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Sport

Warum Engländer das Rassismus-Problem im Fußball verstehen – und Deutsche nicht

Alles nur "Einzelfälle" und Rassisten sind ja eh "keine Fans"? So ein Blödsinn.
Fußballer Raheem Sterling bejubelt ein Tor
"Ich höre euch nicht": Raheem Sterling gegen Montenegro | Foto: imago | MB Media Solutions

Podgorica, die Hauptstadt Montenegros, am 25. März. Der englische Stürmer Raheem Sterling hat gerade das 5:1 für seine Mannschaft erzielt, für seinen Torjubel dreht er sich mit einem Lächeln zu den montenegrinischen Fans und hält sich beide Ohren zu. Respektlos? Im Gegenteil: Sterling reagierte damit auf 90 Minuten rassistischer Beleidigungen, auf Affenlaute und auf Feuerzeuge, die ihm und anderen Schwarzen Spielern wie Danny Rose und Callum Hudson-Odoi entgegengeschleudert wurden.

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Am Dienstag postet Sterling ein Bild seiner Pose auf Instagram. Untertitel: "Der beste Weg, um die Hater zum Schweigen zu bringen (und ja, ich meine Rassisten)." Nach einem Tag hat der Beitrag fast 500.000 Likes. "Ich wollte sie nur wissen lassen, dass sie mir mehr erzählen müssen, als dass wir Schwarz sind und wem wir ähneln, um uns zu beeinflussen. Das war die Botschaft", erklärte der 24-Jährige.

Auch Gareth Southgate, Trainer der Engländer, äußerte sich nach dem Spiel in Montenegro. In einer emotionalen 15-minütigen Pressekonferenz sagte er, dass er als mittelalter, Weißer Dude zwar kein Experte in Sachen Rassismus sei. Doch Sanktionen wie Stadionverbote gegen Fans, die sich rassistisch äußern, seien seiner Meinung nach wertlos. "Wir müssen junge Leute erziehen, weil bei ihnen die Erfolgschance größer ist. Es ist nicht so, dass ich hier sitze und nur das kritisiere, was heute Abend passiert ist. Wir haben in unserem Land dasselbe Problem, wir sind davon nicht frei."

Die Aussagen von Raheem Sterling und seinem Nationaltrainer zeigen, dass das Thema Rassismus im englischen Fußball stärker reflektiert wird als in Deutschland. Denn wieso hört man solche klaren Worte nicht auch mal von Joachim Löw? Oder dem DFB-Präsidenten? Oder auch nur einem Nationalspieler?

Der DFB und die vielen rassistischen Einzelfälle

Rückblick auf vergangene Woche: Deutschland spielt in Wolfsburg gegen Serbien, von der Tribüne aus werden Spieler wie Leroy Sané und İlkay Gündoğan von Fans angefeindet. Ein Sportjournalist sitzt einige Plätze weiter und beschreibt die Situation in einem Facebook-Video, das viral geht. Und was sagt Cacau, der Integrationsbeauftragte des DFB, zwei Tage später in einem Interview? Es habe sich nur um Einzelfälle gehandelt und man solle ihnen nicht zu viel Beachtung schenken. Der DFB verurteilte die Sache derweil "aufs Schärfste" und teilte noch mal brav seine superduper Integrations-Kampagne auf Twitter.

Inzwischen hat sich Cacau für seine "missverständlichen Formulierungen" entschuldigt. Er habe Rassismus im Fußball nicht kleinreden wollen.

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Doch das Gerede vom Einzelfall ist, nun ja, kein Einzelfall beim DFB. Seit Jahren werden rassistische Übergriffe in Stadien immer wieder als unglückliche Vorkommnisse abgetan. Anfeindungen werden reflexartig verurteilt, die Täter strafrechtlich verfolgt, gelegentlich bekommen sie Stadionverbot. Es seien "keine Fans", heißt es oft, was großer Blödsinn ist. Denn natürlich können Rassisten auch Fußballfans sein und natürlich hat der deutsche Fußball ein Rassismus-Problem, von der Kreisklasse über die Bundesliga bis hin zur Nationalmannschaft.

Auch von deutschen Nationalspielern kommen häufig nur aalglatte PR-Statements. Selbst dann, wenn ein Mitspieler über Rassismus im eigenen Verband klagt und deshalb zurücktritt. Allenfalls gibt mal Jérôme Boateng, inzwischen Ex-Nationalspieler, ein längeres Interview zum Thema. Klar, er kann ja auch aus eigener Erfahrung sprechen. Von Bundestrainer Joachim Löw sind emotionale Ansagen wie 2017 nach einem Spiel gegen Tschechien, als er vor lauter Anfeindungen "voller Wut und sehr, sehr angefressen war", eher die Ausnahme. Und selbst dann sagt er noch, dass diese Menschen einfach nicht mehr ins Stadion dürften.

Rassismus ist größer als ein Fußballstadion

Womit wir wieder in England wären. Die Aussagen von Gareth Southgate und Raheem Sterling gehen deshalb einen Schritt weiter, weil sie Rassismus als das bezeichnen, was er ist: Nicht die Äußerungen einiger besoffener Idioten, sondern ein strukturelles, gesellschaftliches Problem. Und das lässt sich nicht lösen, indem man einige Dutzend oder auch Hunderte Menschen aus dem Stadion verbannt.

"Meine Kinder denken keine Minute daran, wo Menschen geboren wurden, welche Sprache sie sprechen und welche Hautfarbe sie haben. Junge Menschen haben diese Unschuld, die nur von älteren beeinflusst wird", sagte Southgate nach dem Spiel. Und deutet damit an, dass nicht die Symptome, sondern die Ursachen bekämpft werden müssen. Anders gesagt: Um Rassismus besser zu bekämpfen, muss man jene Menschen bilden und aufklären, die noch gar nicht selbst ins Stadion gehen dürfen. Nämlich Kinder und Jugendliche, die von Älteren lernen, dass es offenbar völlig normal ist, Schwarze Fußballer mit Affenlauten zu beleidigen oder Bananen auf sie zu werfen.

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Das sieht auch Raheem Sterling so, und er muss es wissen. Er wurde in Jamaika geboren, sein Vater wurde ermordet, als Raheem zwei Jahre alt war. Er wuchs in London auf und bekam schon früh mit, wie es als Schwarzer Fußballer auf dem Platz sein kann: verdammt unbequem. Obwohl er einer der besten englischen Spieler ist, wird er auch in der heimischen Liga immer wieder angefeindet. Doch anstatt es zu ignorieren, nutzt Sterling seine Popularität und macht in Interviews und auf Instagram immer wieder klare Ansagen.

"Ich glaube nicht, dass ich ein Leader bin", sagte er im Dezember, als er wieder einmal öffentlich den Rassismus beklagte, "ich denke nur darüber nach, weil ich solche Dinge schon eine ganze Weile mitbekomme."

Man würde sich wünschen, dass auch die deutschen Nationalspieler und Verantwortlichen mal öfter öffentlich darüber nachdenken würden.

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