Tizian Baldinger
Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben: Laura Binder

FYI.

This story is over 5 years old.

10 Fragen

10 Fragen an einen Künstler, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Finanzieren dich deine Eltern? Brauchst du Drogen, um kreativ zu werden? Ist Kunst nicht einfach nur eine riesige Verarsche?

Jeder, der seine Kindergarten-Krakelzeichnungen am Kunstmarkt gegen Geld anbieten würde, käme schnell zu einer Erkenntnis: Es ist leichter "Kunst" zu produzieren, als sie zu verkaufen.

Tizian Baldinger hat zwar früher nicht die Wände seines Schweizer Elternhauses bemalt ("Das hätte eine Ohrfeige gegeben"), aber heute ist er hauptberuflich Künstler. In Hamburg und China hat Tizian Kunst studiert, sein Alter sei nicht wichtig, sagt er. Der Künstler lebt in Berlin. Nicht, weil er die Stadt so lieben würde, sondern weil Berlin die Kunst liebe – und es sich gut in seiner Vita mache. Geschätzte 8.000 professionelle Künstlerinnen und Künstler sollen laut einer Studie allein in der Hauptstadt arbeiten. Für viele sei das ein Verlustgeschäft.

Anzeige

"Die Kunstwelt ist todeshart", sagt Tizian. Man könne sie mit der Sendung Takeshi’s Castle vergleichen: Jeder Künstler renne unter Zeitdruck durch diesen "abgefahrenen asiatischen Parkour" und habe Angst, bei jedem Hindernis ins Wasser zu fallen und mit nichts auszusteigen.

Statt mit Leinwand und Farbe arbeitet Tizian mit Neonröhren, Holz, Plexiglas und manchmal auch mit ausgestopften Vögeln. "Wir haben auch mal 200 Euro in aufblasbare Pool-Tiere investiert", sagt er. Darüber wundere sich das zuständige Finanzamt schon lange nicht mehr. Alles, was er macht, sei ein Spiegel seines Lebens, sagt er. Vor allem die skulpturalen Installationen oder Performances, bei denen er zum Beispiel in Unterhose und Maske einen alten Fernseher bei einer Ausstellung hochhält.

Wir haben Fragen.

Die Austellung von Tizian Baldinger

Links "Alles Nichts" | Judith Hofer || Rechts "Homeless Artist" | Alexine Rodenhuis

VICE: Bist du Künstler geworden, weil du sonst nichts kannst?
Tizian Baldinger: Ich wollte eigentlich Unternehmer werden und ein Internet-Start-up gründen. Als ich 17 Jahre alt war, bat ich meine Mutter mir ein Trading-Konto zu eröffnen, weil ich minderjährig war, damit ich an der Börse spekulieren konnte. Ich war völlig geflasht von dieser Welt, aber hatte auch wenig Erfahrung. Weil ich nicht ohne Ausbildung dastehen wollte, bin ich in der Informatik gelandet. Meine Mutter starb, als ich ich 20 Jahre alt war, das hat mich aus der Bahn geworfen.

Ich habe viele Jahre als Webprogrammierer gearbeitet und irgendwann gekündigt, um mich in Zürich an der Kunstschule zu bewerben. Die haben mich abgelehnt. Da habe ich mir gedacht: Fickt euch, ich gründe meine eigene Kunstschule. Also habe ich 1.000 Quadratmeter in Aarau in der Schweiz gemietet, das war 2010, und ein Kunst- und Kulturzentrum aufgebaut, um anderen einen Atelierplatz anzubieten und mich dort zu erproben. Wir waren circa 15 Leute, davon haben zehn dort auch gewohnt. Seitdem bin ich hauptberuflich Künstler und habe schließlich in Hamburg doch noch Kunst studiert.

Anzeige

Wie selbstverliebt bist du?
Man denkt ein Künstler ist automatisch selbstverliebt, aber ich habe das Gefühl, viele sind das überhaupt nicht. Aber ich bin es. Wenn Narzissmus bedeutet, sich selbst am meisten abzufeiern, dann bin ich tausendprozentig ein Narzisst. Ich lasse trotzdem jedem seine Welt, auch denen, die mit mir und meiner Arbeit nicht klarkommen. So what! Ich bin nicht überheblich und beobachte auch meine Umwelt, nicht nur mich – ein "sozialverträglicher" Narzisst eben. Das muss ich in der Kunstwelt auch sein. Wer nicht an sich selbst glaubt, geht ganz schnell unter. Und wer nicht um sich schaut auch.

Brauchst du Drogen, um kreativ zu sein?
Nein, ich bin ein drogenfreies Kind. Das hat aber mehr damit zu tun, dass mein Geist schon crazy genug ist und mir Angst macht. Ich habe mit 15 Jahren ein bisschen gekifft und gemerkt, dass es zu hart für mich ist. Einmal stand ich auf dem Dach eines Hochhauses und habe dort gekifft. Und plötzlich dachte ich: Ey, ich kann fliegen! Um ein Haar wäre ich von diesem scheiß Dach gefallen.

Ich bin eigentlich ein Suchtmensch. Ich habe viele Jahre lang Kette geraucht, aber irgendwann von heute auf morgen aufgehört. Dafür trinke ich vermutlich zu viel Bier. In China ist mir aufgefallen, dass wir Europäer alle ein Alkoholproblem haben. In der Kunstszene sowieso, das ist sehr verbreitet. Drogen gibt es eher weniger, außer Kiffen.

"Die größte Ausrede von Künstlern ist, sie seien gegen den Kapitalismus. Dabei ist Kunst die absolute Krönung des Kapitalismus."

Anzeige

Du hast mal deinen abgeschnittenen Bart als Kunstwerk versteigert. Kann nicht jeder mit sowas Künstler werden?
Na klar, aber das ist gar nicht so leicht. Man sagt, um in der Kunstwelt erfolgreich zu werden, muss man zehn bis fünfzehn Jahre nur investieren. In der Zeit verdient man so gut wie nichts, erst recht nicht mit nur einem Werk. Geld ist der Schlüssel zum Erfolg. Viele Künstler und Künstlerinnen haben entweder Verbindungen zu Leuten mit Geld oder eine wohlhabende Familie hinter sich, um überhaupt hauptberuflich Künstler werden zu können.

Finanzieren dich deine Eltern oder der Staat?
Der Staat hat mich nie finanziert, meine Eltern schon. Meine Mutter hat uns nach ihrem Tod Geld hinterlassen. Mein Vater hat mir und meiner Schwester gesagt, wenn wir ein Studium machen, können wir das Geld dafür verwenden. Ich habe mich lange Zeit alleine über Wasser halten können, auch während des Studiums. Vor zwei Jahren nahm ich das Angebot dann doch an. So sind meine Grundkosten gedeckt und ich kann mich voll auf meine Kunst konzentrieren. Man kann nebenbei arbeiten, aber da braucht man seine ganze Energie auf. Es gibt Leute, denen tut ein Ausgleich gut, aber die meisten hindert es, sich mit der nötigen Intention auf die Kunst zu konzentrieren.

Für den Start meiner Karriere und meines Kunstzentrums hatte ich Ersparnisse. Aber ein wichtiger Verdienst kam damals durch Techno-Partys. In Aarau gab es 2010 keinen Laden der elektronische Musik spielte. Also habe ich mit anderen Künstlern in einem abgefuckten Studio Partys veranstaltet, bei denen bis zu 600 Leute kamen.

Anzeige

Ist Kunst einfach nur eine riesige Verarsche?
Früher hatte Kunst etwas mit Talent zu tun und Handfertigkeit. Heute kann alles Kunst sein und sie ist das Hobby von superreichen Leuten. Wenn du keinen Sinn in Kunst siehst, keinen Zugang dazu hast oder Freude daran empfindest, dann kann Kunst definitiv die größte Verarsche sein. Piero Manzoni hat in den 60ern in eine Konservendose gekackt, sie versiegelt und draufgeschrieben: Scheiße des Künstlers. Dieses Ding kostet heute über 100.000 Euro und ist ein wichtiges Werk. Für die einen mag das sinnfrei sein – aus der Sicht der Kunst ist es das natürlich nicht.

Heutzutage wird viel zu viel in Kunst reininterpretiert, was völliger Humbug ist. Wenn Leute wirklich politisch sind und etwas aufzeigen wollen, dann kann das spannend sein. Einige sagen aber im Nachhinein, es ginge ihnen um Ungleichheit und Missstände, damit ihre Werke nicht sinnfrei dastehen. Postum wird auch sehr viel reininterpretiert. Die größte Ausrede von Künstlern ist, sie seien gegen den Kapitalismus. Dabei ist Kunst die absolute Krönung des Kapitalismus.

Wie erklärst du unterbezahlten, körperlich hart arbeitenden Leuten, dass Kunst wichtig für die Gesellschaft ist?
Kunst ist auch harte und schlecht bezahlte Arbeit. Ein Großteil aller Künstler und Künstlerinnen behauptet, dass Kunst wichtig für die Gesellschaft sei. Ich behaupte das nicht. Wir können alle gut ohne Kunst leben. Viel wichtiger ist stinknormale Kreativität wie Musik, Basteln oder Dekorieren. Natürlich sind kreative Ausdrucksformen wichtig und man muss sie ausleben. Aber Kunst ist die Übertreibung dieser Formen und zu einem wichtigen Teil nur noch ein Spielzeug der Reichen.

Anzeige

Das soll nicht böse klingen, aber es gibt viele Durchschnittsleute, die nichts von Kunst verstehen, aber großen Respekt davor haben. Die wollen dann einmal in ihrem Leben in den Louvre und sich die Mona Lisa angucken. Mir tun diese Leute Leid, weil sie sich so unterwürfig gegenüber der Kunst fühlen. Dabei sollten sie drauf scheißen, wenn sie sich eigentlich nicht dafür interessieren. Kunst ist – wie Fußball – nur ein Hobby und kein Eckpfeiler unserer Gesellschaft. Aber Kunst kann den Horizont öffnen, bei allen die bereit sind, sich damit auseinander zu setzen.

Erschaffst du absichtlich Werke, die keiner versteht?
Nie, und Kunst braucht nicht immer eine tiefe Bedeutung, um zu funktionieren. Ich bin ein Hedonist und mache nur, worauf ich Lust habe. Ich will nicht, dass du davor stehst und rätselst: Was will mir dieses Kunstwerk sagen? Nichts. Das wäre meine ungeschönte Antwort. Ich will nur was Geiles erschaffen, weil ich ein wahnsinniger Ästhet bin und für die Kunst lebe. Meine Werke sollen meine positive Lebensenergie widerspiegeln und dir eine Freude bereiten.

Tizian Baldinger mit einem Neon-Flamingo

Wir treffen Tizian in der Affenfaust Galerie, in der er auch ausstellt

Machst du Installationen, damit niemand merkt, dass du kein klassisches Kunsthandwerk beherrschst?
Gute Frage, haha vielleicht. Ich kann weder zeichnen noch malen. Da bin ich komplett untalentiert. Viele Leute denken: Oh, das ist ein Künstler? Der kann ja nicht mal zeichnen. Ich kann aber gut schweißen oder Lichtinstallationen programmieren und ein paar andere Dinge. Das kann auch nicht jeder. Ich finde meine Skizzen ziemlich geil, aber vor Kurzem hat meine Schwester gesagt, dass sie sie zu unbeholfen findet und ich Zeichnen lernen sollte.

Wie trickst du Leute aus, um besser zu verkaufen?
Ich sage ihnen, dass sie jetzt für 1.000 Euro ein Werk von mir kaufen und sich in zwanzig Jahren einen teuren Mercedes davon finanzieren können. Auf einer Vernissage stehe ich aber nicht neben meinen Werken und preise sie an.

Leider bin ich aber noch keine Wertanlage. Leute, die meine Sachen kaufen, sind noch nicht die, die mit der Kunst Geld verdienen wollen. Ich bin ein junger Künstler, der den großen Durchbruch noch nicht geschafft hat. Und ich bin auch noch nicht so bedeutend, dass meine Werke nach meinem Tod an Wert gewinnen würden. Ich habe erst 200 "richtige" Kunstwerke gemacht, das ist zu wenig. Deshalb würde mir mein Tod leidtun für alle, die was von mir gekauft haben. Denn falls ich jetzt überraschend sterbe, wäre alles umsonst gewesen. Aber ich arbeite dran, mein Ziel weiter zu verfolgen: reich und berühmt werden. Ich liebe Kunst mit allen Facetten. Kunst ist mein Leben! Und Kunst ist geil.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.