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Bestimmen in Deutschland Neonazis die Politik mit, indem sie Politiker bedrohen?

In Sachsen-Anhalt ist ein Bürgermeister zurückgetreten, weil er sich von Neonazis bedroht fühlte. Wir haben zwei Rechtsextremismus-Experten gefragt, was das für eine Signalwirkung hat.

Während es in Österreich im Zuge der Pegida-Demo in Wien zu rechten Übergriffen kam, häufen sich entsprechende Vorfälle in Deutschland. Mittlerweile ist der Druck auf Politiker teils so groß, dass sie aus Angst zurücktreten. Der Oberbürgermeister des Städtchens Tröglitz in Sachsen-Anhalt ist zurückgetreten, nachdem eine von der NPD organisierte Kundgebung direkt vor seinem Haus stattfinden wollte. Markus Nierth hatte sich in seiner Funktion als ehrenamtlicher Oberbürgermeister sehr aktiv für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt und sich so den Zorn der örtlichen „besorgten Bürger" um den NPD-Kreisrat zugezogen. Ihren wöchentlichen Anti-Asyl-Spaziergang direkt vor seinem Haus enden zu lassen, war ein klares Signal. In seiner Rücktrittserklärung schrieb Nierth:

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„Hätte ich meinen Kindern, die in der letzten Zeit schon einiges ertragen mussten, zumuten sollen, dass vor ihren Kinderzimmern bewaffnete Polizisten stehen müssen, und zudem rassistische und hasserfüllte Parolen bis dorthin dringen?"

Das Ungewöhnliche an dem Fall ist nicht, dass Rechtsextreme versucht haben, einen politischen Gegner einzuschüchtern. Direkte und indirekte Drohungen waren schon immer ein beliebtes Mittel für Neonazis, um auf Herausforderungen durch politische Gegner zu reagieren. Neben Journalisten (wie zuletzt in Dortmund) und Aktivisten trifft es auch immer wieder gewählte Politiker: Ein berühmter Fall ist die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die Ende 2014 über 40 Mord- und Gewaltdrohungen erhielt, weil sie sich für das Flüchtlingsheim in Berlin Hellersdorf eingesetzt hatte.

Dabei bleibt es allerdings nicht immer bei Drohungen per Mail oder Facebook-Nachricht. Erst vor zwei Monaten wurde einem anderen Berliner Linken, Hans Erxleben, das Auto angezündet—ebenfalls, weil er sich offen gegen die Anti-Flüchtlingsproteste in Adlershof ausgesprochen hatte. 2012 hatten Neonazis bereits einen Anschlag auf sein Haus verübt.

Das Ungewöhnliche am Fall des Tröglitzer Oberbürgermeisters ist, dass er tatsächlich zurückgetreten ist—und das auch direkt mit der Bedrohung durch die Rechten begründet hat. Es ist tatsächlich sehr selten, dass jemand zugibt, dass die Drohungen ihm Angst machen. „Üblicherweise ist die öffentliche Reaktion darauf zu sagen: ‚Das beeindruckt mich überhaupt nicht, ich mache natürlich weiter so'", erklärt Simone Rafael von der Stiftung Amadeu Antoniou. „Zuzugeben, dass einen das belastet, ist eher die Ausnahme. Das gilt natürlich besonders für Menschen, die eine öffentliche Funktion besitzen wie eben Bürgermeister oder Politiker."

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Tatsächlich gibt es zwar zahlreiche gut dokumentierte Fälle von Menschen, die von Neonazis bedroht wurden—aber sehr wenige, in denen dann auch direkt Konsequenzen gezogen wurde. Auch der Politiker, dem man das Auto angezündet hatte, erklärte gegenüber dem Tagesspiegel, er werde sich „nicht einschüchtern lassen".

Bedeutet das, dass die Einschüchterungstaktik nicht funktioniert? Simone Rafael glaubt das nicht. „Ich würde davon ausgehen, dass das doch einen Effekt hat", erklärt sie. „Das kann natürlich dazu führen, dass Leute aufhören, sich zu engagieren—die können zum Beispiel bei der nächsten Wahl nicht kandidieren—, aber die werden das selten so offiziell sagen." Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin von stimmt ihr zu: Das ist die Strategie der Neonazis, Menschen so lange zu zermürben, bis sie aufgeben. Und ein paar geben natürlich auf."

Das wirft also die nächste Frage auf: Ist es besser, seine Sorge öffentlich zu machen? Immerhin hat der Tröglitzer Oberbürgermeister durch seinen Schritt die Einschüchterungstaktik der NPD in seinem Ort auf einen Schlag deutschlandweit bekannt gemacht. Das wäre nicht passiert, wenn er die Kundgebung einfach über sich ergehen lassen hätte.

Oder hätte Nierth lieber schweigen sollen? Immerhin können die Rechten sich jetzt damit brüsten, einen unliebsamen Bürgermeister aus dem Weg geräumt zu haben. „Es gibt für beide Seiten gute Argumente", findet Rafael. „Auf der einen Seite finde ich es richtig, dass so etwas dokumentiert wird. Dass jemand sagt: Ich fühle mich allein gelassen. Auf der anderen Seite sollte so etwas nicht ständig passieren, weil dann die rechte Szene wieder Oberwasser bekommt."

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Bianca Klose sieht den Schritt des Oberbürgermeisters kritischer: „Es ist wichtig, dass man da weitermacht. Angst kennen wahrscheinlich alle Menschen, die von Rechtsextremen bedroht worden sind", erklärt sie. „Die Frage ist nur, wie weit man sich von seinem Engagement abhalten lässt. Dann hätten sie nämlich ihr Ziel erreicht. Ich finde es wichtig, wenn gerade Kommunalpolitiker eine gewisse Vorbildfunktion einnehmen."

Sicher ist: Den Opfern von Bedrohungen würde es deutlich leichter gemacht, standhaft zu bleiben, wenn sie sich sicher sein könnten, dass die Gefahr ernstgenommen wird. In Tröglitz ist zum Beispiel eine wichtige Frage, warum die Kundgebung direkt vor dem Wohnhaus des Oberbürgermeisters überhaupt zugelassen wurde, obwohl er sich offenbar mehrere Male an die Versammlungsbehörde gewandt hatte. „Alle Menschen, die von Neonazis bedroht werden, brauchen eine gesellschaftliche Unterstützung und, falls nötig, Schutz von den Strafverfolgungsbehörden", betont Klose.

Aber genau so wichtig wie die polizeiliche Verfolgung der Täter sei es, dass die Opfer sich nicht allein gelassen fühlen, sagt die Expertin, und: „Man muss sich mit den Menschen vor Ort solidarisch zeigen und die Verantwortung auf viele Schultern verteilen." Je mehr Menschen sich Rechtsextremen und ihren Kampagnen offen in den Weg stellen, desto weniger Macht haben sie, auf Einzelne Druck auszuüben.


Titelbild: Sha Rukh Khan | Wikimedia | Gemeinfrei