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10 Fragen

10 Fragen an eine Notfallsanitäterin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Klaut ihr Drogen aus dem Medikamentenkoffer, um sie selber zu nehmen? In welchen peinlichen Situationen findet ihr Menschen vor? Was war dein härtester Einsatz?
Symbolfoto: imago | Eibner

Wenn Nora nicht gerade mit Blaulicht zu einem Einsatz jagt, darf sie während der Arbeit sogar schlafen. Auf ihrer Wache gibt es einen Ruheraum und mehrere Betten, in denen sich die Sanitäter während der Nachtschichten ausruhen können. Zu tief dürfe man aber nicht einschlafen, sagt sie. Denn sobald ein Notruf eingeht, muss man innerhalb einer Minute wieder im Krankenwagen sitzen.

Nora ist seit fünf Jahren Sanitäterin. Sie hat schon in verschiedenen Städten gearbeitet. Die Probleme, sagt sie, sind aber überall die gleichen. Zu wenig Personal, zu lange Einsatzzeiten. Dafür bilden die Sanitäter unter sich eine verschworene Gemeinschaft. "Der Rettungsdienst ist eine sehr kleine Welt", sagt Nora. Deswegen möchte sie auch nicht, dass ihre Arbeitgeber und ihre Kollegen hier ihren echten Namen lesen können. Ihr Alter will sie ebenfalls nicht veröffentlicht sehen und auch nicht die Stadt, in der sie im Einsatz ist. Als wir sie fragen, ob ihr ihre Arbeit Spaß macht, zögert sie erst. Dann sagt sie aber doch ja. Wir haben Fragen.

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VICE: Wie häufig schaltet ihr das Blaulicht ein, um schneller nach Hause zu kommen?
Nora: Das habe ich noch nie getan. Es ist auch extrem verrufen. Aber ich habe von Kollegen gehört, die das nicht davon abhält. Ich frage mich immer, weshalb die nicht erwischt werden. Werden wir geblitzt, wird nämlich anschließend überprüft, ob wir auch tatsächlich einen Patienten im Wagen hatten. Das ist schon ziemlich riskant. Und für fünf Minuten meinen Job riskieren – ich würde es nicht tun.

Seid ihr mit dem Krankenwagen schon einmal in einen McDrive gefahren?
Die passen da nicht rein.

Klaut ihr Drogen aus dem Medikamentenkoffer, um sie selber zu nehmen?
Es gibt Kollegen, die das machen. Das ist aber viel weniger aufregend, als man denkt. Meistens geht es dabei nur um kleine Dosen Beruhigungsmittel. Mehr würde auffallen. Richtig schwere Sachen wie Morphine können wir sowieso nicht mitgehen lassen. Für die gibt es Übergabeprotokolle. Haben wir etwas verbraucht, müssen wir die leeren Ampullen aufheben und Patient und Medikament notieren. Großartig klauen kann man da nicht. Damit geliebäugelt habe ich aber natürlich schon einmal. Wenn ich sehe, wie Patienten auf die Medikamente reagieren, frage ich mich schon, wie sich die Wirkung wohl anfühlt.

Wie viele Sanitäter sind schlechte Autofahrer?
Blaulichtfahren muss man lernen. Fahre ich zu langsam, weiß keiner, wo ich hinwill. Fahre ich zu schnell, übersehe ich vielleicht einen Fußgänger, einen Hund oder Fahrradfahrer. Unsere Schlagregel lautet: in der 50er-Zone nicht schneller als 80. Am Schwierigsten ist die Müdigkeit. Nach einer 12-Stunden-Schicht bin ich völlig fertig. Und teilweise schieben wir diese Schichten an vier oder fünf Tagen hintereinander. Das ist körperlich harte Arbeit. Deswegen haben wir auch kaum Kollegen über 60. Am Ende eines Tages muss man sich auf das Autofahren schon ziemlich konzentrieren. Ich hatte einen Kollegen, der in den Sekundenschlaf gefallen ist und mit dem Krankenwagen einen Unfall gebaut hat. Dabei ist aber zum Glück niemanden etwas passiert.

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Gibt es Menschen, denen du nicht helfen willst?
Ja, auf jeden Fall. Natürlich helfe ich jedem und behandle auch jeden gleich. Auch wenn es ein Arschloch ist. Jemand, der betrunken Auto gefahren ist und damit jemanden umgebracht hat, zum Beispiel. Auch dem Typen, der sich verletzt hat, weil er gerade ein kleines Mädchen geschlagen hat, will ich nicht helfen. Ich tue es aber trotzdem.

Manchmal machen mich Menschen wütend, die unsere Hilfe gar nicht brauchen. Patienten, die sich Schmerzen einbilden oder panische Betrunkene. Wenn ich über Funk höre, dass jemand reanimiert werden muss, ich selber aber auf dem Weg zu so einer Scheiße bin, dann muss ich mich schon zusammenreißen. Es gibt auch alte Menschen, die anrufen, weil sie einsam sind. Die tun mir leid, aber der Rettungsdienst ist nicht das, was sie brauchen.

Was war dein härtester Einsatz?
Ich war recht neu im Job, da rief nachts eine Mutter an. Ihr Kind war vielleicht vier Monate alt. Abends hatte sie es noch gestillt und ins Bett gebracht. Als sie ein paar Stunden später nach ihm gesehen hat, hat es nicht mehr geatmet. Davor hat jeder im Rettungsdienst Angst. Kinderreanimationen sind das Schlimmste, was einem passieren kann. Als wir ankamen, haben wir nach dem Kind geschaut und mussten einsehen, dass wir nichts mehr tun konnten. Es war schon zu lange tot. Plötzlicher Kindstod. Ich wusste überhaupt nicht, was ich tun sollte. Die meisten Kollegen brauchen dann ein bisschen Zeit für sich und eine Zigarette. Ich rauche nicht. Ich habe mich also nur ins Auto gesetzt und geheult. An diesem Tag bin ich nach Schichtende nicht nach Hause, sondern zu meiner Mutter gefahren und habe mich von ihr trösten lassen.

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Sanitäter werden immer wieder angegriffen. Sollte man euch bewaffnen?
Nein, auf keinen Fall. Ich glaube nicht, dass uns das helfen würde. Aber man sollte mehr Schutzmaßnahmen ergreifen. Ich habe Kollegen, die nachts mit einer Stichschutzweste arbeiten. Auch ich wurde schon von Besoffenen angepöbelt und Menschen haben gedroht, mich zusammenzuschlagen, sollte ich nicht ihren Anweisungen folgen. Einmal hat mir ein Patient an den Hintern gefasst. Aber ich wurde im Job noch nie verletzt. Einer meiner Kollegen wurde vor ein paar Monaten mit einer Axt angegriffen. Zum Glück ist der schnell genug gerannt. In solchen Situationen können wir nichts anderes machen, als die Polizei zu rufen und zu hoffen, dass die schnell genug ist.

Findest du manche Patienten eklig?
Ja, aber ich habe dann keine Wahl. Die Gerüche von Urin oder Kotze gehören einfach zum Job. Trotzdem fällt es mir jedes mal schwer, Messis aus ihren Wohnungen abzutransportieren. Bevor ich diesen Job begonnen habe, war mir nicht klar, in was für einem Schmutz Menschen hausen können. Müll und Dreck in allen Zimmern, teilweise kommt man kaum durch. Und mittendrin liegt irgendein Mensch. Häufig haben die offene, eiternde Wunden. Manche sind schon von Maden befallen. Einmal haben wir einen verwahrlosten, älteren Herren abgeholt, der seinen Katheter in einen schmutzigen Putzeimer laufen ließ. Offenbar waren ihm die Plastikbeutel ausgegangen. Dieses Bild hat sich mir eingebrannt.

In welchen peinlichen Situationen findet ihr Menschen vor?
Gerade bei Sexunfällen müssen mir die Patienten gar nicht mehr erklären, was passiert ist. Der Klassiker sind natürlich Gegenstände, die wundersamerweise im Hintern von Menschen verschwinden. Das passiert häufig. Und da muss man mir auch nicht erzählen, man sei nackt durch das Haus gewandert und habe sich ungünstig hingesetzt. Es gibt aber noch einen weiteren Standard-Unfall. Vielleicht ist das der richtige Moment, darauf aufmerksam zu machen: Mädels, ich weiß, Masturbation ist etwas Tolles. Aber nehmt dafür bitte, bitte keine Flasche. So entsteht nur ein Unterdruck und ihr bekommt das Ding nie wieder raus. Investiert ruhig das Geld in einen Vibrator. Es lohnt sich!

Macht dir der Job erst Spaß, wenn es richtig eng wird?
Die spannendsten Einsätze sind die, bei denen es den Menschen am schlechtesten geht. Das hört sich schlimm an. Aber es ist am erfüllendsten, zu einem Einsatz zu fahren, bei dem ich alle meine Fähigkeiten unter Beweis stellen kann. Ich werde zwar nicht high vom Adrenalin, aber dass es mir was gibt, muss ich schon zugeben.

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