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Popkultur

Ich hasse den Sommer in Wien (und gebe Ulrich Seidl die Schuld daran)

'Hundstage' hat Wien und seine Umgebung für mich zur denkbar schlimmsten Sommerresidenz gemacht.

Eines Vorab: Ich mag Wien. So sehr sogar, dass ich freiwillig hierher gezogen bin, die letzten sechs Jahre meines Lebens großteils hier verbracht und es alles in allem keine Sekunde bereut habe. Besonders im Frühling fühlt sich das Leben hier geradezu paradiesisch an.

Aber so sehr ich den Frühling in Wien liebe, so überbewertet finde ich den Sommer in dieser Stadt. Er deprimiert mich. Es gibt praktisch keinen anderen Ort in Westeuropa, wo ich Juli und August weniger verbringen will. Die melancholische Grundstimmung, die sich in anderen Städten ab September breit macht, hält hier schon zwei Monate früher Einzug – zumindest bei mir.

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Unmittelbar nach dem ersten Juli-Wochenende, an dem der Großteil der Studenten traditionell fluchtartig die Stadt verlässt, beginnt die Tragödie ihren Lauf zu nehmen. Am einen Tag feiern sie alle noch ihre bestandenen Semesterschluss-Prüfungen, am nächsten Tag ist keine Sau mehr da. Alle sitzen in Zügen Richtung Westen. Zurück bleiben Touristen, Menschen mit festen Jobs (häufig nicht die fröhlichsten Sommer-Gesellen, weil ihnen die 40 Stunden-Woche einen respektablen Teil ihrer Lebenslust ausgesaugt hat), die "echten" Wiener (in den inneren Bezirken eine unbedeutende Minderheit) und einige wenige seltsame Wien-Idealisten, die es tatsächlich für eine gute Idee halten, freiwillig in der Affenhitze des Asphaltdschungels auszuharren, "weil es so schön ruhig ist, wenn die ganzen Studenten endlich weg sind".

Stichwort Hitze: Dass es in der Wiener Innenstadt teilweise unerträglich heiß wird, muss ich ja keinem erzählen, der hier jemals mehr als zwei Sommertage am Stück verbracht hat. Mir haben dieses Jahr schon Menschen, die in den heißesten Tropenregionen aufgewachsen sind, erklärt, dass die Hitze in Wien für sie unpackbar ist. In absehbarer Zeit wird es hier dank des Klimawandels übrigens mehr als 45 Mal im Jahr über 30 Grad haben. Der Gürtel wird dann vermutlich aussehen wie eine Szene aus Mad Max: Fury Road und der Wiener Sommer dadurch nicht gerade gemütlicher.

Überhaupt fühlt es sich manchmal so an, als würde einen das Klima im Osten Österreichs geradezu verarschen wollen: Neun Monate lang pfeift dir in fast jeder Gasse der Stadt ein unguter Wind entgegen, bei dem du teilweise dein eigenes Wort nicht verstehst. Dann wird es plötzlich so heiß, dass dir eine kleine Brise tatsächlich helfen könnte – und tadaaa: weg ist er, der sonst so omnipräsente Wind. Spurlos verschwunden, genau wie die Studenten. Danke für GAR NICHTS.

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Als Kind des Salzburger Alpenvorlandes hat mir der Wettergott ja eigentlich ein paar einfache Grundregeln beigebracht. Zum Beispiel: Wenn sich an einem stickig-heißen Sommerabend Wolken am Himmel türmen, dann hast du maximal noch ein paar Minuten Zeit, bis die Gewitterhölle über dich hereinbricht – inklusive eines ordentlichen Schwalls kühler Luft, der die folgenden Hitzetage wieder erträglich macht. Nicht so in Wien. Das bisschen Regen, das hier bei einem Sommergewitter niedergeht, ist meistens schon wieder verdampft, bevor du es überhaupt geschafft hast, dir die Schuhe anzuziehen und einen Schritt vor deine Wohnungstüre zu setzen, um die vermeintliche Abkühlung zu genießen. Wiener Unwetter sind in der Regel zirka so befriedigend, als würde man mit extremem Harndrang aufs Klo rennen und dann drei Tropfen laufen lassen, nur um den restlichen Tag wieder mit zusammengekniffenen Beinen zu verbringen.


Unsere Videoreportage über Armut in Wien:


Manchmal bin ich von meiner irrationalen Abneigung gegen den Wiener Sommer selbst verblüfft. Ich habe lange über den Ursprung des Hasses nachgedacht, und mittlerweile einen Sündenbock ausgemacht: Ulrich Seidl. Genauer gesagt sein ebenso abartiger wie grandioser Spielfilm Hundstage. Wegen diesem Film war ich dem Wiener Sommer schon abgeneigt, bevor ich ihn überhaupt je erlebt habe. Könnte ich ihn ungesehen machen, würde ich keine Sekunde zögern und mein Hirn wieder auf Werkseinstellungen zurücksetzen. Dabei ist es nicht mal so, als hätte ich Hundstage dutzende Male gesehen. Ich haben ihn bis vor kurzem überhaupt nur ein einziges Mal zur Gänze angeschaut – als Teenager, als der Film eigentlich schon ein paar Jahre auf dem Buckel hatte, aber noch bevor ich in die Hauptstadt gezogen bin. Dieser eine Filmabend war traumatisierend genug, um meine Wahrnehmung vom Sommer in Wien und Umgebung nachhaltig zu beschädigen.

Daran ist gar nicht die (ziemlich kranke) Handlung des Films schuld. Mir ist auch bewusst, dass die Dichte an gewalttätigen Halb-Psychopathen, die aussehen wie lebendig gewordene Deix-Karikaturen, in der Realität auch im Hochsommer nicht ganz so hoch ist wie in einem Seidl-Film.

Es liegt vielmehr an dieser extrem unguten, seltsam morbiden Grundstimmung, die Seidl in dem Film festhält, und die in titelgebenden "Hundstagen" – der Zeit zwischen 23. Juli und 23. August – in Wien teilweise tatsächlich herrscht. Gerade die Peripherie der Stadt wirkt in dieser Zeit wie ein beängstigend ruhiger, ziemlich gottverlassen Ort. Und je weiter du dich auf Luftlinie vom Stephansdom entfernst, desto stärker wird diese komische Stimmung. Wenn dir das erst einmal aufgefallen ist, kannst du die Tatsache nicht mehr ungesehen machen: Alles fühlt sich auf einmal an wie eine niemals endende Alltagsgeschichte, nur weniger lustig.

Kritiker könnten jetzt natürlich sagen: "Dann bleib doch den Sommer über in den inneren Bezirken und heul nicht herum! Keiner zwingt dich, in die Peripherie zu fahren." Aber in der Innenstadt kann man nicht baden gehen, ihr Schlaumeier. Außer man ist gewillt, zwei Monate lang die 30 Meter Poollänge des Badeschiffs hin und her zu dümpeln, um dem Hitzetod zu entrinnen. Auf öffentlichen Schwimmbäder hab ich jedenfalls erst recht keine Lust; dort erinnert mich im Hochsommer erst recht alles an Hundstage.

Letztendlich bleibt mir nichts anderes übrig, als mich bei jeder Gelegenheit möglichst weit aus Wien zu schleichen, die restliche Sommerzeit hier möglichst erträglich zu gestalten (die Stege an der alten Donau sind einer der wenigen Orte, wo ich auch im Sommer meinen Seelenfrieden finde) – und dabei zu versuchen, nicht selbst zu einem Charakter aus Hundstage zu werden. Und an den schlimmsten Hundstagen bleibt mir immer noch die Gewissheit, dass spätestens Ende September mit den Studenten und dem Wind auch wieder meine Wien-Liebe wieder zurückkehren wird.