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Cop Watch

Dieser Anwalt erklärt, warum verdeckte Polizisten bei G20 Straftaten begangen haben könnten

Die Entscheidung der Hamburger Staatsanwaltschaft sei ein Freifahrtschein für verdeckte Ermittler, Demonstrierende zu Straftaten anzustiften, sagt Jasper Prigge.
Jasper Prigge ist Experte für das Versammlungsrecht || Collage bestehend aus: Foto Jasper Prigge: Privat | Demo: imago | Lars Berg

Eine Stimme aus einem Polizei-Lautsprecher fordert die Demonstrierenden auf, ihre Vermummungen abzunehmen. Die Demo "Welcome to Hell" beim G20-Gipfel Anfang Juli 2017 hatte sich noch keinen Meter voranbewegt. Dann plötzlich rennen Bereitschaftspolizisten in die Menge der Demonstrierenden. Pfefferspray zischt durch die Luft, Knallkörper explodieren, Glasflaschen zerbersten. Die Polizei begründete ihr hartes Vorgehen später damit, sie habe den "Schwarzen Block" vom Rest der Demonstration trennen wollen. Wie jetzt herauskam, haben sich unter die vermummten Teilnehmer der "Welcome to Hell"-Demo wohl auch verdeckte Ermittler gemischt.

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In der vergangenen Woche hatte ein Zivilpolizist aus Sachsen vor Gericht angegeben, er sei mit drei Kollegen während der Demo im Schwarzen Block gewesen. "Der Zeuge hat ausgesagt, man sei dunkel gekleidet gewesen und hätte sich ein schwarzes Tuch bis unter die Nase gezogen", sagte später ein Sprecher des Gerichts. Sich auf Demonstrationen zu vermummen, ist jedoch eine Straftat.

Dennoch wird die Hamburger Staatsanwaltschaft nicht gegen die Polizisten ermitteln. Man habe das geprüft, sagte die Oberstaatsanwältin Nana Frombach. Das Versammlungsgesetz und somit auch das Vermummungsverbot gelte nicht für Polizeibeamte im Einsatz.

Der Rechtsanwalt Jasper Prigge sieht das anders. Als Verwaltungsrechtler ist er Experte auf dem Gebiet des Versammlungsrechts, das für jede Demo in Deutschland gilt. Für ihn klingt die Entscheidung der Staatsanwaltschaft wie ein Freifahrtschein für verdeckte Polizisten, Demonstrierende zu Straftaten anzustiften.

VICE: Dürfen sich verdeckte Ermittler unter Demonstrierenden mischen und sich vermummen – trotz des Vermummungsverbots bei Versammlungen?
Jasper Prigge: Grundsätzlich müssen sich Polizisten, die in eine Versammlung entsandt werden, nach Paragraph 12 des Versammlungsgesetzes dem Versammlungsleiter zu erkennen geben. Das heißt, verdeckte Ermittler sind im Ausgangspunkt versammlungsrechtlich nicht zulässig.

Die Oberstaatsanwältin Nana Frombach sagt, Polizisten bei Demos seien gar keine Versammlungsteilnehmer, also unterliegen sie auch nicht dem Versammlungsrecht. Liegt sie falsch?
Ein innerer Vorbehalt eines Polizisten führt nicht dazu, dass er kein Versammlungsteilnehmer ist. Sonst könnte ja jeder einfach sagen, ich gehe zu einer Versammlung, will aber kein Teilnehmer sein, also muss ich mich auch nicht ans Versammlungsgesetz halten und kann mich vermummen, wie ich lieb und lustig bin.
Wenn man davon ausgeht, dass Polizisten automatisch nicht als Teilnehmer gelten, müsste trotzdem von außen erkennbar sein, wer Teilnehmer ist und wer nicht. Das ist bei verdeckten Ermittlern aber nicht möglich.

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"Die Versammlungsfreiheit wird beeinträchtigt"

Aber müssen verdeckte Polizisten ihr Aussehen nicht an das Umfeld anpassen, in dem sie ermitteln?
Wenn man sagen würde, der Straftatbestand des Vermummungsverbotes gilt bei Versammlungen für verdeckt ermittelnde Polizisten nicht, wäre das ein Freibrief dafür, als Agent Provocateur aufzutreten. Einzelne Beamte könnten ohne große Angst vor rechtlichen Konsequenzen mit ihren Straftaten andere dazu verleiten, sich ebenfalls zu vermummen. Das halte ich für problematisch.

Was dürften verdeckte Ermittler im "Schwarzen Block" noch, wenn sie sich nicht ans Versammlungsgesetz halten müssen?
Sie dürften zum Beispiel Waffen tragen. Das ist Versammlungsteilnehmern eigentlich verboten.

Sind verdeckte Ermittler auf Demos mit der im Grundgesetz verbrieften Versammlungsfreiheit vereinbar?
Ich sehe es sehr kritisch. Die Versammlungsfreiheit wird schon dadurch beeinträchtigt, dass sich Polizisten in einer Versammlung aufhalten, ohne dass man sie erkennt. Entgegen ihrer gesetzlichen Legitimationspflicht, also der Pflicht, sich als Polizist zu erkennen zu geben. Als Versammlungsteilnehmer muss ich sicher sein können, dass neben mir kein Polizeibeamter steht und mich bespitzelt. Nur so ist eine unbefangene Ausübung meines Grundrechts möglich und aus diesem Grund gibt es ja im Paragraph 12 des Versammlungsgesetzes die Pflicht, sich als Polizeibeamter, der in eine Versammlung entsandt wird, zu legitimieren. Und auch verdeckte Ermittler werden in eine Versammlung entsandt.

Warum sollte also gegen die verdeckten Polizisten ermittelt werden?
Abgesehen von der Straftat der Vermummung durch die Beamten selbst, muss man die Frage stellen, ob wegen Anstiftung zu einer Straftat zu ermitteln wäre. Denn ein Agent Provocateur darf niemanden zu einer Straftat anstiften, die dieser dann begeht und vollendet. Bei der Vermummung ist dies bereits dann der Fall, wenn sich Teilnehmer vermummen. Allerdings müsste den Beamten ein entsprechender Vorsatz nachgewiesen werden. Ob ein solcher vorliegt, kann ich aber erst bei entsprechenden Ermittlungen feststellen.

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