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Klogeflüster

Wie uns Raststätten mit Sanifair-Bons verarschen

In anderen Ländern würde man 50-Cent-Gutscheine wegwerfen, anstatt sie einzulösen und draufzuzahlen. Aber wir sind hier in Deutschland.
Foto: VICE Media

Zwanzig Millionen Euro verlieren die Deutschen im Jahr, weil sie ihre Sanifair-Bons nicht abgeben. Ihr wisst schon, diese Gutscheine, die man auf Raststätten-Toiletten bekommt und mit deren Hilfe man sich einreden kann, dass 70 Cent kein Wucher dafür sind, seine Notdurft zu verrichten. 50 Cent sind die Bons wert, die der Toilettenkunde im Shop nebenan einlösen kann, der praktischerweise zum selben Unternehmen gehört: Tank & Rast. Ein Betrag, für den man realistisch betrachtet, nichts kaufen kann, was kostenbewusste Deutsche in ein wahres Dilemma stürzt: 50 Cent sparen und 2,29 Euro für ein stilles Wasser draufzahlen oder die Bons bis zur Unlesbarkeit im Portemonnaie vergammeln lassen?

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Über die Hälfte entscheidet sich laut Informationen des rbb für's Draufzahlen – und spült somit ordentlich Geld in die Kassen von Tank & Rast. Wie viel das Unternehmen genau durch ihr Bon-System einnimmt, will es nicht verraten. Der rbb hat allerdings nachgerechnet: Zwanzig Millionen müssten das etwa sein, die das Unternehmen damit verdient. Das verwundert nicht: Der gewissenhafte Durchschnittsdeutsche hasst wenig so sehr wie Verschwendung und schneidet die Zahnpastatube lieber auf, als auch nur ein bisschen Minzpaste mit Fluorid an den Mülleimer zu verlieren. Er hat ja schließlich dafür bezahlt! Warum also sollte er ein Stück Papier wegwerfen, was ihm eine Ersparnis von 50 Cent verspricht – und für das er im Grunde bereits bezahlt hat?


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Selbst die, die sich weigern, grundlos überteuerte Chips und Klatschmagazine zu kaufen, haben einen Weg gefunden, doch noch von den Bons zu profitieren. Auf ebay gibt es inzwischen mehrere Verkäufer, die ihre zerknitterten Sanifair-Gutscheine zu Geld machen wollen. Fünf Bons für einen Euro, acht Bons für 2,50 Euro – was nach Wucher klingt, findet tatsächlich Abnehmer. Auch die 27-jährige Victoria bietet die Überbleibsel ihrer Raststätten-Toilettengänge im Internet an. "Ich finde dort immer nur Sachen, die teurer als 50 Cent sind und ich finde es nicht gut, etwas zu kaufen, was ich nicht brauche", sagt sie gegenüber VICE. Wegschmeißen will sie die Bons trotzdem nicht. Kleinvieh macht schließlich auch Mist, wie es in einer alten deutschen Redensart heißt.

Andererseits: Bei Versandkosten von 70 Cent, die auf den Kaufpreis drauf kommen, dürfte der jeweilige Käufer nicht sonderlich viel Geld an der Raststätte sparen. Egal, wie viele Bons er auf einmal einlöst. "Ich denke, für Leute, die sehr häufig an Autobahnen sind, Außendienstmitarbeiter oder LKW-Fahrer, rentiert sich das Angebot schon", widerspricht Victoria.

Schlussendlich muss man den Verantwortlichen von Tank & Rast beinahe ein Kompliment aussprechen. Sie haben den Deutschen da gepackt, wo es ihm wehtut, an seinem Sparwahn. Durch im Grunde wertlose Gutscheine zwingen sie Toilettenbesucher dazu, ihr Geld für Dinge auszugeben, die sie eigentlich weder wollen noch brauchen. Und schalten dabei sogar noch ihren natürlichen Instinkt aus, zwanghaft Preise miteinander zu vergleichen.

Ein halber Liter stilles Wasser kostet bei Tank & Rast laut rbb-Recherche 2,79 Euro. In anderen Raststätten an der Autobahn, die nicht zum Unternehmen gehören, 1,40 Euro. Was lernen wir daraus? Sanifair-Gutscheine am besten direkt verbrennen – und die Asche anschließend sachgerecht entsorgen. Ordnung muss sein, wir sind hier schließlich in Deutschland.

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