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sexuelle übergriffe

WDR soll seit 27 Jahren von sexueller Belästigung wissen

Die 'Bild am Sonntag' berichtete schon 1991 über einen Hotelzimmer-Vorfall.
Foto: imago | Ralph Peters

Es ist wirklich nicht die klügste Idee, bei Belästigungsvorwürfen lethargisch seinen Kopf in den Sand zu stecken und darauf zu warten, dass "dieses #MeToo" auch irgendwann vorbeigeht. Wie vergangene Woche bekannt wurde, hat der WDR aber offenbar genau das getan: Obwohl einer seiner Auslandskorrespondenten unter anderem eine ehemalige Praktikantin belästigt hat, durfte der Mann weiterhin dort arbeiten. Am Sonntag beurlaubte der WDR-Intendant Tom Buhrow seinen Journalisten. Gezwungenermaßen – denn wie zuvor bekannt wurde, hat der Sender dem Mann möglicherweise ziemlich lange bei seinem Machtmissbrauch zugesehen.

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Wie die Bild-Zeitung berichtet, war dem TV-Korrespondenten schon 1991 vorgeworfen worden, Mitarbeiterinnen belästigt zu haben. In der Sonntagsausgabe des Blattes hieß es damals, er habe bei einer Dienstreise nach Ostdeutschland darauf bestanden, sich ein Zimmer mit einer Kollegin zu teilen. Der Bild zufolge habe er erklärt, der Sender wolle so Geld sparen. Außerdem sei im Hotel kein anderes Zimmer frei gewesen. Daraufhin sollen sich zwei weitere Kolleginnen beim WDR gemeldet haben. Wie die Bild schreibt, habe der Mann die Vorwürfe nicht abgestritten, es habe einen Eintrag in die Personalakte gegeben. Offenbar hatte sich die Sache damit vorerst erledigt.

Bevor der Mann beurlaubt wurde, musste nämlich noch Einiges mehr passieren: Vergangene Woche wurde nach Recherchen des stern und des Recherchezentrums Correctiv bekannt, dass der Mitarbeiter auch später noch mehrmals übergriffig wurde. Eine ehemalige Praktikantin erhebt in dem Bericht Vorwürfe, der Korrespondent hätte sie, damals 22 Jahre alt, im Jahr 2012 belästigt. Damals sei er ihr Chef gewesen. Er habe sie abends auf sein Hotelzimmer eingeladen, ihr Champagner angeboten und einen Porno auf seinem Laptop gezeigt, von dem er ihr vorher erzählt hatte. Vergangenes Jahr habe sie sich dann mit ihrer Geschichte an den Sender gewandt, so die Frau.


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Der WDR arbeitete die Vorwürfe Anfang 2017 intern auf, allerdings blieb die Untersuchung weitestgehend folgenlos. Sonia Mikich, die Chefredakteurin des WDR, war den Vorwürfen selbst nachgegangen und hatte den Korrespondenten konfrontiert. Danach gab es zwar erneut einen Eintrag in die Personalakte – abgemahnt wurde der Journalist aber nicht.

Im Interview mit Spiegel Online sagte Mikich, die Darstellung aus der stern-Correctiv-Kooperation entsprächen weitestgehend der Wahrheit. Das Gesamtbild sei aber nicht vollständig: "Die Dinge klingen im stern sehr einfach, sie waren aber deutlich komplexer", so Mikich. Es klinge, als sei der beschuldigte TV-Korrespondent mit einem "Klaps auf die Finger" davongekommen, sagte die Chefredakteurin, man sei aber "sehr viel härter vorgegangen als im Artikel beschrieben". Weil sie nicht aus Personalakten zitieren dürfe, könne sie über weitere Konsequenzen aber nichts sagen.

Immerhin dürften die Vorwürfe der Bild-Zeitung Sonia Mikich nicht neu sein. Dem Correctiv-Bericht zufolge habe sie in einem internen Nachrichtenverlauf geschrieben, es habe auch vorher schon Vorfälle gegeben. Weil diese über 20 Jahre zurücklägen, dürften sie allerdings nicht mehr ausgewertet werden. Unklar ist allerdings, ob der WDR erst im Zuge der Ermittlungen darauf gestoßen ist oder schon länger darüber Bescheid wusste. Der Bild zufolge prüft der Sender nun, ob eine entsprechende Notiz in der Personalakte des Mannes entfernt worden war.

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Selbst die Vorsitzende des Personalrats sagt, es gebe beim WDR "Machtmissbrauch" und "Herabwürdigung"

"Ich habe damals wirklich alles gemacht, um rauszukriegen, was passiert ist", erklärte Mikich gegenüber Spiegel Online. Sie glaube der ehemaligen Praktikantin, dass es einen "sehr unangenehmen" Vorfall gegeben habe. Der Beschuldigte habe die Situation aber anders erklärt. Das kann man tatsächlich so sagen: Correctiv zufolge hat der Journalist in der Untersuchung angegeben, der Praktikantin den Porno "aus journalistischen Gründen" gezeigt zu haben.

Wer letztendlich dafür verantwortlich ist, dass der Korrespondent sich quasi ungestört Fehltritte leisten konnte, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Mikich sagt, sie habe ihre Rechercheergebnisse der Personalabteilung und dem dafür zuständigen Interventionsausschuss übergeben. Allerdings war man dort nicht wirklich zufrieden über den Ablauf der Ermittlung: Die Vorsitzende des Personalrats, Christiane Seitz, kündigte vergangene Woche ihren Rücktritt aus dem Ausschuss an – weil das Gremium bei Entscheidungen wenig Mitspracherecht gehabt habe. In einer Mail, die dem Spiegel vorliegt, schrieb Seitz, der Personalrat habe "immer wieder vergeblich" gefordert, im "absolut hierarchisch geprägten WDR" gegen den Machtmissbrauch und die Herabwürdigung Schwächerer vorzugehen. Man habe sich über Verbesserungsvorschläge aber eher lustig gemacht, als sie anzunehmen.

Der Sender wehrt sich gegen diese Vorwürfe. Eine Sprecherin des Senders sagte VICE: "Sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch haben beim WDR keinen Platz und werden auch nicht geduldet."Dem Tagesspiegel teilte der WDR mit, die Aufarbeitung vergangener Fälle laufe seit einigen Wochen, der Intendant habe dies nun zur Chefsache erklärt.

Tatsächlich reagierte WDR-Intendant Tom Buhrow am Sonntag zunächst mit der Beurlaubung des Auslandskorrespondenten. Er wolle sich nun selbst ein umfassendes Bild machen, so die Sprecherin. Vielleicht hat der WDR also mittlerweile verstanden, dass Taten in vielen Fällen glaubhafter sind als Worte.

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