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Ein Minister-Guide für Jens Spahn: Alles, was er tun und lassen sollte

Anscheinend hat dem neuen Bundesgesundheitsminister keiner seinen Job erklärt. Wir helfen gerne.

Jens Spahn könnte sich eigentlich entspannen: Mit 37 Jahren ist er Bundesgesundheitsminister. In einem Alter also, in dem andere gerade mal stolz darauf sind, die 1.000-Fan-Marke bei ihrem Cupcake-Instagram-Account geknackt zu haben. Aber Jens Spahn scheint sein Ministeramt nicht zu genügen. Er will mehr sein. Innenminister. Bundeskanzler. Ein fucking Gott im Bundestag. Warum sonst äußert er sich andauernd zu Themen, die überhaupt nichts mit seinem Ressort zu tun haben? Es kann natürlich auch sein, dass ihm in Berlin einfach noch keiner erklärt hat, was das heißt: Gesundheitsminister sein. Welche Aufgaben dazugehören und welche nicht. Aber weil wir nicht möchten, dass Jens Spahn sich weiterhin öffentlich blamiert und ihm helfen wollen, haben wir für ihn aufgedröselt, was er als Gesundheitsminister tun sollte – und was er stattdessen wirklich tut.

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Was Jens Spahn tatsächlich tut

Er kümmert sich um die Innere Sicherheit

Der Staat müsse für "Recht und Ordnung" sorgen, sagte Jens Spahn der NZZ. "Bei Drogendealern, die von der Polizei zum 20. Mal erwischt werden, scheinen die Behörden aber oft ohnmächtig." Seltsam nur, dass sich die Innenminister von CSU und CDU (Spahns eigener Partei), die seit 2005 im Amt waren, darum nicht gekümmert haben und jetzt einen offenbar nicht ausgelasteten Gesundheitsminister brauchen, der ihnen das erklärt.

Die Hot Spots hat Spahn auch gleich ausgemacht: "Schauen Sie sich doch Arbeiterviertel in Essen, Duisburg oder Berlin an. Da entsteht der Eindruck, dass der Staat gar nicht mehr willens oder in der Lage sei, Recht durchzusetzen." Wir wissen nicht, wie oft Jens Spahn in Essen oder Duisburg war. Laut der aktuellen polizeilichen Kriminalstatistik für 2016 ist die kriminellste Stadt im Ruhrgebiet zumindest Dortmund – und die ist bekannt für ihr Problem mit Neonazis.


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Er möchte Grenzen sichern

Ebenfalls in der NZZ forderte er einen Ausbau des europäischen Grenzschutzes. "Frontex braucht 100.000 Mann und soll wirklich die Grenze schützen. Allein Deutschland hat über 40.000 Bundespolizisten. Das gibt ein Gefühl dafür, was nötig ist." Es ist nur ein sanfter Hinweis, aber vielleicht sollte sich Jens Spahn als Gesundheitsminister lieber um THC-Grenzwerte in medizinischem Cannabis kümmern als um Landesgrenzen.

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Er entscheidet, welche Rechte Frauen haben

Ok, das ist zumindest schon mal sein Themengebiet. Aber ein Gesundheitsminister sollte sich eventuell bremsen, wenn es darum geht, Frauen Informationen vorzuenthalten, die sie selbst gerne hätten.

Er kümmert sich um das Mediennutzungsverhalten von Journalisten

Ebenfalls der NZZ sagte Spahn: "Es gibt Tweets von Redakteuren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sind einfach nur politisch eindeutige Kommentare und sehr subjektiv. Da steht zur Absicherung drüber: privater Account. Soll ich jetzt auch immer sagen: 'Das war Spahn privat'? Ich bin Mitglied der Regierung. Entsprechend werden Sie meine Zitate einsortieren." Das tun wir. Aber je mehr wir über das nachdenken, was Jens Spahn twittert und in Interviews sagt, desto irritierter sind wir darüber, dass die Steuerzahler ihn dafür bezahlen, das Gesundheitssystem zu verbessern.

Er entscheidet, wie viel Geld man zum Leben braucht

Der Funke Mediengruppe sagte Spahn, Hartz IV-Empfänger hätten alles, was sie zum Leben brauchen. Genau genommen hat Jens Spahn diese Einschätzung eine Woche vor seinem Amtsantritt abgegeben. Wir sind daraufhin losgezogen und haben Hartz-IV-Empfänger gefragt, was sie Spahn antworten möchten. Zu den Antworten zählten: "Wenn ich ein Viertel von Spahns Gehalt verdienen würde, wäre ich komplett zufrieden", oder "Am liebsten würde ich ihm in die Fresse hauen".

Foto: imago | Stefan Zeitz

Was Jens Spahn tun sollte

Die zweifelsohne größte Aufgabe Spahns wäre es, den Pflegenotstand zu beseitigen. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung geht davon aus, dass bis 2030 500.000 Pflegekräfte fehlen werden. Grund dafür: Die deutsche Gesellschaft wird immer älter, ergo gibt es immer mehr Pflegebedürftige. Die 8.000 zusätzlichen Pflegekräfte, die der Koalitionsvertrag per "Sofortprogramm" schaffen will, werden nicht reichen.

Zweites dringendes Problem: die Zwei-Klassen-Medizin. Gesetzlich Versicherte müssen bei Fachärzten teils monatelang auf Termine warten und verhältnismäßig große Teile ihres Gehalts für die Versicherung aufbringen. Zwar zahlen Privatversicherte auch entsprechend mehr für ihren Status, aber sie haben in den meisten Fällen auch deutlich mehr Geld zur Verfügung – und erhalten dann im Handumdrehen eine Behandlung.

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Außerdem müsste sich der Gesundheitsminister der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum annehmen. Wenn die gesetzlich krankenversicherten Patienten dann auch nicht in Köln, Hamburg oder Berlin leben – sondern in Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt. Dort gibt es sage und schreibe acht Hausärzte, vier von ihnen sind über 70 Jahre alt und haben mehr Bock auf Ruhestand als Jens Spahn auf das Bundeskanzleramt.

Zudem ist das deutsche Gesundheitswesen nicht digitalisiert. Im hiesigen Bürokratie-Paradies muss man sich heute noch mit lästigen Telefonschleifen zwecks Terminvereinbarung und Überweisungsbelegen rumschlagen. E-Health-Methoden, die Ärzten schnellere Diagnosen und einen besseren Einblick in die Verfassung des Patienten geben könnten, sind unausgereift. Sie brauchen aber Datenschutz und Verschlüsselungsmethoden, sodass Patientendaten geschützt werden.

Diese Reformen sollten so bald wie möglich beschlossen werden, da es ohnehin mehrere Jahre brauchen wird, bis die Effekte davon zu bemerken sind. Doch statt sich diesen Aufgaben zu widmen, macht der Gesundheitsminister bisher alle paar Tage mit schrillen Äußerungen auf sich aufmerksam.

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