Politik

So feierte Wien Straches Rücktritt

"Es ist surreal, dass ein Vizekanzler so abtreten muss – und wichtig, dass die Menschen hier zusammenkommen, um für Gerechtigkeit zu kämpfen." – Karim
Ein Wiener am Tag von Straches Rücktritt
Karim am Rande der Demo am Samstag | Alle Fotos von der Autorin

Was gefühlt tausend "Einzelfälle" nicht schaffen, das schafft ein heimlich gefilmtes Gespräch innerhalb von ein paar Stunden: Ein Video aus 2017 zwingt Österreichs Vizekanzler und FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache am Samstag zum Rücktritt. Die Aufnahmen zeigen Strache im Gespräch mit einer falschen Multimillionärin, mit der er verdeckte Parteispenden, eine Übernahme der Kronen-Zeitung und lukrative Staatsaufträge bespricht. Bei seinem Presse-Statement gegen Mittag wirkt der sonst selbstbewusste Vizekanzler, der sich mit rechtsextremen Identitären trifft und dessen Parteikollegen antisemitische, rassistische "Rattengedichte" veröffentlichen, als würde es ihm nur leid tun, dass er bei seinen "Macho"-Prahlereien erwischt wurde.

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Den ganzen Samstag über postieren sich bis zu 5.000 Menschen vor dem Vizekanzleramt in Wien, eine riesige spontane Demonstration oder auch Party entsteht unter der Maisonne. Begleitet von wummernder Musik und Dosenbier fordern die Menschen in Sprechchören Neuwahlen und die Auflösung der Regierung.

Gegen 20 Uhr bekommt die Masse endlich, wonach sie verlangt: Bundeskanzler Sebastian Kurz erzählt minutenlang von seiner langen Leidensgeschichte mit der FPÖ. Dann verkündet er, worauf so viele gewartet haben: Neuwahlen. Die Menge jubelt.

VICE war vor Ort am Ballhausplatz und hat nachgefragt, wie die Menschen dort die Regierungskrise erlebt haben:

Jascha, 23

Jascha

"Ich bin hier, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Unser Vize-Kanzler hatte immer schon Verbindungen zur Neonazi Szene. Dazu kommen die häufigen 'Einzelfälle'.

Die FPÖ stiehlt von der Bevölkerung, wie man im Ibiza-Video sehen kann.

Die Verantwortung liegt jetzt bei der ÖVP. Man kann mit der FPÖ nicht regieren. Das sind Nazis und Diebe. Meiner Meinung nach sollte es auch Neuwahlen geben, das wäre aber wie ein Fiebertraum."

Sara, 21

Sara

"Ich bin hier, weil ich politisch aktiv bin. Außerdem studiere ich Politikwissenschaften an der Universität Wien. Mein Vater kommt aus dem Iran, daher habe ich auch einen Einblick in andere Rechtssysteme.

Das mag vielleicht gemein klingen, aber ich finde es schön, dass Schwung da ist, jetzt wo Strache abgedankt hat. Seine Art und Weise zu regieren, hat nicht gepasst und viele diskriminiert. Nicht nur Muslime, viele Andersartige sind davon betroffen.

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Die FPÖ finde ich sehr korrupt und rassistisch. Sie ist feindlich gegenüber Menschen, die nicht in ihr Konzept passen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Politiker endlich sehen, dass Österreich ein extrem vielfältiges Land ist. Auf alle Minderheiten sollte mehr Acht gegeben werden."

Stephan, 59

Stephan

"Ich bin zu Besuch aus Kanada hier. Eigentlich wollten wir nur spazieren. Da ich selbst schon lange Aktivist bin, musste ich einfach selbst sehen, was hier los ist. Mir gefällt der Aufstand der Bevölkerung. In Kanada wissen wir nur wenig über die politische Lage in Österreich. Die rechten Parteien sind sehr spaltend und rassistisch. Eine Partei, die gegen andere hetzt, ist keine Partei. Das ist einfach nicht richtig."

Kati, 27

Kati

"Die vielen Einzelfälle der FPÖ waren genug. Doch dass Strache zurücktritt, habe ich mir bis heute nicht vorstellen können. Durch die ganzen Donnerstagsdemos und weil viele mit der politischen Landschaft in Österreich nicht zufrieden sind, kann ich mir Neuwahlen oder einen Aufstand gegen die Regierung vorstellen.

Es ist cool, dass so viele Leute da sind, die Stimmung ist gut. Vom Kind bis zum hohen Alter, aus allen Bevölkerungsschichten sind Menschen hier, die feiern, was heute passiert ist."

Maki*, 29

Maki

"Seit heute morgen habe ich die Ibiza-Causa zuhause auf dem Fernseher verfolgt. Da bis zur Pressekonferenz von Bundeskanzler Kurz noch ewig hin ist, bin ich hierher gekommen um mit meinem Grinsen nicht alleine zu sein. Dieses absurd lustige Video hat mir gestern die ganze Nacht und den heutigen Tag erheitert.

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Eine andere Lösung als der Rücktritt wäre vollkommen inakzeptabel. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass sich im Prinzip nichts ändern wird. Die FPÖ wird jetzt ein wenig verlieren, aber die kommen wieder. Die ÖVP wird sich auch nicht ändern. Österreich hat ein Problem mit der Erinnerungs- und Gedächtnispolitik, ich glaube das ist sehr schnell wieder vergessen.

Das schlimmste für mich ist, dass mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung bereit ist, diese Parteien zu wählen. Aber für einen schönen Nachmittag hat es auf jeden Fall gereicht."

Jennifer, 21, und Rachel, 21

Rachel und Jennifer

Jennifer: Ich komme aus Irland und habe von der derzeitigen Politik in Österreich gehört. Wir studieren beide Rechtswissenschaften. Meine Freundin Rachel hat gestern einen Artikel über die Ibiza-Causa gelesen. Mich interessiert der Unterschied zwischen dem Aktivismus in Irland und Österreich. Ich wollte die Demonstration sehen. Wir haben gelernt, dass Wien historisch eher linkspolitisch ausgerichtet war. Das konnte man heute definitiv sehen.

Rachel: Alles ist so plötzlich passiert. Ich kenne mich mit der politischen Situation in Österreich wenig aus, aber ich weiß dass sie eher rechts ist.

Karim, 26

Karim

"Gestern um diese Zeit war ich noch mit meinen Freunden unterwegs, dann habe ich dieses Video gesehen und heute bin ich hier. Das ging alles ziemlich schnell. Ich finde es sehr spannend, spannender als eine Folge House of Cards.

Was wir gestern gesehen haben, hat mich schockiert, aber nicht überrascht. Jetzt muss man hier herkommen, man kann nicht nur zusehen. Es muss eine Veränderung in der Politik her. Es ist surreal, dass ein Vizekanzler so abtreten muss. Das muss ich noch realisieren.

Seit ich 15 Jahre alt bin, engagiere ich mich politisch. Meine Eltern kommen aus Ägypten, ich wurde in Österreich geboren. Die FPÖ war für mich immer schon eine rassistische Partei. Für die Zukunft wünsche ich mir wie alle anderen Neuwahlen und eine politische Kraft, die uns nach vorne bringt. Es ist wichtig, dass die Menschen hier zusammenkommen, um für die Gerechtigkeit zu kämpfen."

*Namen von der Redaktion geändert

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