"Warum nicht mal die Schnauze halten?": Moritz Bleibtreu hat genug von "Political Correctness"
Alle Fotos: Grey Hutton

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"Warum nicht mal die Schnauze halten?": Moritz Bleibtreu hat genug von "Political Correctness"

In seinem neuen Film spielt der Schauspieler einen kriminellen Kettenraucher. Wir haben mit ihm über Deutschrap gesprochen und darüber, warum er sich nicht zu #MeToo äußert.

Wo Moritz Bleibtreu ist, wird geraucht. Sei es beim Interview in einem Hotelzimmer oder in seinem neuesten Film Nur Gott kann mich richten, der am 25. Januar im Kino anläuft. In dem selbstproduzierten Gangster-Streifen spielt Bleibtreu Ricky, der – frisch aus dem Knast entlassen – einen letzten Überfall durchziehen will, bevor er ein neues Leben beginnt. Dabei kommt ihm allerdings die Polizistin Diana (Birgit Minichmayr) in die Quere, die alles tun würde, um ein Spenderherz für ihre kranke Tochter zu besorgen, und wir verraten nicht zu viel, wenn wir sagen: Auch in Frankfurt ist es keine Kaffeefahrt, kriminell zu sein.

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Wir haben den 46-Jährigen in Berlin getroffen und mit ihm über Deutschrap, Political Correctness und fehlende Diversität im deutschen Film gesprochen. Und darüber, warum er sich nicht zu #MeToo zu äußert.

VICE: Deutschrap an sich ist eine Kunstform, die dieses Gangster-Dasein gerne mal verherrlicht. Dein Film macht das – trotz Rapper-Gastauftritten und Rap-Soundtrack – aber nicht. Er zeigt: Kriminell zu sein, hat Konsequenzen, und die sind nicht schön.
Moritz Bleibtreu: Es ist vor allem ein klassischer Gangster-Film, auch wenn es das Genre in Deutschland ja eigentlich gar nicht gibt. Er hat keinen großartig sozialrelevanten Bezug, das passiert in Deutschland schnell, sobald du drei "Schwarzköpfe" in einem Film hast. Da heißt sofort: Ach, jetzt geht es wieder um Integration. Der Film fängt da an, wo wir begreifen, dass Menschen mit Migrationshintergrund und ein krimineller Lifestyle Teil unserer Gesellschaft sind. Wir erzählen das nicht aus der Mehrheitsperspektive, die da draufschaut und das dann beurteilt, wir erzählen das aus der Mitte, von und mit diesen Leuten. Das deutsche Kino hat in den letzten 25 Jahren eine super Entwicklung gemacht. Was mir aber fehlt, ist Vielfalt. Deswegen finde ich so einen Film wie Nur Gott kann mich richten wichtig.

Wird im deutschen Kino wirklich immer noch so exotisiert? Dass jemand mit arabischem Hintergrund beispielsweise nur für bestimmte Rollen in Frage kommt und vermeintliche "Parallelgesellschaften" immer politisch eingerahmt sind?
Sicherlich gibt es das noch! Ich glaube, in Deutschland hat man ein sehr großes Bedürfnis nach politischer Korrektheit. Hinter einer Geschichte braucht es immer einen politisch relevanten Hintergrund. Eine Art Rechtfertigung für den Film. Wir tun uns unheimlich schwer damit, Dinge, die sich nach Real Life anfühlen, in eine Geschichte zu packen, in der sie nur unterhalten sollen. Das ist genau wie im Deutschrap. Die ältere Generation fängt jetzt erst langsam an zu verstehen, was Rap überhaupt ist, wo er herkommt, was er bedeutet. Dass nichts davon schwulenfeindlich ist, dass nichts davon frauenfeindlich ist.

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Alle Fotos: Grey Hutton

Stellenweise ist er es schon, man darf es nur nicht dem kompletten Genre pauschal vorwerfen.
Aber doch auch nicht mehr als andere Teilbereiche der Gesellschaft. Worum es mir geht, ist, dass die Sprache nie verstanden wurde. Der Code, der hinter der Jugendkultur steckt, wenn man so will, seine Vielschichtigkeit. Das ist ähnlich wie in der Stand-up-Comedy. Da ist es in Deutschland oft so, dass wir einen Interpreten haben, der eine Figur spielt, und aus dieser Figur heraus den Stand-up macht. Das hat mit Stand-up aber nichts zu tun. Stand-up ist wie Rap. Stand-up ist ein Typ, der sich hinstellt und mit seiner Meinung die Welt kommentiert – und dann eben auch dafür geradesteht. Auch, wenn es mal politisch unkorrekt wird. Das werden wir in Deutschland aber ungern, weil wir immer alles gleich wahnsinnig ernst nehmen. Wir tun uns unheimlich schwer, über uns selbst zu lachen.

Ich verstehe, was du meinst, tatsächlich vereinnahmen aber gerade Rechte momentan die Kritik an "politischer Korrektheit".
Aber guck mal: Wie viel politisch korrekter kann man sein, als sich dann über solche Begrifflichkeiten zu streiten? Wieso sollte ich nicht "politische Korrektheit" kritisieren dürfen, nur weil es auch Rechte machen. Das ist doch nur ein Begriff! Aber dann suche ich mir das nächste Mal eben einfach meine eigene Formulierung für "politische Korrektheit" aus.

"Wieso soll ich mich dazu äußern? Wer bin ich denn? Irgend so ein Vogel, der Filme macht."

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Es geht ja nicht darum, dass man auf alles mit dem Finger zeigt und sagt: "Das hier darf nicht mehr gesagt werden!" Aber wenn sich der deutsche Comedian Chris Tall hinstellt und selbst ruft "Darf er das?", während er Witze über Schwarze macht – dann finde ich schon wichtig, das zu kritisieren.
Weißt du, womit das ganz viel zu tun hat? Mit Momentum. Natürlich musst du dir als Künstler immer Gedanken darüber machen, ob du das, was du da raushaust, raushauen kannst. Es gibt aber immer wieder Situationen, in denen eine bestimmte Aussage plötzlich in ein komplett anderes Licht gerückt wird. Wo derselbe Mensch dieselben Sachen schon vor zehn Jahren gesagt hat und es hat niemanden interessiert. Auf einmal wird daraus aber ein Politikum, weil die sogenannte "politische Korrektheit" ein Niveau erreicht hat, das es einem fast unmöglich macht, über bestimmte Dinge zu reden. Das finde ich befremdlich.

Meine halbe Kindheit war davon beeinflusst, dass ich morgens um zwei Uhr in irgendwelchen Kantinen meiner Mutter und Freunden dabei zuhören musste, wie sie die Welt politisch und künstlerisch in ihre Einzelteile zerlegt haben. Da hatten die Leute sehr eigene Meinungen, aber man hat ihnen ihre Meinung auch zugestanden. Das ist heute nicht mehr so, deswegen denke ich mir mittlerweile auch oft: Dann sage ich lieber gar nichts.

Zu welchem Thema äußerst du dich denn deswegen nicht?
Ich gebe zum Beispiel nicht den hundertsten Senf zu dieser #MeToo-Debatte.

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Aber es macht doch Sinn, dich auf #MeToo anzusprechen. So viele namhafte Schauspieler, deren Meinung für die breite Öffentlichkeit interessant ist, gibt es ja nicht.
Wenn so etwas passiert, dann denke ich mir, dass es schon seine Gründe haben wird, warum die Öffentlichkeit da ins Spiel kommen muss. Aber wieso soll ich mich dazu äußern? Wer bin ich denn? Irgend so ein Vogel, der Filme macht. Wen sollte mein Senf zu so einer Debatte interessieren? Was soll das bewirken? Ich habe mit diesen Sachen nichts zu tun, ich war nirgends dabei – was soll ich jetzt dazu sagen? Gleichzeitig verkaufen sich Zeitschriften und dieser ganze Kram zu 50 Prozent nur darüber, dass sich jemand das Maul darüber zerreißt, was jemand anderes gesagt oder angeblich getan hat. Warum also nicht einfach mal die Schnauze halten und Dinge hinnehmen und nicht immer alles gleich bewerten?

"Ich bin ein Hofnarr, ein Geschichtenerzähler, das ist meine Aufgabe."

Nur, um das noch mal eben klarzustellen: Du findest nicht grundlegend die #MeToo-Debatte an sich schlimm, oder dass Frauen über ihre Erfahrungen sprechen, sondern willst einfach nur nicht einer von tausend Leuten sein, die sich dazu äußern?
Genau! Ich will nicht irgendeine unqualifizierte Pappnase sein, die dazu irgendeine Meinung hat. Wenn du mich fragst, wie ich zu dem und dem Film stehe, oder zu diesem Buch, dann kann ich dazu was sagen. Ich weiß was über Literatur und ich weiß auch was über Schauspielerei. Meine Meinung dazu ist relevant und wenn du mich danach fragst, dann sage ich dir die auch. Aber ich kann nicht über Dinge reden, von denen ich überhaupt gar nichts weiß. Aber natürlich ist es wichtig, dass nun Anklage erhoben wird und Frauen oder Männer sagen, was sie erlebt haben, und dass das scheiße ist.

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Aber Film kann ein Mittel sein, solche Bewegungen zu spiegeln, und er kann solche Bewegungen in ein Korsett packen – auch, um die Leute ein bisschen zu erziehen.
Ich verstehe die Position vieler Leute, die sagen: "Ich empfinde Theater, Film, Kunst im Allgemeinen als politisch und ich möchte auch selbst aktiv politisch sein." Da muss man sich leider Gottes auch eingestehen, dass diese AfD genau das tut: Sie machen es. Da hilft es nicht, sich hinzustellen und einen Film darüber zu machen, wie scheiße das alles ist. Wenn man es wirklich aufrichtig meint, muss man selbst aktiv werden.

Wofür würdest du denn auf die Straße gehen? Wie bist du politisch aktiv?
Wenn Russell Brand oder Jim Carrey in deutscher Form kommen und sagen würden: "Ich mache jetzt eine Partei. Ihr müsst alle mitmachen." Dann würde ich mir tatsächlich überlegen, ob ich mich da anschließe. Aber an sich ist das nicht mein Ansatz. Ich arbeite nicht im Auftrag der Politik, sondern im Auftrag der Fantasie. Die ist auch politisch, das ist mir klar, aber sie würde es sich nie auf die Fahnen schreiben. Sicherlich habe ich viele Filme gemacht, die sogar große politische Aspekte gehabt haben, aber da lag nie meine Begeisterung. Ich bin kein politischer Mensch in dem Sinne, dass ich Dinge aktiv verändern möchte. Ich bin ein Hofnarr, ein Geschichtenerzähler, das ist meine Aufgabe.

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