Der rechte Griff nach der Mate
Symbolbild: VICE

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Falsche Freunde

Der rechte Griff nach der Mate

Rechtsextreme und -radikale versuchen seit Jahren, Mate als "deutsches" Getränk zu vereinnahmen. Uns haben die Hersteller von Club-Mate und Mate Mate verraten, was sie davon halten.

Der Kampf gegen die vermeintliche Lügenpresse, das Parteienkartell und das linke Establishment ist mühsam. Leider hat ein Tag 24 und nicht 1.000 Stunden. Deutschlands Rechte und Rechtsextreme bekämpfen ihre Müdigkeit deshalb immer öfter mit "Club-Mate" und "Mate Mate", und promoten die Koffeinbrausen als "originär deutschen" Wachmacher für echte "Rebellen". Unbemerkt von den Herstellern der Limonaden, die nach eigenen Angaben erst durch VICE von der Vereinnahmung von rechts erfahren und sich nun erstmals dazu äußern.

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2014, mit dem Aufkommen des Phänomen der Neonazi-Hipster, beobachteten Medien erstmals Rechtsextreme mit Club-Mate in der Hand. Damals platzierten zwei vermummte Möchtegernköche die Limo in ihren YouTube-Videos zum Thema "Vegan kochen". Wenn die beiden, die sich "Balaclava Küche" nannten, nicht gerade ihre strammrechten Abonnenten mit Rezepten und Verschwörungstheorien versorgten, terrorisierten sie ihre Nachbarschaft im sächsischen Chemnitz.

Vier Jahre später gehören Club-Mate und Mate Mate zum festen Kühlschrankinventar von hakenkreuz-liebenden Neonazis, rechtsextremen Identitären und Mitgliedern der Jungen Alternativen, der Jugendorganisation der AfD. Eine Neonazi-Gruppe aus dem Erzgebirge hält ebenso Club-Mate-Flaschen in die Kamera wie Mario Müller, ein rechtskräftig verurteilter Gewalttäter und wohl führender Kopf der Identitären Bewegung in Deutschland. Müllers Bewegungsgenosse Leonard Fregin bevorzugt hingegen das Konkurrenzprodukt, auf Instagram schreibt der rechte YouTuber: "Nichts ist mehr #ibster als #matemate". Philip Thaler und Alexander Kleine, die zusammen ein wöchentliches YouTube-Magazin moderieren, das von der rechten Initiative "Ein Prozent" unterstützt wird, trinken einfach abwechselnd Club-Mate und Mate-Mate, während sie versuchen, jungen Leuten die AfD schmackhaft zu machen. Kleine gehört seit Jahren zu den Wortführern bei Aktionen der Identitären; Thaler war früher bei Demonstrationen der Neonazi-Vereinigung "Freies Netz Süd" unter den Teilnehmern zu sehen.

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Club-Mate wird von der Brauerei Loscher aus Bayern produziert, Mate Mate von Thomas Henry aus Berlin. Beide Firmen sagen, sie hören durch VICE zum ersten Mal vom rechten Griff nach ihrer Mate. Äußern möchten sie sich allerdings nur schriftlich.

Alles sei ziemlich "unschön"

Thomas Henry schreibt: Dass Rechte und Rechtsextreme Mate Mate bewerben und konsumieren, werde von der Firma "weder gewünscht noch unterstützt". Man wolle sich klar von der Szene distanzieren. Die Mate-Mate-Konsumenten beschreibt Thomas Henry als jung, international und vor allem innerhalb der Musik-, Club-, LGBTQ- und Hacker-Szene zu finden. Ihr Getränk sei ein "hochintegratives Produkt", das "Menschen aller Richtungen" zusammenbringe.

"Club-Mate soll ein Getränk für jedermann sein und auch bleiben", antwortet die Brauerei Loscher auf Anfrage von VICE. Man sei ein kleines, mittelständisches Familienunternehmen. Marketing oder Werbung hat die Brauerei nie betrieben. Auch Loscher distanziert sich "ausdrücklich" von politischen Extremisten. Dass das rechte Netz voller Mate-Flaschen ist? Laut Brauerei "nicht gewollt" und sowieso "unschön". Wo die rechte Begeisterung herkommt, lässt sich am deutlichsten bei Reimond Hoffmann nachlesen.


Auch bei VICE: Sportschnupfen in Bayern


Hoffmann, stellvertretender Bundesvorsitzender der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative, veröffentlichte im Herbst 2017 ein Plädoyer auf die Mate, erschienen in einem rechten Jugendmagazin. Für den Nachwuchspopulisten symbolisiert die Mate-Flasche in der Hand von Identitären und AfDlern nicht weniger als einen Lebensstil, nämlich den rechten. Mate sei ein "'Du kannst mich mal' gen die Cola- und Red-Bull-Eintönigkeit" und vor allem: "ein sehr deutsches", wenn nicht sogar "originär deutsches" Getränk. Davor dürften die "moderne deutsche Jugend" und "junge Patrioten" nicht den Mund verschließen.

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Antikommerz, Antiamerikanismus und vermeintliche Heimaltliebe vorm vollgestopften Spätikühlschrank – so kann man die rechte Mate-Motivation zusammenfassen. Identitäre Pluspunkte erhält Thomas Henrys Mate Mate wohl auch, weil der namensgebende Chemiker als junger Mann auf dem Flaschenetikett aufgedruckt ist. Henry wurde 1734 in Großbritannien geboren, sein Konterfei mit hohem Kragen erinnert an die Bilder der ersten Deutschnationalen aus der Zeit Napoleons und des Vormärz. Genau auf die beruft sich die Neue Rechte immer wieder. Doch damit hören die rechten Gründe für Mate-Koffeinschocks nicht auf: Die beiden YouTuber Alexander Kleine und Philip Thaler betonten in einem ihrer Videos, dass die Limo in Mehrwegflaschen verkauft wird. Mate aus Berlin und Bayern sei deshalb auch gelebter rechter Umweltschutz.

Dass Rechte Deutschlands Parks mit Plastikflaschen zumüllen, will niemand. Dass sie sich an die Fakten halten, allerdings schon. Denn wer Club-Mate und Mate Mate als "originär deutsch" bezeichnet, unterschlägt einen wesentlichen Teil der Geschichte des Kultgetränks.

Von Kaiserdeutschland über den Chaos Computer Club zur Jungen Alternative

Mate-Tee ist wohl schon seit dem 16. Jahrhundert in Europa bekannt, Jesuiten hatten die Pflanze aus Südamerika mitgebracht. Eine Limonade mit Tee-Extrakt tauchte zum ersten Mal Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Eine Brauerei in Dresden vertrieb "Hactormin", der bayerische Apotheker Hugo Obst stellte 1903 das Getränk "Yermeth" vor. Auf Letzterem basiert die heutige Club Mate, deren Hauptzutat im Kaiserdeutschland noch "Matte" hieß.

1911 gründete Obst in Bad Köstritz, Thüringen, zusammen mit anderen die "Deutsche Matte – Industrie Köstritz G.m.b.H.", ihre Limo nannten sie "Sekt-Bronte". Doch der Grundstoff aus Brasilien blieb ab 1914 aus: Der Erste Weltkrieg schickte deutsche Soldaten in die Hölle der Schützengräben und die deutsche Mate-Produktion in eine Zwangspause. Zwölf Jahre später griff die Mate-Industrie GmbH wieder zur Flasche und verkaufte die erstmals unter dem Etikett "Club Mate" – bis Hitler-Deutschland den Zweiten Weltkrieg anzettelte. In der DDR dürstete es niemanden nach der Brause, anders im Westen.

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Dort hatte Georg Latteier aus Dietenhofen, Bayern, 1924 die Lizenz für "Sekt-Bronte" erworben und seitdem die bittersüße Limo abgefüllt. Die Firma machte nach dem Krieg weiter, jetzt mit Club Mate, der Latteier Koffein hinzufügte. Die Brause gelangte allerdings kaum aus Mittelfranken heraus, erst Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre machten Antifaschisten, Hacker und Clubbetreiber aus Hamburg und Berlin Mate in den deutschen Großstädten bekannt. Der Rest ist Geschichte schlafloser LAN-Partys und Techno-Nächte sowie immer weiter steigender Verkaufszahlen der Brauerei Loscher.

Was in allen Jahrzehnten und bei allen Produzenten gleich blieb: Jeder betonte, Mate sei ein südamerikanisches Getränk.

Während die Brauerei Loscher heute einen indigenen Bauern auf das Club-Mate-Etikett druckt, nutzt Thomas Henry bunte indigene Muster für das Mate-Mate-Design. (Das kann man im besten Fall als folkloristischen Kitsch, im schlimmsten Fall als kulturelle Aneignung verstehen.) In einem Werbetext von Loscher heißt es, man höre "die Trommeln Brasiliens", wenn man Mate trinke. Thomas Henry beruft sich gegenüber VICE nicht nur auf die "Internationalität und Diversität" des Gründungsortes Berlin, sondern auch auf die "südamerikanische Lebensfreude", die eine Grundlage für Mate Mate sei.

Die Mate für die Limos kommt bis heute aus Südamerika. "Originär deutsch", wie von Rechten behauptet, ist die Koffeinlimo nicht.

Thomas Henry will demnächst den südamerikanischen Charakter seiner Mate noch stärker betonen. "Das Team von Thomas Henry und unser Produkt Mate Mate stehen für eine vielfältige, tolerante und in jeder Hinsicht bunte Gesellschaft", heißt es in dem Statement der Firma gegenüber VICE. "Menschen, die das nicht so sehen, wollen und werden wir kein Forum geben."

Da kann die Mate noch so viel Koffein enthalten, im Grunde belegt die gesamte Posse wieder mal nur eins: Wenn Deutschlands Rechte einen Trend nicht gleich komplett verschlafen, dann sind sie in trister Regelmäßigkeit late to the party. Schon 2011 schrieb die taz über Club-Mate als "Einhornpisse" aus Halberliterflaschen: "Der Kult nervt gewaltig."

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