Ich habe einen hightech Moodring getragen, um weniger gestresst zu sein
Montage und Foto: VICE Media

FYI.

This story is over 5 years old.

Selbstversuch

Ich habe einen hightech Moodring getragen, um weniger gestresst zu sein

Mit dem Moodring aus dem Kaugummiautomaten hatte ich definitiv mehr Spaß.

An einer Biohacker-Messe begegnete ich letzten Herbst einem hightech Ring namens Moodmetric, der verspricht, gegen Stress zu helfen. Normalerweise lassen mich Wearables kalt. Smartwatches oder Fitbits sehe ich als unnötige Verlängerungen des Smartphones, die entweder als einmal getragenes Weihnachtsgeschenk in der Schublade verstauben oder das Handgelenk von Über-Joggern und treulosen Weightwatchern verschandeln.

Anzeige

Doch der Moodring ist anders. Er ist Teil einer neuen, millionenschweren Bewegung der Selbstoptimierungs-Industrie. Diese will statt dem Körper die Psyche vermessen und verbessern. Da ich mich in letzter Zeit vom Stress bei der Arbeit abends erschöpfter als sonst fühle, reizte mich die Vorstellung, einen kleinen Coach am Finger zu tragen, der mir mitteilte, wann ich einen Gang runterschalten könnte.


VIDEO: Kreuz & Queer – Lesbisch im Kulturbetrieb


Vielleicht war es auch nur die Nostalgie, weil ich mich gedanklich in mein siebenjähriges Ich beamte, das sich freudig einen Stimmungsring aus dem Kaugummiautomaten zog.

Der Moodring aus der schönen neuen Welt unterscheidet sich allerdings deutlich von seinem Vorgänger aus dem Kaugummiautomaten: Er kostet nicht einen sondern gut 260 Franken. Er misst auch nicht einfach die Körpertemperatur, sondern die sich ändernde elektrische Leitfähigkeit der Haut. Vereinfacht gesagt, hält der Ring fest, wie sehr du schwitzt. Die in eine Stress-Skala umgerechneten Daten sind am Ende des Tages und live in einer App aufrufbar.

Was in der Theorie einfach klingt, möchte ich in der Praxis für eine Woche testen und lasse mir den Ring vom finnischen Hersteller zuschicken. Los geht's:

Montag

Ich ziehe den Ring aus seinem Paket. Er ist aus Silber, klobig, mit einem matten, schwarzen Kunststoff-Stein besetzt. In ihm sind zwei sandkorngrosse Lämpchen eingelassen, die ich fast übersehen hätte. Am Steinrand sitzt ein USB-Schlitz. Eine Schönheit ist er nicht gerade.

Ich stecke ihn mir an den Finger und starte die dazugehörige App und das Bluetooth auf meinem Smartphone. Eine wellenförmige Kurve erscheint, die mir mein Stresslevel live anzeigt. Sie erinnert mich an den Graph eines Elektrokardiogramms. Mein Wert liegt jetzt bei 60. Wie ich in der Bedienungsanleitung lese, ist das ein guter Wert für einen Arbeitstag – ich bin weder total weggetreten, noch super aufgestachelt. Insgesamt gibt es fünf Werte: 0-20 für sehr ruhig, 21-40 für gelassen, 41-60 für aktiv, 61-80 für aufgeregt, und 81-100 für sehr aufgeregt.

Anzeige

Nachmittags beginnt das Lämpchen rot zu blinken. Laut Anleitung passiert das immer, wenn man für fünf Minuten sehr gestresst ist, der Moodmetric-Wert also 75 übersteigt. Das andere Lämpchen soll grün leuchten, wenn ich mich in einem zen-ähnlichen Zustand von unter 15 befinde. Ich kümmere mich nicht weiter darum, da ich so schnell wie möglich einen Text fertig schreiben muss.

Während des Tages checke ich die App immer wieder. Es fühlt sich ein bisschen an, als hätte ich einen neuen aufregenden Social-Media-Kanal entdeckt. Mit dem Unterschied, dass ich nicht die Statusmeldungen anderer sehe, sondern die meines Nervensystems. Ich kann abends aus den Daten herauslesen, dass es mich anscheinend beruhigt, wenn ich einfach ungestört an einem Artikel schreibe – und näher rückende Abgabetermine mich nervös machen. Das hätte ich auch ohne Ring gewusst, aber die Zahlen schwarz auf weiss eröffnen neue Möglichkeiten. Vielleicht sollte ich meinem Chef mal meine blutrote Stresskurve auf den Bürotisch klatschen, wenn er eine Deadline vorverschieben will?

Die Auswertung der App von Montag.

Dienstag

Als ich morgens aufwache, leuchtet das Lämpchen des Rings rot. Das ist das Zeichen, dass ich ihn über das USB-Kabel für eine Stunde aufladen muss. Ich bin enttäuscht, dass der Akku nur 24 Stunden hält. Eigentlich steht in der Anleitung, dass ich ihn wegen Überhitzungsgefahr dabei nicht unbeaufsichtigt lassen sollte. Ich riskiere es trotzdem und dusche und frühstücke nebenbei.

Während des ganzen Tages nervt mich, dass der Ring nicht wasserdicht ist und ich jedes Mal daran denken muss ihn abzustreifen, wenn ich mir die Hände waschen will. Dieses Mal schaue ich mir die Auswertung erst am Abend an, damit ich tagsüber weniger abgelenkt bin. Insgesamt war meine Stress-Kurve achtmal rot. Laut der App war es ein Tag, an dem ich ziemlich gestresst war. Das deckt sich mit meiner Wahrnehmung: Ich musste morgens oft von einer Aufgabe zur nächsten hetzen und konnte mich weder richtig in eine Recherche oder das Schreiben eines Textes vertiefen.

Anzeige

Mittwoch

Heute versuche ich, das Achtsamkeits-Feature des Rings zu benutzen. Wenn ich für fünf Minuten so gelassen bin, dass mein Stresslevel unter 15 sinkt, sollte ein Lämpchen auf dem Ring grün blinken. Es kommt mir wie ein Spiel vor, ich versuche es in der Mittagspause, indem ich allein auf einer Parkbank esse. Erfolglos. Ich hoffe auf meine wöchentliche Yogastunde. Doch der zen-artige Zustand kommt einfach nicht, egal wie sehr ich mich während den Vinyasas versuche gehen zu lassen. Auf der App sehe ich nach der Stunde, dass meine Bemühungen den gegenteiligen Effekt hatten. Das ist frustrierend.

Donnerstag

Der Tag verläuft unspektakulär, aber abends schaue ich bei Freunden im Keller den Film Im Keller von Ulrich Seidl. Meine Nerven reiten eine Achterbahn aus Belustigung, Ekel und Angst. Nach dem Film zeigt ein Blick in die App, dass ich so aufgeregt war wie zu keinem anderen Zeitpunkt des Tages. Dieses Mal ist es aber definitiv positiver Stress, ich habe mich prächtig amüsiert.

Als ich auf die Strasse trete, regnet es heftig. Ich schiebe kurz Panik und stopfe den Ring in die Jackentasche, in der Hoffnung dass er kein Wasser abbekommt. Ich habe keine Lust, das 260-Franken-Teil zu zerstören. Ich bin mir sicher, dass mein Stresslevel in dem Moment über 90 steigt. Im Bus zeigt ein Blick in die App, dass es dann doch nicht so arg war und dass der Ring trotz Regenspritzern immer noch funktioniert.

Anzeige

Freitag

Der Ring zeigt mir am Nachmittag endlich mit einem grünen Blinken an, dass ich für fünf Minuten einen zen-artigen Zustand erreicht habe. Zum ersten Mal in dieser Woche. Lustigerweise passiert es, nachdem ich ein Wired-Interview gelesen habe, in dem beschrieben wird, wie neue Technologien unsere Aufmerksamkeit kidnappen.

Samstag

Meine Stresskurve stieg heute zwei Mal an. Kurz nach 15 Uhr, als mir Milch überkochte und gegen 18 Uhr, als ich einem Typen über den Weg lief, in den ich mit 17 verschossen war. Ich finde es lustig, dass der Anblick seines Gesichts eine so starke Reaktion in meinem Körper auslöst, obwohl ich schon seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht habe. Mein Nervensystem hat ihn offenbar nicht vergessen. Ich fühle mich wie Pawlows Hund.

Ich schaue mir auch die Auswertung der Arbeitswoche an. Mein Durchschnittswert lag bei 63, ich war also immer leicht gestresst. Das deckt sich mit meiner eigenen Einschätzung. Interessant finde ich die Erkenntnis, dass ich morgens nach dem Aufwachen super gestresst bin. Ich frage mich, ob es daran liegt, dass mein Wecker zu schrill klingelt. Ich überlege mir, einen Fitbit anzuschaffen, vielleicht hilft mir dessen Vibrationsalarm.

Die Moodmetric-Auswertung von Samstag.

Sonntag

Die Zahlen am Wochenende überraschen mich nicht wirklich: Die App sagt mir, dass ich am Samstag und Sonntag viel weniger gestresst war als unter der Woche. Kein Wunder: Ich hatte keine Abgabetermine und konnte mich beim Wandern, einem Miso-Kochkurs und Gitarre spielen einfach entspannen. Dabei erlebte ich immer wieder, was Psychologen Flows nennen. Es sind Zustände seeliger Zufriedenheit, in denen du die Welt um dich herum vergisst, weil du dich vollständig einer Tätigkeit hingibst.

Mein Fazit: Der Ring ist ein netter Versuch, mehr Achtsamkeit in den Alltag zu bringen. Aber gesamthaft hat mich die Präsenz des Rings mehr gestresst, als dass sie mir geholfen hat, mich zu entspannen. Besonders das tägliche Aufladen war nervig und dass sich mein Handyakku wegen des eingeschalteten Bluetooths schneller verbrauchte. Gelernt habe ich aber definitiv viel über meine Stress-Auslöser und dass ich weniger Kontrolle über mein Nervensystem habe, als ich erwartet hätte.

In seiner aktuellen Ausführung würde ich den Ring nicht kaufen. Allerdings sehe ich Potenzial, sobald sich die Technologie so weiterentwickelt hat, dass sie nicht mehr weiter auffällt und der Preis sinkt. Zum Beispiel, wenn der Ring ein Ohrstecker wäre, der sich unbemerkt durch die Bewegung des Körpers auflädt.

Als ich den Ring zurück in sein Paket stecke, fühle ich mich ein bisschen melancholisch, aber auch erleichtert. Es war aufregend, ein Stück meiner Psyche zu durchleuchten, es setzt einen aber auch unter Druck. Mit dem Stimmungsring aus dem Kaugummiautomaten hatte ich definitiv mehr Spass.

Vanessa auf Twitter.
Folge VICE auf Facebook und Instagram.