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Sex

"Jede Frau ist orgasmusfähig"

Warum trotzdem so viele Frauen Probleme haben, zum Höhepunkt zu kommen, und was ihr dagegen tun könnt.

"Ich finde es befreiend, dass jemand das Thema anspricht." So beginnt die E-Mail einer jungen Frau an mich. Sie schreibt von einer Adresse, die sie sich extra für diese Nachricht eingerichtet hatte. So wichtig ist es ihr, anonym zu bleiben – und so sehr schämt sie sich dafür, noch nie einen Orgasmus gehabt zu haben.

Auch eine zweite junge Frau meldet sich nach meinem Aufruf. Sie ist 23 Jahre alt und hatte ebenfalls noch nie einen Orgasmus. Im Gespräch erzählt mir Laura*, dass sie mit ungefähr 20 Jahren gemerkt habe, dass sie Probleme dabei hat, zum Orgasmus zu kommen.

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"Ich hatte schon ziemlich früh Sex und bis ich 20 Jahre alt war, auch verschiedene Partner. Mit einigen davon war ich in längeren Beziehungen. Ich hatte also bereits viele gute sexuelle Erfahrungen gesammelt. Da ist mir bewusst geworden, dass es vielleicht nicht unbedingt an den Fähigkeiten meiner Partner liegt und dass ich wohl generell Probleme damit habe, einen Orgasmus zu bekommen", sagt Laura.

Damit ist sie natürlich nicht alleine: In verschiedensten Foren finden sich Einträge von verzweifelten Frauen, die nicht zum Höhepunkt kommen können und befürchten, deswegen verlassen zu werden und ihren Partner zu verlieren. Die Durex-Studie aus dem Jahr 2016 ergab, dass mehr als zwei Drittel der Frauen beim Geschlechtsverkehr nicht immer zum Höhepunkt kommen. Mehr als die Hälfte der befragten Frauen empfindet es als unangenehm, mit dem Partner über dieses Thema zu sprechen.

Gegenüber ihren gelegentlichen Gspusis spricht auch Laura das Thema nicht an. Erst, wenn sich mehr daraus entwickelt, sucht sie das Gespräch. Bisher hat sie nur mit engen Freundinnen und ein paar Ex-Partnern darüber geredet, erklärt sie mir.

Die Therapeutin Claudia Wille arbeitet in ihrer Praxis in Wien auch immer wieder mit Frauen, die Probleme beim Orgasmus haben. In der Sexualtherapie sucht sie mit diesen Frauen nach der Ursache für ihr Problem, bearbeitet Ängste und hilft den Frauen, selbstbewusster zu werden.

"Grundsätzlich ist jede körperlich gesunde Frau orgasmusfähig, aber Frauen sind verunsichert, da die Informationen darüber, was ein Orgasmus ist, sehr widersprüchlich sind", erklärt die Expertin. Es ist also nur eine scheinbare Orgasmusunfähigkeit, von der wir reden. Und die kann laut der Expertin verschiedene Ursachen haben.

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"Psychodynamische Gründe können dazu führen, dass der Körper unbewusst den Orgasmus und das Loslassen hemmt", sagt Wille weiter. "Auch Ängste können der Grund dafür sein – Angst vor Verletzung, Selbstaufgabe, Kontrollverlust. Viele Frauen sind leider auch nicht sehr gut aufgeklärt, haben sich noch nie betrachtet und erkundet. Nicht wenige verwenden schon früh einen Vibrator – man gewöhnt sich dann an diesen unspezifischen, starken mechanischen Reiz und lernt sich selbst nicht kennen. Im fortgeschrittenen Alter, in dem der Körper und das Hirn schon erprobt sind, ist gegen einen Vibrator aber nichts einzuwenden."

Auch der vaginale Orgasmus wird nur durch das Klitorisgewebe ausgelöst. Diesen klitoralen Orgasmus beim Geschlechtsverkehr erreichen nur etwa 30 Prozent aller Frauen.

Laut der Expertin gibt es – entgegen der verbreiteten Annahme des vaginalen Orgasmus – neben dem Brustorgasmus, bei dem die Frau durch das reine Stimulieren der Brüste und Brustwarzen kommt, oder dem Hirnorgasmus, der ausschließlich im Kopf und oft im Schlaf passiert, nur den klitoralen Orgasmus: "Der Orgasmus wird nur durch Klitorisgewebe ausgelöst, zumindest wenn wir vom vaginalen Bereich ausgehen."

Diesen klitoralen Orgasmus beim Geschlechtsverkehr können laut Wille nur zirka 30 Prozent der sexuell aktiven Frauen erreichen. "Aber auch von diesen 30 Prozent erreichen ihn viele nur dadurch, dass sie den Kitzler zusätzlich stimulieren. Wenige Frauen sind anatomisch so gebaut, dass sie ohne die Berührung ihres Kitzlers einen Orgasmus bekommen." Laut der Durex-Studie erreichen 94 Prozent der Frauen ihren Orgasmus durch klitorale Stimulation in verschiedenster Form.

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Der Mythos des vaginalen Orgasmus, der von Freud als der "bessere" Orgasmus dargestellt wurde und dem Psychoanalytiker zufolge im Gegensatz zum klitoralen von psychischer und sexueller Reife zeugen soll, hält bis heute an – und hat bei vielen den Gedanken gefestigt, dass die ultimative Stimulation einer Frau nur durch vaginale Penetration zu erreichen ist. Eine Studie hat übrigens ergeben, dass das Blödsinn ist: Frauen, die mit Frauen schlafen, kommen häufiger zum Orgasmus als heterosexuelle Frauen – weil sie sich nicht auf dieses alte wissenschaftlich nicht mehr haltbare Muster verlassen.

Claudia Wille rät Frauen mit Orgasmus-Problemen, dass sie sich selbst kennenlernen sollen; in aller Ruhe, am besten mit Spiegel und schönem Licht. So könne man herausfinden, was einem gut tut: "Jede Frau sollte sich mit der Anatomie ihres Vulvabereichs auseinandergesetzt haben. Sprich, sich mit einem Spiegel betrachtet und erforscht haben und auch einen Weg finden, sich selbst mit Fingern soweit zu stimulieren, dass sie selbst einen Orgasmus auslösen kann."

Betroffenen Frauen empfiehlt sie auch immer wieder die Website omgyes.com, die eigentlich für Männer gedacht sei. "Da haben sich mehrere Frauen zur Verfügung gestellt, und erklären, wie sie zum Orgasmus kommen und man kann dann mit der Maus selber versuchen, die Frauen zu stimulieren. Die antworten dann zum Beispiel 'mehr nach links' oder 'nicht so schnell'. Man kann am Bildschirm ein bisschen ausprobieren – und das kann auch für eine Frau interessant sein und einem die Angst nehmen."

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Aber nicht nur Frauen sollten sich mit ihrem eigenen Körper beschäftigen, sondern auch ihre Partner sollten über den weiblichen Körper Bescheid wissen, wie die Therapeutin aus Erfahrung weiß: "Es gibt Männer, die kommen und sagen: 'Bei mir hat noch jede Frau einen Orgasmus gekriegt.' Und ich muss sagen: 'Ich fürchte, da hat man Sie getäuscht.'" Laut der Expertin wissen viele Männer nicht, dass nicht jede Frau beim Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kommt. Das führe zu hohem Erwartungsdruck, weil sich der Mann beim ausbleibenden Höhepunkt als Versager fühlt.

Laura vermutet übrigens, dass sie keinen Orgasmus bekommt, weil sie während des Sex nicht aufhören kann, nachzudenken. "Ich hatte ja doch einige sehr talentierte Partner, aber das Gefühl eines 'Höhepunkts' hat sich einfach nie eingestellt. Ich kann generell durchaus große Lust empfinden, also ich glaube nicht, dass ich gar keinen Orgasmus bekommen kann. Ich glaube, ich muss erst rausfinden oder mir auch selbst beibringen, was ich dafür brauche", meint die 23-Jährige. Ihr Sexleben findet Laura übrigens trotzdem nicht schlecht, weil ihr die Körperlichkeit an sich viel Spaß mache. Aber manchmal habe sie trotzdem das Gefühl, etwas zu verpassen.

Was auch immer am Ende hilft – laut Claudia Wille steht fest, dass man nur die richtige Kombination und den individuell passenden Schlüssel finden muss, um zum Orgasmus zu kommen. Ob man sich nun erst einmal die Zeit nehmen muss, um den eigenen Körper und das eigene Lustempfinden zu erforschen, ob man gemeinsam mit dem Partner darüber spricht und an einer Lösung arbeitet oder Frauen am Computer via Mausklick stimuliert, um zu sehen, wie es funktionieren kann.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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