Popkultur

Wir haben den Nachfolger von 'Fifty Shades of Grey' gelesen, damit ihr es nicht tun müsst

'The Mister' ist eine literarische Vollkatastrophe – und verbindet absurde Sexszenen mit Menschenhandel.
Die Autorin hält 'The Mister' in die Kamera
Weil wir 'The Mister' als E-Book gekauft haben, mussten wir für das Foto das Cover auf ein anderes Buch photoshoppen | Foto: Yasmin Nickel

Es gibt da draußen sehr viele Menschen, die ein Buch schreiben wollen. Nicht ganz so viele tun es tatsächlich. Das größte Hindernis ist dabei häufig gesunder Selbstzweifel: Ist meine Idee gut genug? Bin ICH gut genug?

E. L. James scheint dieses Problem nicht zu haben. Zumindest nicht mehr. Der Erfolg ihrer Romanreihe Fifty Shades of Grey hat schließlich gezeigt, dass sich ihre Ergüsse so oder so verkaufen – egal wie hanebüchen und schlecht geschrieben die Geschichten sind. Und ihr neues Buch The Mister zeigt: Es geht immer noch ein bisschen dämlicher.

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Die Geschichte ist schnell erzählt. Auch deshalb, weil man sie aus unzähligen anderen Büchern und Serien kennt: Mittellose Frau verliebt sich in reichen Mann, und umgekehrt. Es kommt zu einigen Komplikationen, die den verschiedenen Lebensrealitäten der Liebenden geschuldet sind, doch am Schluss siegt die Liebe und sie heiraten. So weit, so harmlos. Erzählt wird das Ganze aus wechselnder Perspektive. Mal von ihm, mal von ihr. Die grausame Fürchterlichkeit von The Mister, die das Lesen des 500-Seiten-Machwerks zu einer Tortur sondergleichen macht, verbirgt sich allerdings in den Details.

Alessia Demachi, 23, geniale Klavierspielerin, flieht aus Albanien nach England, weil ihr Vater sie zwingen will, einen gewalttätigen Gangster zu heiraten. Ihre vermeintlichen Fluchthelfer stellen sich jedoch als Menschenhändler (oder "Sexhändler", wie es im Buch heißt) heraus, die Alessia zur Prostitution zwingen wollen. Alessia kann sich befreien, läuft mehrere Tage zu Fuß nach London, und arbeitet dort als Putzkraft. Unter anderem bei "Mister Maxim", der es auch mit 28 Jahren noch nicht fertig bringt, seine benutzten Kondome selbst zu entsorgen. Der Beginn einer Liebesgeschichte, die die Vampirschmonzette Twilight wie die Buddenbrooks wirken lässt.

Mister Maxim heißt eigentlich Maxim Trevelyan und ist nach dem Tod seines Bruders Kit der einzige männliche Erbe seiner sehr vermögenden Adelsfamilie – und somit "Earl of Trevethick". Ein knochenharter Job, weil er regelmäßig auf einem der unzähligen Landgüter vorbeischauen muss. Und somit natürlich weniger Zeit hat, "willige, attraktive Frauen [zu] ficken". Denn, wer hätte es gedacht, Maxim ist ein herzloser Playboy und hat deswegen natürlich auch genau die Art von Job-Kombination, die schon bei einem Tinder-Profil sämtliche Alarmglocken aufschrillen lässt: "DJ" (unter anderem koreanische House-Musik), "Model" (um "scharfe, gertenschlanke Mädels" kennenzulernen), "Fotograf" (um eine Entschuldigung zu haben, die "Mädels" anschließend nackt ablichten zu können) und "Komponist" (damit er mit Pianistin Alessia absurd uninformierte Gespräche über klassische Musik führen kann).

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Um das Paket "absoluter Traummann, mit dem jede, wirklich jede Frau schlafen möchte" abzurunden, bekommt er ständig Erektionen in der Öffentlichkeit und glaubt, dass sich eine Schwangerschaft schon zwei Tage nach dem Geschlechtsverkehr feststellen lässt. (Als eine Bekannte, mit der er kurz davor Sex hatte, den Verdacht äußert, schwanger zu sein, hat er Angst, dass das Kind von ihm sei.) Und natürlich verliebt er sich direkt in seine neue, hübsche Putzkraft, nachdem er ihr wie der albernste Triebtäter aller Zeiten schwer atmend beim Bügeln und Saubermachen zugesehen hat. Denn: "Es ist unsere Ungleichheit, die mich fesselt. Sie hat nichts. Ich habe alles."

Diese Ungleichheit, dieses überromantisierte Machtgefälle zwischen Mann und Frau, wird in The Mister so auf die Spitze getrieben, dass es sich fast wie eine Satire auf Groschenromane liest. Alessia hat nicht nur keine Aufenthaltsgenehmigung, keinen Pass, kein Geld. Sie ist auch in den alltäglichsten Situationen hilflos, wenn ihr "Mister Maxim" nicht zu Hilfe eilt.


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Die 23-Jährige hat eine englische Großmutter und dadurch schon als Kind englisch gesprochen, anschließend sogar Englisch studiert. Trotzdem ist sie an mehreren Stellen im Buch nicht dazu in der Lage, einfachste englische Sätze zu bilden. Welche Redewendungen und Worte sie kennt und welche nicht, scheint komplett willkürlich. Alessia ist nach eigener Aussage mit US-Serien auf Netflix und HBO aufgewachsen, nennt Kreditkarten aber staunend "Zauberkarten". Sie weiß nicht einmal, welche Hosengröße sie hat. Alessia ist eine Art sexy Kaspar Hauser des 21. Jahrhunderts. Aber eben auch nur dann, wenn das Skript es von ihr verlangt. Was Maxim selbstverständlich einmal mehr die Gelegenheit gibt, ihr die Welt zu erklären – oder sich daran aufzugeilen, dass sich seine Liebste "an schlichten Vergnügen wie einem Bier erfreut".

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Jede Szene, in der die beiden keinen Sex haben, führt dazu, dass die beiden Sex haben

Womit wir dann direkt beim nächsten Ärgernis sind: den Sexszenen. Bei aller seltsamen Rahmenhandlung besteht der Großteil von The Mister nämlich aus uninspiriert aneinandergereihten Beschreibungen davon, wie E. L. James sich Geschlechtsverkehr vorstellt.

Ständig wird sich auf Lippen gebissen oder mit Fingern über Lippen gefahren. Wangen erröten, Kinne werden für innige Küsse angehoben und Augen züchtig niedergeschlagen, wenn sie nicht gerade vor Liebe glänzen oder vor Verlangen dunkel werden. Jede Berührung ist eine Explosion, entfacht Feuer in den Lenden und nicht näher spezifiziertes Ziehen im Bauch. Selbst Alessias erstes Mal endet in gleich mehreren Orgasmen. Doch egal wie erschöpft sie und Maxim nebeneinander in die Laken fallen, kurz darauf spürt sie wieder seinen "samtig weichen" Penis an ihrer Hüfte – immer und ausschließlich an ihrer Hüfte –, und es geht weiter. Seite um Seite um Seite.

Jede Szene, in der die Beiden keinen Sex haben, führt dazu, dass die beiden Sex haben. "Mit langen, schlanken Fingern hält sie das Messer und schneidet die Ofenkartoffeln auf, sodass Dampfwölkchen aufsteigen", wird an einer Stelle schmerzhaft detailliert der Akt des Kartoffelaufschneidens beschrieben. Anscheinend klassisches Vorspiel für Reiche wie Maxim, die es sich zum Fetisch erhoben haben, anderen dabei zuzusehen, wie sie Küchenarbeiten verrichten: "Als sie die Butter darauf verteilt, runzelt sie konzentriert die Stirn und hält inne, um sich ein wenig geschmolzene Butter vom Finger zu lecken. Meine Hose wird zu eng."

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Das könnte lustig sein, wäre man nach mehreren hundert Seiten inhaltlicher und sprachlicher Tristesse nicht innerlich zu tot, um überhaupt noch irgendetwas zu fühlen. Da hilft es auch nicht, dass kurz vor Schluss des Buches noch etwas Bewegung in die Handlung kommt.

Showdown in Albanien, einem Land, in dem E. L. James zufolge alle Männer Gewalttäter sind

Alessia wird nach mehreren erfolglosen Entführungsversuchen durch die Menschenhändler (die natürlich in noch mehr Sex mit Maxim enden) von ihrem albanischen Verlobten gekidnappt und nach Albanien (im Buch das Gegenstück zum aufgeklärten, progressiven "Westen") zurückgebracht. Maxim fliegt den beiden hinterher, schließlich will auch er Alessia heiraten, und hat bei der Mission allem Anschein nach den Spaß seines Lebens. Zusammen mit seinem Kumpel Tom trinkt er "doppelte Negronis" an Hotelbars und besucht albanische Museen. Währenddessen wird die große Liebe seines Lebens von ihrem Verlobten verprügelt und entgeht nur knapp einer Vergewaltigung. Überraschend kommt das nicht. Schließlich hatte die Autorin schon in den Kapiteln zuvor keinen Hehl daraus gemacht, dass die albanischen Männer in The Mister alle gewalttätige Verbrecher sind, die dreckige Autos fahren(!) und auch noch Mundgeruch(!!) haben.

Durch die kurzen Kapitel springt das Buch alle paar Absätze von einer zur anderen Extremsituation. Die literarische Entsprechung zu Keinohrhasen – wenn alle 30 Sekunden eine Szene aus A Serbian Film reingeschnitten würde. Entweder weiß E. L. James nicht, wie sie mit diesem Thema umgehen soll, oder sie hält sexualisierte Gewalt wirklich für einen angemessenen Weg, fade Liebesgeschichten aufzupeppen. Unklar, was bei einer derart erfolgreichen Autorin besorgniserregender sein sollte, die auch mit The Mister wieder ganz oben in den Bestseller-Listen gelandet ist.

Am Schluss gibt es natürlich ein Happy End, inklusive dramatischem Showdown in Alessias Elternhaus. Ihr Verlobter verzieht sich, nachdem sie behauptet, von Maxim schwanger zu sein. Daraufhin zieht Alessias Vater eine Waffe und fordert, dass die beiden nun heiraten müssten. Maxim nutzt freudig die Gelegenheit, Alessia den sowieso geplanten Heiratsantrag zu machen und alle liegen sich in den Armen. Über den Vater, der Alessia und ihre Mutter jahrelang geschlagen und terrorisiert hat, sinniert Maxim anschließend gerührt: "Ich denke, er liebt sie. Sogar sehr."

Da wünscht man sich fast die Nippelklemmen und fragwürdigen Sklavenverträge aus Fifty Shades of Grey zurück. Christian Grey wusste zumindest, dass er ein soziopathischer, egomaner Kontrollfreak ist.

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