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Wegen eines Facebook-Posts wird ein Wuppertaler jetzt in der Türkei festgehalten

Der türkische Familienvater soll Präsident Erdoğan beleidigt haben. Er darf das Land nicht verlassen.
Foto: Imago | IP3press 

Wer denkt, "das würde selbst Erdoğan nicht wagen", liegt momentan fast immer daneben. Er wagt so ziemlich alles. Angela Merkel Nazi-Methoden vorwerfen? Check. Deutsche Firmen als Terrorunterstützer erklären? Check. Ein paar Menschenrechtler verhaften? Why not! Dass nun ein in Wuppertal lebender türkischer Familienvater wegen eines Facebook-Posts direkt bei der Einreise verhaftet wurde, bedeutet nicht nur weiteren Stress mit Deutschland. Es wird auch einige der 1,5 Millionen in Deutschland lebenden Türken noch mehr zweifeln lassen, ob es noch sicher ist, ihre Verwandten und Freunde dort zu besuchen. Denn der Beschuldigte war in keiner Funktion oder Mission in der Türkei unterwegs, er wollte einfach nur Urlaub machen: "Er ist nicht politisch aktiv, sondern nur ein ganz normaler Bürger", sagt sein Nachbar und Freund Berkant Celik gegenüber VICE.

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Der 45-Jährige wollte mit seiner Familie mit dem Auto von Deutschland zu seinem Heimatort in Anatolien fahren. Wie der WDR berichtet, wurde ihm bei der Einreise ein Facebook-Post vorgelegt. Der Vorwurf: Er habe den Präsidenten beleidigt. Was genau er in seinem Post geschrieben haben soll, ist nicht bekannt. Nun soll der Wuppertaler zwar aus der Untersuchungshaft entlassen worden sein, er müsse sich aber regelmäßig bei der Polizeibehörde in der Provinz Sivas melden und dürfe das Land nicht verlassen. Seine Familie sei noch bei ihm, werde aber in zwei Wochen nach Deutschland zurückreisen, so Celik. Das Auswärtige Amt sieht sich laut WDR nicht zuständig, da der Beschuldigte nur die türkische Staatsbürgerschaft besitzt. Allerdings lebt er seit 40 Jahren in Wuppertal, seine beiden Kinder gehen hier zur Schule.


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Der Verhaftete sagte gegenüber dem WDR, er könne sich nicht erinnern, einen Erdoğan-kritischen Post abgesetzt zu haben. Zudem sei ihm kurz vorher sein Handy gestohlen worden. Es könne nun bis zu zwei Jahre dauern, bis sein Prozess beginne. Wer den Präsidenten beleidigt, dem droht in der Türkei Strafe, das Strafmaß liegt zwischen ein bis vier Jahren Haft. Unter Erdoğan wird dieses Gesetz extrem streng ausgelegt. Bekannt wurde unter anderem ein Fall zweier Kinder in Diyarbakır: Sie hatten ein Wahlplakat des Präsidenten abgerissen. Die Staatsanwaltschaft forderte zwei Jahre und fünf Monate Haft. Die beiden wurden später jedoch freigesprochen, nachdem sie angaben, nicht gewusst zu haben, wer auf dem Plakat abgebildet war.

Aktuell sitzen in der Türkei laut Auswärtigem Amt neun deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen in Haft. Unter ihnen sind neben dem Welt-Journalisten Deniz Yücel und dem Menschenrechtler Peter Steudtner auch weniger bekannte Fälle. Die Übersetzerin und Journalistin Meşale Tolu wurde Ende April dieses Jahres inhaftiert, der Geschäftsmannes Özel Sögüt ist seit Dezember 2016 in Haft. Ihm wird vorgeworfen, einer terroristischen Vereinigung anzugehören. Seine Frau vermutet, dass er verhaftet wurde, weil er vor einigen Jahren Geschäfte mit einem Mitglied der Gülen-Bewegung gemacht habe.

Kurz nach der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner hat Außenminister Sigmar Gabriel angekündigt, die Politik Deutschlands gegenüber der Türkei neu auszurichten. Dazu gehörte auch, die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes noch einmal zu verschärfen. Eine Reisewarnung hat das Auswärtige Amt aber nicht ausgesprochen. Stattdessen steht dort auf der Seite: "Zuletzt waren in der Türkei in einigen Fällen Deutsche von freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffen, deren Grund oder Dauer nicht nachvollziehbar war." Zudem sei Vertretern des Auswärtigen Amts teilweise verweigert worden, die Inhaftierten zu besuchen und zu beraten. Allen Touristen wird generell zu höchster Vorsicht geraten. Berkant Celik schreckt das nicht ab: "Jeder vernünftige Türke wird sich nie davon abhalten lassen, in sein Land zu reisen, und auch ich nicht." Die wahllosen Inhaftierungen werden einige vermutlich dennoch abschrecken, das Land zu besuchen. Schließlich wagt Erdoğan zur Zeit so ziemlich alles.

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