ist mit dem aufmunternden Ratschlag tatsächlich ein bisschen geholfen. Dazu muss ich auch gar nicht an kosmische Fügungen und Prophezeiungen glauben. Ob dieser Satz von meinem Sternzeichen im All, einem un(ter)bezahlten Zeitungspraktikanten oder Gerda Rogers höchstpersönlich kommt, ist mir egal. Es hat mich zum Nachdenken gebracht und nur das zählt.

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Meine Freundin Maria sieht das ähnlich. "Es ist ja vollkommen harmlos. Wenn da steht ‘Pass auf, wie du mit deinem Geld umgehst’ kann das auf keine Art und Weise irgendwem weh tun oder schaden." Auch sie beschäftigt sich schon seit längerem mit Horoskopen und Tarotkarten und hat auch mir schon ein paar Mal eine Lesung gegeben. Laut Maria haben all diese Methoden die gleiche Prämisse: "Unterbewusst sucht man sich das heraus, was für einen in der jetzigen Lebenssituation gerade relevant ist. Am Ende des Tages sind auch Horoskope nur da, um zu helfen."

Die Sprach- und Kommunikationswissenschaftlerin Katja Furthmann stimmt in ihrem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu: "Hier wird dem Leser Ermutigung und Trost suggeriert, er erhält Bestätigung und Motivation und das Gefühl, dass man sich für sein Leben interessiert. Er liest sein Horoskop, obwohl er weiß, dass es nicht für persönlich geschrieben wurde." Horoskope seien mit Absicht sehr allgemein und offen gehalten: "Viele leerformelhafte Bezeichnungen und Metaphern – 'Sie sind auf einem guten Weg', 'Auf der Überholspur', 'Stolpersteine', 'Notbremse' – lassen den Bezug bewusst unklar, der Leser kann sie für sich anwenden." Trotzdem liest sie ihr Horoskop regelmäßig – aus wissenschaftlichem Interesse, aber auch als Aufmunterung und leichte Lektüre. "Außerdem halte ich mich auf dem Laufenden. Ich bin offen für Weiterentwicklungen."

Liebe und hilfreiche Worte sind auch bei freier Erfindung immer noch liebe und hilfreiche Worte.

Bevor ich 30 Euro für einen Selbsthilfe-Guide von irgendeinem Lifestyle-Guru ausgebe, mich bei fünf verschiedenen Selbstfindungsseminaren anmelde, oder brav Kirchensteuer zahle, um jeden Sonntag beten zu können, lese ich lieber meinen täglichen, kostenlosen Fantasie-Satz darüber, wie meine Stimmung mit dem Sternenzelt zusammenhängt – abseits von institutioneller Religion und Sketen-Blödsinn.

Am Ende hat es noch niemandem geschadet, über seine eigenen Taten und Zukunft nachzudenken. Oder um es im Horoskop-Sprech zu sagen: "Wenn Sie mit dem Strom schwimmen, finden Sie den See, aber wenn sie gegen die Strömung schwimmen, kommen Sie zur Quelle." Also hört auf, Astrologie und Horoskope ins Lächerliche zu ziehen, nur weil es nicht zu 100 Prozent auf wissenschaftlich wasserdichten Beweisen basiert, und nehmt den Ratschlag von eurem Sternzeichen an – auch wenn er vielleicht nur erfunden ist. Liebe und hilfreiche Worte sind nämlich auch bei freier Erfindung immer noch liebe und hilfreiche Worte. Man muss es nicht glauben, nur darüber nachdenken – und schon hat man mehr kritische Selbstbetrachtung erledigt als die meisten Menschen. Euer Aszendent und Gerda Rogers meinen es nur gut mit euch.

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