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Wien demonstriert für Kobane

Die Menschen sind betroffen, viele haben Verwandte in der Region. Die Sprechchöre „Kobane! Kobane!" sind laut, wütend und zornig.

Bis zu 7000 Menschen waren in Wien auf der Straße, um für den kurdischen Widerstand in Kobane zu demonstrieren. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis von linken Organisationen. Bereits am Sammelpunkt der Demo beim Museumsquartier wird klar: Hier geht es nicht um einen Spaziergang. Die Menschen sind betroffen, viele haben Verwandte in der Region. Die Sprechchöre „Kobane! Kobane!" sind laut, wütend und zornig.

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Die kurdische Stadt Kobane steht kurz vor dem Fall an die IS-Fundamentalisten. Die politischen Eliten in aller Welt geben sich betroffen, doch währenddessen massakriert die IS in aller Ruhe die Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten YPG/YPJ. An der Grenze stehen türkische NATO-Truppen mit modernen Panzern und sehen dem Gemetzel zu. Die USA haben zwar öffentlichkeitswirksam bekannt gegeben, dass sie Luftschläge gegen IS-Stellungen fliegen. Doch real kommen diese Angriffe nur sehr vereinzelt, lange Zeit gab es rund um Kobane überhaupt keine US-Angriffe sondern es wurden ganz andere Ziele bombardiert. US-Generalstabschef Dempsey hat bereits offen bekannt gegeben, dass die USA Kobane fallen lassen wollen.

Kobane wird von der linken Partei der Demokratischen Union (PYD) gehalten. Die PYD ist mit der türkisch-kurdischen PKK verbunden, die seit Jahrzehnten einen Befreiungskrieg gegen die türkisch-nationalistische Regierung führt. Mit Beginn des Aufstands in Syrien konnte die PKK in der Region Rojava, also direkt an der Grenze zu den kurdischen Gebieten der Türkei, ihre demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen aufbauen. Die Türkei unter Präsident Erdoğan und damit die NATO haben daran natürlich keinerlei Interesse. Diese Situation ist auch auf der Demo ein großes Thema. Die Rufe „Mörder Erdoğan" und  „Türkische Armee raus aus Kurdistan" hallen immer wieder durch die Straßen.

Auch Şilan Kayan vom Verein für StudentInnen in Kurdistan (YXK) hat zu dieser Frage eine klare Meinung: „Hier will niemand ein Eingreifen der Türkei. Ganz im Gegenteil. Wir wollen keine türkischen Truppen in Kurdistan. Die sogenannte Pufferzone der Türkei wäre nichts anderes als eine weitere Besetzung. Was wir wollen ist, dass die Türkei endlich aufhört, den IS zu unterstützen." Sie sagt, dass sie stolz ist auf die Kämpfer der YPG und vor allem die Kämpferinnen der Frauenbataillone YPJ. „Wir können uns selbst verteidigen und kämpfen. Doch es braucht einen Korridor durch die Türkei, damit Waffen und humanitäre Hilfe nach Kobane geschickt werden können."

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Der Soziologie-Student Hakan Furat, einer der Organisatoren der Demo, ergänzt: „Rojava ist ein Modell für die gesamte Region. In diesem Selbstverwaltungsgebiet wurden demokratische Strukturen von unten aufgebaut. Das ist sowohl für ISIS wie für die Türkei nicht akzeptabel, daher wollen sie Rojava gemeinsam vernichten."

Auf der Demo geht es vor allem darum, der YPG/YPJ die Möglichkeit zur Selbstverteidigung zu geben. Auch Rufe „Waffen für die YPG" sind immer wieder zu hören. Ich erfahre, dass es dazu auch schon einen konkreten Spendenaufruf gibt und bereits über 20.000 Euro in Deutschland und Österreich gesammelt wurden.

Adnan findet diesen Aufruf sehr gut. Er ist Taxifahrer und lebt seit vielen Jahren in Wien. Adnan ist kein Kurde, er ist türkisch—wie übrigens viele andere, die heute auf der Demo sind. Er sagt, dass es ihm nicht um die Nationalität geht: „Das drohende Massaker in Kobane geht uns alle an. Ich bin gegen Kapitalismus und Imperialismus. Egal, ob in Kurdistan, der Türkei oder in Österreich." Adnan hat dabei eine klare Meinung zur türkischen Regierung: „Die Sache ist doch klar. Die Erdoğan-Regierung will das linke politische Experiment in Rojava zerstören. Da sollten wir keine Illusionen haben. Auch diejenigen, die jetzt in der Türkei gegen Erdoğan auf die Straße gehen, werden getötet. Es gibt bereits über 30 Tote. Das zeigt doch, wo Erdoğan und die NATO stehen."

Adnan spricht aber auch etwas anderes an: „US-Vizepräsident Biden hat ganz offen gesagt, dass die Türkei und das Emirat Katar den IS mitaufgebaut haben. Am nächsten Tag musste er sich entschuldigt. Manche Wahrheiten werden offenbar besser nicht ausgesprochen, wenn es um Verbündete der USA geht."

Auch viele österreichische Organisationen sind mit auf der Straße. Sebastian Kugler von der Sozialistischen LinksPartei (SLP) sagt: „Ich bin hier, weil es heute um internationale Solidarität geht." Ihm sind aber auch die Jugendlichen wichtig, die sich in Österreich für die IS interessieren: „Klar sind wir gegen IS. Wir müssen aber auch sehen, warum Jugendliche auf die Fundamentalisten reinfallen. Der antimuslimische Rassismus von Regierung und FPÖ ist Wasser auf die Mühlen von IS und Co. Wenn wir wir also IS zurückdrängen wollen, dann müssen wir einen konsequenten Kampf gegen Rassismus und für gleiche Rechte für alle führen."

Am Ballhausplatz endet die Demonstration mit Reden und Liedern. Schließlich gehen die Menschen langsam nach Hause, es ist eine nachdenkliche Stimmung. Denn alle hier wissen: in diesen Stunden herrscht in Kobane ein Kampf um Leben und Tod.