Papst winkt und löst sich auf
Lang lebe der Papst, aber mir wäre es lieb, wenn sich der Vatikan in Rauch auflöst || Papst: Ulmer | imago || Petersdom: Alex Proimos | Wikimedia CC2.0 || Bearbeitung: VICE

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Meinung

Schafft den Vatikan ab!

Warum ich die Doppelmoral dieses exklusiven Elite-Clubs nicht mehr ertragen kann.

Es mag blasphemisch klingen. Zumindest für die, die glauben der Pontifex sei Gottes Vertreter auf Erden, aber um es kurz zu sagen: Mir reicht's. Ich sitze im Zug, als ich diesen Text schreibe. Neben mir sitzt ein älterer Herr, und starrt auf meinen Bildschirm. "Ihr Ernst?!", fragt er und deutet auf die Überschrift. "Ja", antworte ich, und ich sage es laut und deutlich, für meinen Sitznachbarn, für Euch, für den Papst, und für Horst Seehofer, der mich womöglich nie wieder nach Bayern einreisen lässt, sollte er diese Zeilen lesen: Schafft den Vatikan ab!

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Ich habe eine umfassende christliche Erziehung genossen. Mein Leben lang habe ich mich in einem dörflichen, erzkatholischen Umfeld bewegt, von der katholischen Grundschule bis zu einem Gymnasium, das sogar eine Klosterschule war, bei der die Nonnen und der Priester direkt auf dem Schulgelände wohnten.

Bei vielen meiner Freunde beschränkte sich der Glaube darauf, freitags Fisch zu essen, sonntags in der Kirche zu hocken, weil Oma sie zwang, und die laminierten Karten der Mariabilder in ihrem Portemonnaie zum Türschlösserknacken zu missbrauchen. Glaubt mir, ich habe mich intensiv mit dem Glauben beschäftigt – nicht mit den Gimmicks.

Eine Mitgliedschaft im exklusiven Club der katholischen Elite ist in meiner Heimat ein Geburtsrecht gewesen

Ich bin evangelisch-freikirchlich erzogen worden und deshalb nicht getauft. Aber ich saß in mehr katholischen Messen als in evangelischen. Ich ließ mir mehr Weihwasser ins Gesicht spritzen, als mir lieb war. Ich sang Kirchenlieder leidenschaftlich mit, kniete beim Segnen des Abendmahls auf der Kirchenbank und verkniff mir immer eisern ein lautes Lachen, wenn der Priester seinen Sopran so schief sang, dass Dieter Bohlen das Botox schmelzen würde.

Ich durfte trotzdem nie die heiligen Hostien empfangen, vom Krippenspiel wurde ich ausgeschlossen, und ein Priester bezeichnete mich in der Grundschule als "Heidenkind". Die nicht-katholischen Kindern wurden in separaten evangelischen Unterricht gesteckt. Eine Segnung an Feiertagen? Für ein Heidenkind ausgeschlossen – obwohl ich an Gott glaube. Eine Mitgliedschaft im exklusiven Club der katholischen Elite ist in meiner Heimat ein Geburtsrecht gewesen.

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Ihr könnt glauben an was ihr wollt. Mir geht es hierbei um das willkürliche hierarchische System, nach dem die katholische Kirche als Institution funktioniert.

Ja, die Geschichte des heutigen Vatikans geht weit in der Zeit zurück, sie ist älter als die einiger Staaten, an deren Gesetze und Regeln wir uns alle halten, ohne groß darüber nachzudenken. Die Verfassung der USA haben auch ein paar privilegierte, weise Männer formuliert, genau wie die Bibel. Aber nur weil die Ansammlung verstaubter katholischer Ideale gefühlt schon immer da war, genießt sie keine Immunität. Vor allem nicht, wenn dahinter ein Machtgefüge steckt, das es auch im Jahr 2019 noch nicht geschafft hat seine Doppelmoral abzulegen.


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Missbrauchsskandale, Diskriminierung von LGBTQs, das Verurteilen und Verbieten von Abtreibungen; Macht und Geld statt offener Nächstenliebe und regelfreiem Glauben – für das Epizentrum der katholischen Kirche ist Selbstbestimmung ein Fremdwort. Und genau das ist mein Problem. Die Gesellschaft entwickelt sich immer weiter, während sich der Vatikan so langsam bewegt wie der Verkehr zur Rush Hour, und zwischendurch auch gerne mal den Rückwärtsgang einlegt.

Seit 2010 werden Vorwürfe zu sexuellem Missbrauch in der Kirche immer wieder öffentlich diskutiert, auch wenn Vorfälle durch Historiker schon sehr viel früher nachgewiesen werden konnten. Neun Jahre später, im Februar 2019, sah sich der Papst endlich verpflichtet "diesem Übel" entgegenzutreten und die "Schreie der Kleinen" zu hören, und zwar im Rahmen der ersten Missbrauchskonferenz. Um fair zu sein, Papst Franziskus kann nichts für das Stillschweigen seiner Vorgänger – aber er ist immerhin auch schon seit sechs Jahren im Amt.

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Der Vatikan straft alle hart ab, die nicht nach ihrer Ehe- und Sexualmoral handeln

Statt seine enorme Macht zu nutzen, um sich mit sexuellen Übergriffen auseinanderzusetzen, das Zölibat zu überdenken oder Konsequenzen für Bischöfe und andere Täter auszuarbeiten, die sich gerne als "Schutzbefohlene" bezeichnen, hat der Papst andere Themen auf die Agenda gesetzt: Pro-Choice-Ärzte betitelt er als Aufträgsmörder oder prägt den Begriff "Babycaust", auch wenn er ihn nie direkt benutzt hat. Und wer homosexuell oder geschieden ist, darf immer noch nicht in kirchlichen Einrichtungen arbeiten. Jüngst wurde ein Chefarzt einer katholischen Klinik entlassen, weil er ein zweites Mal geheiratet hatte. Für das Bundesarbeitsgericht kein Grund für eine Kündigung, und der Beweis dafür, dass die Spielregeln des Vatikans keine global geltenden Gebote sind. Mittlerweile arbeitet der Arzt wieder in der Klinik.

Es scheint, als strafe der Vatikan alle hart ab, die nicht nach ihrer Ehe- und Sexualmoral handeln, es sei denn, es sind Leute aus den eigenen Reihen. Gottgegebene Doppelmoral? In der Bibel steht das sicher nicht.

Kindesmissbrauch, das geht einfach nicht, aber der Vatikan bietet ja noch weitere Angriffsflächen. Die Rolle der Frau zum Beispiel. Es ist vielleicht historischen Altlasten geschuldet, dass auch dort Männer über Frauen herrschen, aber warum werde ich den Eindruck nicht los, dass angeblich "ranghohe" Frauen dem Vatikan nur als Deko dienen? Ihnen ist die Weihe verwehrt, und damit auch die Macht.

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Der Säkularismus, die Trennung von Kirche und Staat, ist ein Eckpfeiler der Demokratie. Aber der Vatikan ist eine Wahlmonarchie und mischt global mit. Der Zwergstaat hat sogar einen Vertreter des heiligen Stuhls auf einem Stuhl in der UNO sitzen, der zwar nur beobachten, und nicht sprechen darf, aber immerhin. Was soll das? Ein Anstandswauwau, der nichts sagen darf, sondern nur kläffen, wenn ihm nicht passt, was die anderen treiben?

Der Papst predigt nicht, er befiehlt

Als einer der wenigen Staaten lehnt der Vatikan bis heute die Menschenrechtscharta der UNO ab. Der Grund: Die Katholische Kirche stuft das "Recht Gottes" höher ein als das Menschenrecht.

Soll Gott im Himmel doch alle Rechte haben, die er braucht – aber wir hier unten hätten auch gerne welche, das ist ja wohl kaum zu viel verlangt. Das bedeutet nicht, dass der Vatikan grundsätzlich unmenschlich ist – im Gegenteil, das wird besonders in der Dokumentation von Wim Wenders über Papst Franziskus deutlich. Trotzdem zeigt diese Ablehnung nur einmal mehr, dass sich der Vatikan so schnell nicht die Hosen ausziehen lässt wenn es um Macht geht – außer, einzelne Vertreter lassen sie selbst runter.

OK, die katholische Kirche ist der größte wohltätige "Verein" auf dieser Welt. Zum Beispiel betreibt sie Krankenhäuser, Kitas, Armenküchen. Aber sie ist auch der einflussreichste Verein – und das nicht immer im liberalen Sinn. Der Papst predigt nicht, er befiehlt: Was er sagt, hat Konsequenzen, wie zum Beispiel die oben genannte Kündigung. Er kritisiert auch nicht, er urteilt.

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Bei meinem Besuch im Vatikan war ich von all der Schönheit geblendet, meine Augen erfreuten sich am Prunk, am Gold, am Schnörkel. Während der Papst andere zum Sparen mahnt, oder seine Schäfchen auffordert den Armen zu helfen, verprasst der Vatikan selbst Unmengen an Geld. Der Vatileaks-Skandal zeigte, dass Millionen in der Kasse des Vatikans liegen, die aber nicht für wohltätige Zwecke ausgegeben werden, sondern für die "Kurie", also die Leitungs- und Verwaltungsorgane. Wieder lässt die Doppelmoral mich zweifeln.

Der Papst scheint für alle die Spielregeln zu bestimmen, aber benimmt sich wie das fiese Kind auf dem Bolzplatz, dass die Regeln immer nur zu seinem Vorteil ändert. Oder für den die Regeln gar nicht erst gelten. Er ist der Spielmacher, er hat die Macht.

Heiligkeit, das ist für den Vatikan ein Synonym für Unantastbarkeit. Am heiligen Stuhl wird nicht gerüttelt. Dabei sollte der Vatikan genau da anfangen, jetzt da alles ohnehin schon ins Wanken gekommen ist. Hinterfragt eure jahrhundertealten Einstellungen! Solange ihre eure Doppelmoral nicht beseitigt, werdet ihr nicht glaubwürdiger. Wer glauben soll, muss glauben wollen.

Aber wenn ihr euch nicht ändern wollt, bleibt mir nur eins zu sagen: Schafft den Vatikan als Maß der Dinge ab, man braucht diesen Elite-Club nicht. Glaube funktioniert auch nur mit Gott.

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