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Ex-Verbrecher erklären, wie sie ihre Taten vor sich selbst gerechtfertigt haben

Wenn du vorhast, eine Person auf der Straße oder einen kleinen Laden auszurauben, wie bringst du die Stimme zum Schweigen, die dir sagt, dass dein Verhalten falsch und böse ist?
Frank Prosper, einer der Ex-Verbrecher, die wir für diesen Artikel interviewt haben

Vor Kurzem habe ich mich mit einigen ehemaligen Gangstern darüber unterhalten, warum sie ihr Verbrecherleben hinter sich gelassen haben. In den meisten Fällen ging es ihnen darum, nicht den Rest ihres Lebens im Gefängnis zu verbringen, ob nun am Stück oder in Form vieler Einzelstrafen. Das Leben hinter Gittern ist definitiv nicht attraktiv, wenn man stattdessen frei sein, vernünftige Mahlzeiten essen, Schwimmstunden nehmen und selbstvergessen durch Stickerei-Blogs surfen kann.

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Eine weitere, etwas verwirrende Offenbarung kam allerdings von dem ehemaligen Mitglied einer Biker-Gang John Lawson. Er sagte mir, es habe ihn dazu gebracht, das Verbrechen an den Nagel zu hängen, als er etwas über sich selbst in der Zeitung gelesen habe und ihm klargeworden sei, dass er vielleicht kein besonders guter Mensch gewesen sei.

Daraufhin fragte ich mich, ob es tatsächlich einen negativen Artikel brauchte, damit der Schuldeneintreiber einer Rockerbande bemerkte, dass er kein so ethisches Leben führte. Und wie kann es außerdem sein, dass so viele Verbrecher jeden Tag so viele unmoralische Taten begehen, und dabei dennoch davon überzeugt sind, sie seien anständige Menschen?

Die einzige Erklärung, die mir einfallen wollte, ist folgende: Um Berufsverbrecher zu sein, muss man entweder ein Meister der Selbsttäuschung sein oder wirklich auf alles pfeifen.

Laut dem Kriminalpsychologen Dr. Shadd Maruna deuten Studien darauf hin, dass die Mehrheit der Verbrecher entweder Ausreden für ihr Handeln findet oder versucht, ihre Taten zu rechtfertigen. Es gibt wenig, was darauf hindeutet, dass diese Rechtfertigungsversuche noch vor der Tat passieren, also ist es möglich—und recht wahrscheinlich—, dass sie erst später ausgedacht werden, um so Schuldgefühlen beizukommen.

"Kriminologen haben schon jede erdenkliche Bevölkerungsgruppe befragt, die Gesetze übertritt, und dabei eine bemerkenswerte Übereinstimmung beim Einsatz von dem, was wir 'Techniken der Neutralisierung' nennen, festgestellt", erklärte Maruna. "Es hat Studien unter Wilderern, Terroristen, Vergewaltigern, Ladendieben, Hackern und Mördern gegeben—einfach alles. Und trotz aller Unterschiede setzen diese Individuen meist eine sehr konsistente und deutlich erkennbare Reihe an nachträglichen Rechtfertigungen ein, um ihr Handeln zu erklären."

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Diese "Techniken der Neutralisierung" bilden die Grundlage eines Konzepts, das sich "Neutralisierungstheorie" nennt und das die Soziologen David Matza und Gresham Sykes in den 1950ern entwickelt haben. Laut der Theorie können Kriminelle Wertvorstellungen neutralisieren, die sie ansonsten davon abhalten würden, eine Tat zu begehen, indem sie bis zu fünf verschiedene Rechtfertigungsmethoden einsetzen: "Ablehnung der Verantwortung", "Verneinung des Unrechts", "Ablehnung des Opfers", "Verdammung der Verdammenden" und "Berufung auf höhere Instanzen".

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"Ablehnung der Verantwortung" bedeutet, dass ein Täter oder eine Täterin behauptet, von den Umständen zu der Tat gezwungen worden zu sein. "Verneinung des Unrechts" heißt, dass sie darauf bestehen, ihr Verbrechen sei harmlos gewesen. "Ablehnung des Opfers" bezieht sich auf die Überzeugung, das Opfer des Verbrechens habe es selbst herausgefordert und verschuldet. Die "Verdammung der Verdammenden" bedeutet, dass der Verbrecher oder die Verbrecherin behauptet, die Menschen, die sie kritisieren oder bestrafen, würden das nur tun, um von ihrer eigenen Schuld abzulenken, oder weil sie den Kriminellen schaden wollen. Die letzte Methode, "Berufung auf höhere Instanzen", beschreibt die Überzeugung eines Täters, das Gesetz müsse zum Wohle einer kleineren Bevölkerungsgruppe—wie etwa eine Gang oder der eigene Freundeskreis—übertreten werden.

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Ich war neugierig darauf, wie diese Theorien in der Praxis aussehen, also habe ich fünf ehemalige Verbrecher kontaktiert und sie gefragt, wie sie früher ihr Handeln gerechtfertigt haben.

(Ein etwas verschwommener) Darren Armstrong

Die erste Person, die ich gefragt habe, war der ehemalige Betrüger und gewalttätige Straßenräuber Darren Armstrong, der heute eine Hilfsorganisation betreibt, die ehemalige Kriminelle und Süchtige rehabilitiert.

"Mein Betrug hat große Katalogfirmen getroffen, also dachte ich: 'Die werden das Geld nicht vermissen'", sagte er. "Beim Straßenraub war ich meist total mit Butangas zugedröhnt, sah jemanden auf der Straße mit schicken Sachen und dachte: 'Warum sollte er tolle Sachen haben, während ich gar nichts habe?' Ich war obdachlos, voller Hass auf die Gesellschaft und hatte das Gefühl, vom System im Stich gelassen worden zu sein."

Darrens Vorstellung, dass er nur von Leuten nahm, die den Verlust verschmerzen konnten, scheint in die Kategorie "Verneinung des Unrechts" zu passen, und die Tatsache, dass er seine Opfer als des Wohlstands unwürdig sah, weil sie unfairerweise mehr hatten als er, legt nahe, dass auch "Ablehnung des Opfers" im Spiel war.

Als Nächstes habe ich mich mit dem ehemaligen Glasgower Gangster Kevin Dooley unterhalten, der wegen Waffendelikten und versuchten Mordes inhaftiert war und heute als Suchtcoach arbeitet. Er erklärte mir, seine Rechtfertigungen hätten oft mit angeblichem behördlichen Unrecht zu tun gehabt. "Ich habe mein Fehlverhalten vor allen heruntergespielt, rationalisiert und gerechtfertigt—auch vor mir selbst", sagte er. "Ich habe korrupten Politikern, der Polizei und der Gesellschaft die Schuld gegeben."

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Ein klassischer Fall von "Verdammung der Verdammenden" also. So weit, so zutreffend. Allerdings passten nicht alle meine Interviewpartner so sauber in die Kategorien der Neutralisierungstheorie.

Mubarak Mohamud

Mubarak Mohamud war eine führende Persönlichkeit in der Londoner Gang Time for Hustling, bevor er dem Verbrechen den Rücken zukehrte, um seine eigene Kleidungsmarke zu gründen. Jetzt konzentriert er sich darauf, Andere vom kriminellen Leben abzubringen. Während seiner Zeit als Bandenmitglied versuchte er, seine Schuldgefühle zu minimieren, indem er sich einredete, der Zweck heilige die Mittel.

"Ich dachte einfach nur: 'Ich brauche das Geld'", sagte er. "Ich habe versucht zu rechtfertigen, wie ich mein Geld verdient habe, also habe ich mir immer wieder gesagt, dass es mir gut geht und dass ich erfolgreich bin. Ich habe das so oft wiederholt, bis ich es auch selbst geglaubt habe."

Heith Copes, ein Experte für kriminelle Entscheidungsprozesse, erklärte mir, Schuldgefühle ließen sich unter anderem verringern, indem man das Verbrechen als eine Fertigkeit oder Kunst sieht—das legitimiert das Verhalten in der Vorstellung der Kriminellen. Mubarak rechtfertigte seine Taten sich selbst gegenüber, indem er sich als fähigen Unternehmer sah.

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Mein nächster Gesprächspartner war der ehemalige bewaffnete Räuber Frank Prosper, der heute Schauspieler ist. Er sagte, er habe es gezielt vermieden, über das Recht oder Unrecht seines Handelns nachzudenken, als er noch kriminell aktiv war. Er meinte, es wäre zu schwierig geworden, einen Raubüberfall durchzuziehen, wenn er sich zuvor viele Gedanken darüber gemacht hätte, ob seine Berufswahl moralisch vertretbar sei.

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Laut Copes ist dieser absichtliche Verzicht auf ethische Überlegungen eine weitere Methode, mit der Kriminelle erwiesenermaßen vermeiden, dass ihr Gewissen zum Hindernis wird.

Die letzte Person, mit der ich mit unterhalten habe, war Marcus "Paradise" Dawes, der in den USA wegen Waffendelikten inhaftiert war, bevor er wieder in seine britische Heimat zurückkehrte und Mentor für junge Kriminelle wurde. Er erzählte, er habe sich damals in einem "klassischen Robin-Hood-Szenario" gesehen, was sehr nach der Kategorie "Berufung auf höhere Instanzen" klingt. Er behauptete, die Rechtfertigungen sich selbst gegenüber seien nach seiner Verurteilung gekommen und hätten sich darauf konzentriert, dass seine Strafe zu streng sei. Das passt zu der Behauptung, dass Neutralisierung nicht während der Tat, sondern eher danach ins Spiel kommt.

Dawes sagte allerdings auch, "Verdammung der Verdammenden" könne manchen auch als legitimer Grund gelten, Gesetze zu brechen, und nicht nur als nachträgliche Rechtfertigung dienen.

"Die Menschen, die die Gesetze machen, die sie innerhalb des Justizsystems interpretieren, und die als Gesetzeshüter agieren, gelten als genauso korrupt und trügerisch wie das System, das sie erschaffen haben", sagte er.

Man könnte das auch wieder als fadenscheinige Rechtfertigung auslegen, doch Andere werden sich die Panama-Papiere und die vielen Korruptionsskandale ansehen und verstehen, was Dawes meint.

Während man manche dieser Rechtfertigungen durchaus als rational bezeichnen könnte, dienen andere sehr deutlich nur der Bewältigung von Schuldgefühlen. Macht es uns also zu gefährlichen Menschen, wenn wir dazu fähig sind, uns von der Richtigkeit unseres Verhaltens zu überzeugen, selbst wenn es sich dabei um Unrecht handelt?

Laut Maruna ist sogar das Gegenteil der Fall. "In den letzten 30 Jahren haben Ausreden einen schlechten Ruf bekommen, und persönliche Verantwortung hat einen fast schon heiligen Status als gesellschaftliches Allheilmittel bekommen", sagte er. "Menschen in Gruppentherapien, die erklären, warum sie in die Kriminalität geraten sind, wird unterstellt, sie würden an kognitiver Verzerrung und kriminellem Denken leiden. Man sagt ihnen, sie dürften keine Ausreden oder Rechtfertigungen vorbringen, und sie müssten die volle Verantwortung für ihre Verbrechen übernehmen. Das Problem ist, dass ihnen das nur noch eine einzige Erklärung ihres eigenen Verhaltens lässt: Ich habe es gemacht, weil ich es wollte. Wenn die Leute das wirklich glauben, dann sind sie das, was manche als 'psychotisch' und andere als 'bösartig' bezeichnen. Das wirkt auf mich kaum wie ein angemessenes Ziel für eine therapeutische Intervention."

Es sind also nicht die Leute, die sich so benehmen wie John Lawson früher und sich sagen, ihr kriminelles Verhalten sei akzeptabel, die wir am meisten zu fürchten haben. Es sind diejenigen, die nicht den geringsten Versuch unternehmen, sich selbst als gute Menschen zu sehen. Jene, die denken: "Ist mir scheißegal, ob ich einer von den Bösen bin."