FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Wie ich in einem türkischen Gefängnis Kokain schnupfte und verprügelt wurde

20 Monate lang musste Kapil Gosh in einem Zellenblock voller schnarchender, koksender und gewalttätiger Krimineller überleben.

Kapil (rechts) und sein Vater zusammen mit zwei anderen Insassen bei einem Gefängnisbesuch im Februar 2010

55 Kilo Haschisch waren unter Kapil Ghoshes Auto versteckt, als er im Dezember 2009 an der syrisch-türkischen Grenze angehalten wurde. Daraufhin wurde der damals 20-Jährige wegen Drogenschmuggels zu neun Jahren Haft in einem türkischen Gefängnis verurteilt. Nach 20 Monaten wurde er nach Großbritannien verlegt und letztes Jahr kurz vor Weihnachten schließlich in die Freiheit entlassen.

Anzeige

In letzter Zeit gab es mehrere brisante Schmuggelfälle, bei denen Ausländer involviert waren. Die 20-jährige Melissa Reid und die 21-jährige Michaella McCollum wurden letztes Jahr in Peru verurteilt, weil sie dort Kokain im Wert von 2 Millionen Euro geschmuggelt hatten. Die 58-jährige Lindsay Sandiford könnte in Bali schon kommenden Monat von einem Erschießungskommando hingerichtet werden, weil sie dort ebenfalls Kokain geschmuggelt hat—sie behauptet jedoch, dass sie von einer Gang zu dieser Tat gezwungen worden war.

Kapils Fall wurde nie wirklich viel Beachtung geschenkt und er beteuert weiterhin seine Unschuld, denn er war laut eigener Aussage nur ein Ablenkungsmanöver für eine viel größere Schmuggelaktion.

Während seiner Haftstrafe verstrickte sich Kapil in der Drogenkultur, die in türkischen Gefängnissen vorherrscht. Im Interview erzählte er mir davon, wie es sich anfühlt, die Handlung des Films 12 Uhr nachts - Midnight Express im echten Leben durchzumachen und seine prägenden Jahre eingesperrt in einem anderen Land zu verbringen.

VICE: Wie muss man sich ein türkisches Gefängnis vorstellen?
Kapil Gosh: Im Vergleich dazu sind englische Gefängnisse ein richtiger Kindergeburtstag. Als ich nach Wandsworth verlegt wurde—was gemessen an englischen Standards ein richtiges Drecksloch ist—, war ich richtig froh.

Die Zellenblöcke kann man sich wie Häuser vorstellen. Alle sind zwar groß, aber trotzdem unterschiedlich, und man lebt mit 30 bis 50 Leuten zusammen. Unten gibt es einen großen Raum mit Tischen. Bei uns gab es zwei Duschen, zwei Toiletten und ein Waschbecken. Die Toiletten waren natürlich ein Witz, eigentlich handelte es sich nur um zwei Löcher im Boden. Im ersten Stock befinden sich dann die Betten und das Ganze ist wie ein Labyrinth aufgebaut. Ach ja, ein Garten ist auch noch vorhanden.

Anzeige

Wie war es, mit so vielen Leuten zusammenzuleben?
Am Anfang schon ziemlich hart, vor allem die nächtliche Geräuschkulisse: Viele der anderen Häftlinge schnarchten, und das nicht mal gleichzeitig. Stell dir das mal vor, wenn 50 Leute in unterschiedlichen Rhythmen schnarchen. Ich habe dann Schlaftabletten genommen. Das war auch nötig, denn wir koksten ja ordentlich und mussten irgendwie runterkommen.

Kapil zusammen mit seinen Eltern und einigen anderen Insassen bei einem Gefängnisbesuch im Februar 2010

Drogen waren also leicht zu bekommen?
Ja. Ich war zuerst in einem kleinen Gefängnis und dort gab es Haschisch. Kaum dort angekommen konnte ich es schon riechen und sogar die Gefängniswärter haben das Zeug mit uns zusammen geraucht. Das war aber nur in einem kleinen Gefängnis möglich. Für die großen Haftanstalten ist die Militärpolizei zuständig. Die lassen nichts anbrennen: Beim kleinsten Grasgeruch werden sofort die Zellen durchsucht und jeden Monat wird sowieso alles auseinandergenommen. Kokain und Heroin waren trotzdem verfügbar.

Und das bekommt man dann einfach so angeboten?
Ein Typ namens Youseff nahm mich unter seine Fittiche, denn er sprach Englisch. Wir wurden gute Freunde. Er und seine Gang verkauften Koks und ja … ich habe dann einfach mitgemacht. Es gab ja sonst nichts zu tun. Das machte einen richtig verrückt. Zum Glück waren sie keine Heroin-Dealer. Es ist richtig komisch: In jungen Jahren bist du viel mutiger. Heute würde ich so etwas nicht mehr machen. Ich kann kaum glauben, wie unerschrocken ich damals war.

Anzeige

Ich musste echt viel einstecken. Richtig abgedreht war es, als in unserem Zellenblock ein Aufstand ausbrach.

Was war das Komischste, das dir dort im Gefängnis widerfahren ist?
Youseff und ich haben immer relativ früh am Morgen unser Kokain genommen. Normalerweise konnte man die Wärter schon von Weitem kommen hören und wir schoben dann immer schnell den Kühlschrank vor den Türspion, um uns zumindest ein kleines Zeitfenster für das Wegräumen zu schaffen. Einmal haben wir jedoch nicht mal gehört, wie die Tür aufgemacht wurde, und dieser eine Wachmann kam in unsere Zelle. Er schüttete unser Kokain auf den Tisch und legte sich nicht mal eine Line oder so—er war wohl richtig verzweifelt und zog einfach drauflos. Den Rest verstaute er dann in seiner Tasche und sagte beim Rausgehen noch etwas. Ich konnte es schon teilweise verstehen, fragte aber sicherheitshalber noch mal bei Youseff nach. Youseff war richtig verblüfft und meinte: „Wenn wir reden, dann kommt er wieder und macht uns die Hölle heiß." Wir schauten uns an und brachen in schallendes Gelächter aus. Für uns gab es nur eine logische Erklärung: Er war wohl ein Junkie und weil es so früh am Morgen war, bekam er mit, wie wir das Zeug schnupften.

Gab es viel Gewalt?
Aber hallo, ich musste echt viel einstecken. Richtig abgedreht war es, als in unserem Zellenblock ein Aufstand ausbrach. Meine Gang kämpfte gegen eine andere Truppe und die beiden sind auch außerhalb der Gefängnismauern Feinde. Sie haben zwar schon gegenseitig ihre Freunde umgebracht, sind aber trotzdem irgendwie im gleichen Zellenblock gelandet—keine Ahnung, ob das wirklich purer Zufall war. Eines Tages stritt ich mich mit einem Typen und der wollte mich richtig provozieren und nannte meine Entourage ‚top', was so viel wie ‚schwul' bedeutet und in einem muslimischen Land eine richtig heftige Beleidigung ist.

Anzeige

Alle rasteten aus, die Situation eskalierte und es brach eine brutale Massenschlägerei aus. Manchmal kriegen das die Aufseher mit, manchmal aber auch nicht. Meistens wird das Ganze schnell aufgelöst, aber dieses Mal ging wirklich richtig die Post ab. Man hatte mir gerade die Seele aus dem Leib geprügelt und plötzlich klingelte es richtig laut in meinen Ohren. Mir wurde klar, dass die Militärpolizei reingekommen war und in ihre Trillerpfeifen blies. Sie fragten, ob hier ein Kampf stattgefunden hätte. Sie wollen dich zum Reden bringen. Ich liege da also mit dem Gesicht nach unten in meinem eigenen Blut und werde von einem Aufseher gefragt: „Hat hier ein Kampf stattgefunden?" Ich antwortete: „Nee!" ‚Oyun' ist da der gebräuchliche Ausdruck, also ‚Spiel'. Ich liege da in meiner eigenen Blutlacke und sage, dass alles nur Spaß ist.

Eine Messerstecherei ist nur einmal vorgekommen. Da zwei Gruppen für das ganze Zeug mit dem Koks und so weiter verantwortlich sind, weiß die Militärpolizei bei einer Messerstecherei gleich, was los ist—wenn das Opfer dann stirbt, macht das viele Probleme. Dann durchsuchen sie den Zellenblock und finden die Waffen und die Drogen. Ein Mitglied unserer Truppe stach jemanden ab und er wurde dann von uns gezwungen, alles zuzugeben. Er wurde verstoßen. Natürlich bekam er dann noch zusätzliche Jahre im Knast auferlegt. Ich weiß aber nicht, wie viele—ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.

Anzeige

Man hält mich deswegen für verrückt, aber ich bin tatsächlich froh darüber, im Knast gewesen zu sein.

Wegen was waren denn die Anderen im Gefängnis?
Viele von ihnen waren wirklich Mörder und saßen eine Haftstrafe von 35 Jahren ab. Durch sie wurde ich richtig abgehärtet. Ich fragte meine Kumpel, warum er die ganze Zeit so gelassen erschien, und er meinte daraufhin nur: „Geduld." Mir wurden neun Jahre aufgebrummt, von denen ich wahrscheinlich nur sechs absitzen musste. Darüber durfte ich mich nicht beschweren, denn das ist nichts. Die ganzen Typen da drin waren total jung—vielleicht 24 oder 25, also so alt wie ich jetzt.

Was ging dir durch den Kopf, als man dich zu neun Jahren Haft verurteilt hat?
Weißt du was? Da fiel mir ein Stein vom Herzen. Meine Mutter meinte sogar, dass ich gar nicht besorgt wirkte, als man mir mein Strafmaß mitteilte. Ich habe mit dem Schreiben angefangen, kam in meine Routine rein und alles war gut. Das Schlimmste ist immer das Warten.

Wie kam das mit deiner Verlegung zustande?
Politiker schalteten sich ein und ich wurde dann sehr schnell verlegt. Das passierte einfach so, ich war eigentlich in einem richtig guten Zellenblock untergebracht. Ich hatte einen schottischen Kumpel und insgesamt waren wir nur zu acht. Wir verstanden uns alle gut, es gab zweimal die Woche warmes Wasser und das Essen war lecker—einmal täglich wurde sogar Fleisch serviert. Ich wurde dann in ein Gefängnis in Istanbul verlegt und blieb dort sechs Wochen. Das ging alles total schnell. Ich war gleichzeitig glücklich und traurig, denn einerseits spürte ich eine Erleichterung, aber andererseits wollte ich auch meine Freunde nicht zurücklassen.

Anzeige

Wie war das Essen?
OK, ich erkläre es kurz. Es gab Kidneybohnen mit Reis, Erbsen mit Reis, grüne Bohnen mit Reis, Kichererbsen mit Reis und Augenbohnen mit Reis. Wenn Baked Beans mit Reis auf der Speisekarte stand, dann war ich überglücklich, denn das war mein Lieblingsgericht.

Zweimal am Tag wurde uns Essen serviert, einmal mittags und einmal abends. Früh morgens bekam jeder Häftling ein Fladenbrot und dazu vielleicht Oliven oder Obst. Ziemlich langweilig. Damals war mir die Wichtigkeit von Oliven noch nicht bewusst, sonst hätte ich wohl alle gegessen. In der Kantine konnte man auch Salat bestellen.

Inwiefern hat dich diese Erfahrung verändert?
Meine Mentalität ist jetzt komplett anders. Ich bin daran gewachsen und habe viele Dinge gelernt—positives Denken, positive Energie. Die wichtigste Lektion, die ich aus dem Gefängnis mitgenommen habe, besteht darin, immer positiv zu denken, denn dann widerfährt dir auch Gutes. So fliegen mir die Frauen zu und ich finde gute Jobangebote. Wenn ich jedoch schlecht drauf bin oder mich in meinem Körper nicht wohl fühle, dann passieren mir auch nur beschissene Dinge.

Ich habe jetzt eine richtige Arbeitsmoral und will viel Geld verdienen. Vorher war es nur wichtig, genügend Kohle für den bevorstehenden Abend zu haben. Heutzutage denke ich an meine Zukunft. Man hält mich deswegen für verrückt, aber ich bin tatsächlich froh darüber, im Knast gewesen zu sein. Zwar wurden mir auch fünf Jahre meines Leben weggenommen, aber ich hätte mich sonst nicht zum Positiven verändert.

Im Gefängnis hast du viele Drogen genommen. Ist das heute immer noch so?
Wenn ich ehrlich sein soll, dann finde ich Kokain immer noch gut. Ich habe das Zeug jedoch seit meiner Freilassung nicht mehr angerührt—schuld daran ist wohl hauptsächlich der Morgenaspekt. Während meinen Freigängen habe ich mir noch was reingezogen, aber inzwischen ist mir klar geworden, dass ich das nicht mehr brauche. Es raubt mir nur meine Energie.

In welcher Situation hattest du am meisten Angst?
Das war im englischen Gefängnis, denn da fühlte ich mich überhaupt nicht sicher. Ich versteckte etwas für jemanden, der ein paar Dinge zu klären hatte. Die Typen, die ich für seine Freunde hielt, raubten ihn dann aber aus. Mir sagten sie, dass sie das Päckchen von ihm aus haben dürften und schon steckte ich in großen Schwierigkeiten. Die Gang wollte das Päckchen schon lange in die Finger bekommen, aber es wurde immer wieder herumgereicht—letztendlich fanden sie jedoch heraus, dass es sich in meinem Besitz befand. Ich musste sogar meine Eltern anrufen und ihnen erzählen, dass ich Ärger am Hals hatte. Sie dachten, ich würde fertig gemacht werden und kontaktierten die Gefängnisleitung. Die kamen dann zu mir und machten alles nur noch schlimmer, denn ich wollte nicht, dass man mich für einen Informanten hält. Selbst meine Freunde hielten mich für einen Spitzel, sagten aber nichts. Ich war immer total wachsam und selbst als ich raus unter die Leute hätte gehen dürfen, blieb ich lieber in meiner Zelle sitzen, denn dort hatte ich meine Tür im Auge und war auf alles vorbereitet. Das war eine richtig schlimme Situation, die ungefähr zwei Monate lang andauerte.

Wie war es, nach England zurückzukommen?
Interpol holte mich in der Türkei ab und brachte mich zum Flughafen. Dort warteten zwei superschick gekleidete Typen, die sich als Aufseher des Wandsworth-Gefängnisses herausstellten. Mir wurden Handschellen angelegt, aber sonst waren die Beiden echt nett. Das Essen im Flugzeug schmeckte auch ganz gut. Einer der Wärter gab mir sogar seine Schokoladennachspeise, dafür war ich richtig dankbar.

Nach seiner Freilassung hat Kapil einen Job in einem Callcenter gefunden und schreibt jetzt ein Buch über seine Zeit im Gefängnis.