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​Der Syrien-Abkehrer: Wer ist Magomed Z.?

Heute wird erstmals in der Geschichte der österreichischen Justiz über eine Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS verhandelt. Wir haben mit dem Beschuldigten, der seit einem halben Jahr in U-Haft sitzt, Kontakt aufgenommen.

Das einzige aktuelle Bild von Magomed Z. Foto: Privat

Mit dem Fall von Magomed Z. wird erstmals in der Geschichte der österreichischen Justiz über eine Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS verhandelt. Ist dieser Mann ein mutmaßlicher Dschihadist oder ein unschuldiger Deserteur? Wir haben seine Geschichte von Tschetschenien über Syrien bis nach Niederösterreich verfolgt und mit ihm Kontakt aufgenommen.

Es war der letzte Tag des Ramadan, als in der syrischen Provinz Latakia 200 Zivilisten getötet werden. 133 werden sofort in ihren Dörfern erschossen, weitere 67 später brutal hingerichtet.

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Am 4. August 2013 um 04:00 Uhr früh starteten 20 verschiedene Rebellengruppen die gemeinsame Offensive „Operation zur Befreiung der Küste". In der am Mittelmeer liegenden Provinz, die als Hochburg des Diktators Baschar al-Assad und seiner alawitischen Glaubensanhänger gilt, ist es der schlimmste Überfall seit Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges.

Laut dem Bericht von Human Rights Watch war neben der Terrormiliz IS auch eine Sub-Gruppe namens „Mujahireen wal-Ansar" beteiligt, die sich unter Führung des tschetschenischen Kisten al-Shishani gründete. In der Wiener Josefstadt sitzt seit einem halben Jahr ein 30-jähriger Tschetschene, dem man vorwirft, in jenem Sommer einer ihrer Gotteskrieger gewesen zu sein.

Drei Monate nach dem Attentat tippt Z. irgendwo in Latakia eine Whatsapp-Nachricht in sein Smartphone: „Ich bin mit einem Bruder hier. Er lädt mich zu sich nach Österreich ein und will mir helfen meine Augen behandeln zu lassen. Danach kehre ich zurück". Als Antwort bekommt er: „Möge Allah dir helfen". Einen Monat später bezahlt Magomed Z. einem Schlepper 2.000 Euro, damit er ihn in einem LKW über die Grenzen schmuggelt. Als er wieder aussteigt, steht er vor den Toren von Traiskirchen. Es ist Sonntag, der 8. Dezember 2013 und in Österreich feiert man den zweiten Advent.

Um seine syrischen „Freunde" nicht zu verärgern, blieb er noch länger mit ihnen in Kontakt und erweckte als Vorwand den Eindruck, er würde ihre Ideologie vertreten.

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Keiner weiß, warum es Z. nach seinem Aufenthalt in Syrien ausgerechnet nach Österreich verschlagen hat. So viel steht fest: In den Augen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums ist er so etwas wie ein stiller Staatsfeind Nummer Eins. Konkret wirft man ihm die Mitgliedschaft bei der Terrormiliz IS vor. Z. soll eine Waffen- und Kampfausbildung der IS absolviert und an deren Kampfhandlungen, sowie bewaffneten Ausgängen teilgenommen haben, heißt es in der Anklageschrift.

Z.s Version hingegen geht so: Er habe sich nach Syrien begeben, um einen Freund aus dem Kriegsgebiet zurück zu holen. Um seine syrischen „Freunde" nicht zu verärgern, blieb er noch länger mit ihnen in Kontakt und erweckte als Vorwand den Eindruck, er würde ihre Ideologie vertreten. Das mache aus Z. laut Anwalt Wolfgang Blaschitz einen Kriegsflüchtling, aber noch lange keinen Dschihadisten.

Magomed Z. bleibt nicht lange in Traiskirchen. Im Jänner 2014 wird er vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und stellt einen Antrag auf Bleiberecht. Die Firma „SLC Europe" bringt ihn in einer privaten Wohnung in Heidenreichstein in Niederösterreich unter, einem Kaff an der Grenze zu Tschechien, wo unter Protest der FPÖ 2014 etwa 80 Asylwerber einquartiert wurden. Er teilt sich die Wohnung mit zwei tschetschenischen und einem nigerianischen Flüchtling. Kurz nach seiner Ankunft schreibt er an einen unbekannten Freund in Syrien: „Ohne Dschihad ist das kein Leben. Nachdem ich meine Augen in Ordnung bringe, komme ich zurück, wenn Allah erlaubt."

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Magomed erzählt uns, dass er lange und ausgiebige Spaziergänge unternommen hat. Eine Moschee habe er kein einziges Mal besucht. Da sein Asylantrag abgelehnt wird, fährt er im März 2014 für die Beschwerdeerhebung nach Wien. Beraten wurde er unentgeltlich vom Verein „Asyl in Not". Der zuständige juristische Berater kann sich nur deswegen an Z. erinnern, weil er damals zu spät gekommen ist. Ansonsten hat er den Mann unscheinbar und inhaltlich widerspruchsfrei in Erinnerung. Jeden Montag hat der Berater Menschen vor seinem Büro sitzen, die vor den Überfällen des IS geflohen sind. Er kennt die Gräueltaten der Dschihadisten nicht nur aus den Medien—sie werden regelmäßig an seinen Schreibtisch herangetragen und stapeln sich in dutzenden Ordnern in einem Regal hinter ihm.

Das ist eine zentrale Frage, die man sich in seinem Prozess wird fragen müssen: Wie soll er mit so einer Sehbehinderung der IS von Nutzen gewesen sein?

Deswegen sagt er: „Hätte sich Z. uns gegenüber als IS-Sympathisant bekannt, wir hätten ihn nie vertreten, denn wir sind bekannt dafür, radikales, islamisches Gedankengut abzulehnen". Aber Z. erwähnt Syrien mit keinem Wort. Er redet über seine Heimat Tschetschenien.

Magomed Z. Wird am 27. November 1984 in Benoy in Tschetschenien geboren. Er absolviert eine juristische Hochschule in Gudermes, bekommt aber keinen Job und arbeitet schwarz auf Baustellen. Ob er sich dort durch einen Unfall die schwere Augenkrankheit zugezogen hat, weiß man nicht. Letzte Woche jedenfalls attestierte ein Sachverständiger eine Fernsichtleistung unter 2 Prozent. Das heißt, dass Z. ohne Brille de facto blind ist. Das ist eine zentrale Frage, die man sich in seinem Prozess wird fragen müssen: Wie soll er mit so einer Sehbehinderung der IS von Nutzen gewesen sein?

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Z. ist fernab des europäischen Traums aufgewachsen. Auf den Schultern seiner Generation werden zwischen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zwei blutige Kriege ausgetragen. Extremistische Separatisten bekämpfen sich mit der russischen Zentralregierung. Als Putin an die Macht kommt, treibt er den selbst ernannten „Kampf gegen den Terror" mit Medienpropaganda und blutigen Einsätzen auf die Spitze. Am Ende bleibt Tschetschenien im russischen Staatsverband. Heute hat sich der Widerstand radikalisiert.

Das Regime dem Kreml-nahen Präsidenten Ramsan Kadyrowist autoritär und geht härter denn je gegen Widerstandskämpfer vor. Zuletzt zeigte sich das bei den Winterspielen in Sotschi als europäischen Behörden teil wahllos über nachweislich inszenierte Anschläge von Tschetschenen informiert wurden. Ob das auch bei Z. der Fall war kann man nicht sagen. Richtig ist, dass er sich mit Anhängern der Guerilla-Bewegung gegen den Präsidenten in den Bergen an der Grenze zu Georgien aufgehalten hat. In seiner Version wurde er aber gezwungen, Lebensmittel für die Gruppe zu organisieren. Sie nehmen ihm seinen Pass ab, der im Zuge des Ermittlungsverfahrens in Deutschland auftauchte.

Warum ist Z.s Vorgeschichte überhaupt so wichtig für sein Strafverfahren? Ganz einfach—weil es im Prozess sehr belastend für ihn werden könnte. Im März 2014 erwähnt er Syrien gegenüber „Asyl in Not" mit keinem Wort und gibt stattdessen an, in jenem Zeitraum noch in Tschetschenien gewesen zu sein. Bei seiner Festnahme im Sommer gibt er zu, im Kriegsgebiet gewesen zu sein. „Warum haben Sie gelogen und verschwiegen, dass sie in Syrien waren Herr Z.", wird die Richterin am Donnerstag ziemlich sicher fragen. Und Magomed Z. wird antworten: „Weil ich Angst hatte".

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Ein Bild zeigt Magomed Z. mit Camouflage-Hose und Kalaschnikow vor einer Steinwand. Er gibt selbst zu, dass dieses Foto in der besagten Zeit in Syrien aufgenommen wurde.

Am 31.08. 2014 wird Magomed Z. in Heidenreichstein festgenommen. Er kommt in die Justizanstalt Krems und tritt so lange in Hungerstreik, bis man ihn ins LKH bringen muss. Er wird auf die Baumgartner Höhe verlegt und irgendwann in die Josefstadt, wo nach Angaben des Innenministeriums noch weitere mutmaßliche Dschihadisten in U-Haft sitzen. Über 10 sollen es momentan in ganz Österreich sein—darunter eine Gruppe, die bei einem angeblichen Fluchtversuch als Dschihad-Rekruten in Thörl Maglern an der Grenze zu Italien festgenommen wurde. Eine Anklage ist noch keine erfolgt. Ebenso bei einem 14-jährigen Jungen aus St. Pölten, der einen Anschlag auf den Wiener Westbahnhof zugegeben haben soll. Er saß in Untersuchungshaft, wurde entlassen, war drei Tage abgängig und ist inzwischen wieder inhaftiert. Behörden vermuteten eine Ausreise nach Syrien, dann fand man den mutmaßlichen Dschihadisten schlafend in einem McDonald's in Wien.

Was unterscheidet Z. von den anderen „Austro-Dschihadisten", wie sie das Innenministerium und der Boulevard gerne bezeichnet? Zuerst einmal die Tatsache, dass Z. wirklich in Syrien war und abgesehen von Facebook-Postings und „Wie bastle ich eine Bombe"-Suchergebnissen auf Google laut Staatsanwaltschaft handfeste Beweise gegen ihn vorliegen.

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Diese Beweise liegen jetzt bei Wolfgang Blaschitz in seiner Kanzlei im ersten Bezirk auf der Glasplatte seines Schreibtisches. Auszüge von WhatsApp-Verläufen wie diesem: „Diejenigen, die gute Taten gemacht haben sind diejenigen, die schon gestorben sind. Man hoff, dass man einer von ihnen wird". Oder: „Ich schlage vor, dass Video ,Imam Ash Shishani, Aufruf zum Jihad' anzuschauen."

Andere sind Fotos, die nach seiner Festnahme auf seinem Handy gefunden wurden: Lichtbilder eines Komplizen, mit dem er nach Syrien gereist sein soll und der laut Staatsanwaltschaft in der Zwischenzeit aufgrund seiner Errungenschaften im Kampf für die IS zum Emir befördert wurde. Ein Bild zeigt Magomed Z. mit Camouflage-Hose und Kalaschnikow vor einer Steinwand. Er gibt selbst zu, dass dieses Foto in der besagten Zeit in Syrien aufgenommen wurde. Ein anderes zeigt einen Kalifats-Pass, den er mit den Worten „Endlich Staatsbürgerschaft" an einen Freund verschickt hat. Z. sagt: „Das war nicht mein Pass. Ich habe ihn in einem Forum heruntergeladen und als Jux verschickt". Ist das noch Satire oder schon Terrorismus?

Die Debatte über mutmaßliche Dschihadisten in Österreich muss eine offene werden: Einerseits gratuliert die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner den Beamten in einer eigenen Presseaussendung für ihren „Anti-Terror Einsatz". Andererseits werden der Öffentlichkeit sämtliche Informationen über diese jungen Menschen verschwiegen. Sie haben kein Gesicht. Als wolle man, dass wir uns vor ihnen fürchten.

Wir werden über die morgen stattfindende Verhandlung von Magomed Z. berichten und euch auch via Twitter auf dem Laufenden halten.

Ihr könnt Franziska auf Twitter folgen: @franziska_tsch